Der Messenger Telegram dient dem Austausch von Kurznachrichten. Über den WhatsApp-Konkurrenten verbreiten aber auch Verschwörungstheoretiker und Rechtsextreme ungehindert krude Thesen, Hass und Hetze. Ein Experte der Amadeu Antonio Stiftung erklärt, warum dafür ausgerechnet Telegram genutzt wird und warum das gefährlich ist.

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Mal sollen sich angeblich die Illuminaten zu geheimen Treffen in Berlin verabreden, mal ist Angela Merkel ein Klon. Mal will die Regierung Corona als Waffe verwenden, mal existiert das Virus gar nicht. Unter anderem der Kochbuchautor Attila Hildmann, die Ex-Tagesschau-Sprecherin Eva Herman und die Sänger Xavier Naidoo und Michael Wendler streuen bei Telegram jeden Tag Dutzende hanebüchene Verschwörungstheorien und Fake-News.

Bei der kostenlosen Messaging-App können Mitglieder Textnachrichten, Links, Fotos, Videos und andere Dateien austauschen. Knapp 400 Millionen Menschen weltweit nutzen Telegram laut Statista, bei Marktführer WhatsApp sind es nach Angaben des Statistikportals mehr als zwei Milliarden.

Anwender, die abseits der Öffentlichkeit kommunizieren wollen

Hildmann, Herman & Co. sind nicht die einzigen, die den Messenger für ihre Zwecke nutzen. Bei Telegram tummeln sich häufig Anwender, die "abseits der Öffentlichkeit kommunizieren" wollen, wie es in einer Studie der Amadeu Antonio Stiftung heisst. Die Gruppierung setzt sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus ein.

"Telegram bietet die effektivste Möglichkeit, Verschwörungserzählungen und rechte Ideologien zu verbreiten und sich zu vernetzen", erklärt Lorenz Blumenthaler, Pressesprecher der Stiftung. Der Grund: Es gibt keine Moderation und "die Möglichkeit, unbegrenzt Menschen zu erreichen".

Allein 500 rechtsextreme Kanäle hat das Portal jugendschutz.net für einen Report gezählt, "Tendenz rasant steigend". Weltweit nutzen die Plattform aber auch Demonstranten gegen autoritäre Regime, etwa in Belarus, in Russland oder im Iran.

Telegram ist für Verschwörungsgläubige, Rechtsextreme und Regimegegner zunächst aus denselben Gründen attraktiv: Der Dienst will besonders sicher sein. In seinen FAQs verspricht Telegram den "Schutz der privaten Konversationen vor Dritten, beispielsweise Behörden". Nutzer können dort mit einem Pseudonym agieren und verschlüsselte Nachrichten senden und empfangen.

Wer hinter Telegram steckt

Gegründet hat den Messenger 2013 Pawel Durow zusammen mit seinem Bruder Nikolai. Mit ihm hatte er 2006 auch die russische Facebook-Konkurrenz Vk.com ins Leben gerufen. Telegram versteht er als Werkzeug, um sich trotz staatlicher Repressionen austauschen zu können. Auf Twitter berichtete Durow kürzlich von den "Anti-Zensur-Tools" von Telegram, durch die der Messenger in Belarus weiterhin zur Verfügung steht.

In Russland hatte sich der Gründer geweigert, den Behörden Zugriff auf Nachrichten der Anwender zu geben. Durow lebt seit Jahren nicht mehr in seinem Heimatland, sondern an einem geheimen Ort im Exil, wie "Der Standard" berichtet. Die Telegram-Entwickler sitzen in Dubai.

Riesige Gruppen und eigene Kanäle auf Telegram

Rechtsextreme und Verschwörungsgläubige haben aber noch andere Gründe, auf den Messenger-Dienst auszuweichen. Wenn Portale wie Facebook oder Instagram sie gesperrt haben, weil sie Falschmeldungen oder menschenverachtende Kommentare veröffentlichten, brauchen sie eine neue Plattform. Und auf Telegram finden sie ein grosses Publikum.

Denn in einer Gruppe dürfen sich dort bis zu 200.000 Mitglieder austauschen – bei WhatsApp sind es nur 256. Darüber hinaus gibt es bei Telegram im Gegensatz zum bekanntesten Messenger auch sogenannte Kanäle, in denen nur der Ersteller und Administratoren Inhalte veröffentlichen können. Die Abonnentenzahl ist unbegrenzt.

In diesen Gruppen und Kanälen treffen sich ausschliesslich Anhänger bestimmter Meinungen – und sie bleiben ohne Moderation unter sich. Auf diese Weise entstehen häufig "rechts-alternative Echokammern ohne jeglichen Widerspruch", wie Blumenthaler erklärt. Die Folge ist ein "Filterblaseneffekt, der beeinflussbare Personen in eine alternative Wirklichkeit abrutschen lässt". Diese verlernen, Aussagen zu hinterfragen, "da die Gegenreaktionen zu Falschinformationen und menschenfeindlichen Kommentaren nicht nur ausbleiben, sondern sich die Gruppen vermeintlich vertrauter Personen gegenseitig bestärken".

Telegram löscht weder Hass noch Hetze oder Hakenkreuze

In vielen der einschlägigen Gruppen und Kanäle verbreiten Nutzer ungehemmt Hass und Hetze – und das ohne Folgen. Denn Telegram löscht nichts, auch keine Hakenkreuz-Bilder oder Mordaufrufe.

Eigentlich wurde für solche Fälle das deutsche Netzdurchsuchungsgesetz geschaffen: Plattformen können damit gezwungen werden, volksverhetzende, beleidigende oder Hass-Kommentare zu entfernen. Allerdings greift das Gesetz nur bei Portalen, die Gewinn erzielen, so wie Facebook – aber nicht bei Plattformen zur individuellen Kommunikation, wie Telegram.

Deutsche Behörden hätten es "bisher komplett verschlafen, gegen die Organisation und Radikalisierung von Rechtsextremen auf Telegram vorzugehen", sagt Blumenthaler. Langsam zeichