- Alexei Nawalny sitzt im Gefängnis, aber sein Unterstützerkreis führt den Kampf in seinem Sinne fort.
- Familie, Kampagnenmanager, Gönner und Ärzte: Wer sind die wichtigsten Verbündete des russischen Dissidenten?
Er ist bekannt als der schärfste Kritiker des Kreml: Alexei
Doch er ist nicht allein: In seinem Kampf gegen Korruption und in seiner Gegnerschaft zu Russlands Präsident
"First Lady der Opposition"
Noch bevor der russische Oppositionspolitiker eine grosse Gefolgschaft in den sozialen Medien aufbauen konnte, galt für ihn: Politik ist Familiensache.
Denn die Familie ist ein wichtiger Rückhalt für Nawalnys politische Arbeit: Ehefrau Julia Nawalnaya, die sich aktuell in Deutschland aufhalten soll, ist bereits seit 22 Jahren an seiner Seite. Ob Prozess, Inhaftierung oder Verurteilung – die Ökonomin wich nie von der Seite ihres Ehemannes. Als der kürzlich am Flughafen festgenommene Rechtsanwalt noch im künstlichen Koma lag, feierte Nawalnaya das 20-jährige Ehe-Jubiläum mit ihm am Krankenbett.
Experten halte es für möglich, dass sie in seine Fussstapfen tritt und die Rolle Nawalnys ausfüllt, solange er in Haft handlungsunfähig ist.
Alexei Nawalny: Bruder musste Kopf hinhalten
Denn Julia Nawalnaya gilt nicht nur als mutig und durchsetzungsstark, sie wird in den Medien bereits als "First Lady der Opposition" gehandelt. Als sie im Gerichtssaal mit roter Kleidung auftrat und ihr Ehemann ihr zurief "Sei nicht traurig, alles wird gut", trendete der Hashtag kurze Zeit später und hunderte Nutzer posteten bei Instragram-Selfies in roter Kleidung als Zeichen ihrer Unterstützung.
Auch Nawalnys Bruder Oleg ist ein wichtiger Teil des Teams. Als Oleg und Alexej im sogenannten "Yves-Rocher-Fall" vorgeworfen wurde, den Kosmetikhersteller um 26 Millionen Rubel (etwa 285.000 Euro) betrogen zu haben, hielt Oleg den Kopf für seinen Bruder hin: Während Alexejs Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, musste Oleg mehr als drei Jahre in einer Strafkolonie verbringen – aus Expertensicht eine politisch motivierte Entscheidung.
Engster Vertrauter: Leonid Wolkow
Doch nicht nur Familienangehörige zählen zu Nawalnys engstem Kreis. "Seine Anti-Korruptions-Stiftung hat 30 Mitarbeiter. Über die Angestellten hinaus gibt es noch schätzungsweise zehn bis zwanzig Leute, die zu seinem engsten Kreis zählen", sagt Politikwissenschaftler Jan Matti Dollbaum, der intensiv zum Umfeld des Oppositionellen geforscht hat.
Mit einem seiner engsten Vertrauten, Leonid Wolkow, hat der Wissenschaftler bereits selbst gesprochen. "Wolkow ist ein agiler Mathematiker, der eine wichtige Rolle in Nawalnys Team spielt", sagt Experte Dollbaum. Wolkow wurde 1980 im Ural in Jekaterinburg geboren und arbeitete zunächst als Programmierer in einer IT-Firma. "Ähnlich wie Nawalny wurde er dann durch politische Kommentare im Internet bekannt und schrieb sich eine lokale Unterstützerbasis zusammen", weiss Dollbaum.
Manager im Hintergrund
Wolkow wurde dann ins Regionalparlament gewählt, organisierte in seiner Heimatstadt grosse Protestkundgebungen zu lokalen Themen. "Er hat dort vorbereitet, was wenig später in Moskau passiert ist: Proteste, die von einer urbanen Mittelschicht getrieben sind", sagt Dollbaum. Im Zuge der Proteste in Jekaterinburg hätten Wolkow und Nawalny sich kennen- und schätzengerlernt.
"Seit 2010 sind sie verbunden und Wolkow entschied sich, eher im Hintergrund zu bleiben", weiss der Experte. Seitdem agiere Wolkow als eine Art Kampagnenmanager. "Er hat Nawalnys Kampagne organisiert, als er 2013 zu Bürgermeisterwahlen in Moskau angetreten ist", so Dollbaum.
Rekrutierung perfektioniert
Die grösste Stärke des 40-Jährigen: Die Rekrutierung von Aktivisten. "Wolkow hat es perfektioniert, Aktivisten zu ständigen Unterstützern und Mitstreitern zu machen. Sie bekommen schnell Aufgaben zugeteilt und werden so ein Teil der Bewegung", analysiert der Politikwissenschaftler.
Von besonderem Wert seien auch Wolkows IT-Kenntnisse. "Nawalny und sein Team sind ständigen Angriffen auf ihre IT-Infrastruktur ausgesetzt", sagt Dollbaum. Aktuell lebt Wolkow im Exil in Litauen, die russischen Ermittlungsbehörden suchen ihn mit einem Haftbefehl.
Finanziert von einem Mäzen
Einen weiteren Namen den man aus Nawalnys Umfeld kennen sollte: Boris Simin. Der russische Mäzen und Unternehmer finanzierte Nawalnys Verlegung von Omsk in die Berliner Charité mit einem Spezialflugzeug. Er ist Sohn des russischen Mobilfunkers Beeline.
"Von Simin bekommt Nawalny grössere Zuwendungen", weiss Dollbaum. Drei weitere Unternehmer und russische Exilanten beglichen Nawalnys Behandlung in der Charité.
Doch Nawalny wird nicht nur ökonomisch unterstützt, er hat auch eine eigene Wirtschaftsagenda. "Immer wieder wurde der Vorwurf laut, Nawalny habe keine positive Agenda, sondern sei immer nur dagegen", erinnert Dollbaum. Deshalb habe Nawalny 2017 in einer Kampagne ein eigenes politisches Programm aufgelegt.
Spannung in der Gefolgschaft
Mitentwickelt wurde das Programm von mehreren Ökonomen, unter anderem von dem renommierten Wirtschaftswissenschaftler und Regierungsberater Sergej Gurijew sowie dem einstigen stellvertretenden Energieminister Vladmir Milov. "Beide sind klassische Wirtschaftsliberale", weiss Dollbaum.
Sie wünschten sich eine kapitalistische Umformung Russlands und eine schnelle Einführung der Marktwirtschaft. Ihren Vorstellungen nach solle sich der Staat weitestgehend aus Vermögensangelegenheiten heraushalten.
"Das ist in Russland aber nicht mehrheitsfähig und Nawalny hat mit mitte-links Forderungen immer wieder betont, dass er sich gegen die grosse soziale Ungleichheit einsetzt", sagt Dollbaum.
Aus Sicht des Experten ist das die Spannung, die in Nawalnys Gefolgschaft herrscht. "Es handelt sich um einen beständigen Widerspruch zwischen Wirtschaftsliberalismus und einem starken Sozialstaat", meint Dollbaum.
Autoritärer Führungsstil?
Aktuell gehe es aber noch darum, Kräfte gegen Putin zu sammeln, ein kohärentes politisches Programm sei noch nicht entscheidend.
"Das Verbindende ist der Kampf gegen die Korruption und das autoritäre System von Putin - und der lässt sich sowohl mit politisch rechten als auch linken Positionen rechtfertigen", meint Dollbaum.
Dabei wird Nawalny selbst immer wieder vorgeworfen, einen autoritären Führungsstil an den Tag zu legen. "Unterstützer kritisieren, dass sie die Arbeit machen, den Kopf hinhalten, aber keinen Einfluss auf inhaltliche und strategische Entscheidungen haben", weiss der Experte.
"Nawalny weiss von diesem Image und ist deshalb immer darum bemüht, nach aussen als hippes Team mit flachen Hierarchien aufzutreten", sagt Dollbaum. Wie es aber wirklich im engeren Umfeld aussehe, bleibe offen.
Arzt "plötzlich verstorben"
Zuletzt sind noch die Ärzte um den 44-jährigen Dissidenten zu nennen: Der russische Arzt Sergej Maksimischin, der Nawalny wenige Stunden nach dem Giftanschlag behandelte, verstarb vor einer Woche "plötzlich". Das gab die sibirische Klinik in Omsk bekannt, in der Maksimischin gearbeitet hatte. Todesursache soll ein Herzinfarkt sein.
Nawalnys Augenärztin Anastasia Wassiljewa wurde derweil Anfang Februar wegen Verstosses gegen Gesundheitsvorschriften bis zum 23. März unter Hausarrest gestellt. Schon zu Beginn der Corona-Pandemie wurde sie für das Sammeln von Masken für Ärzte angeklagt. "Wassiljewa engagiert sich in der Gewerkschaft, die Nawalny gegründet hat", sagt Dollbaum.
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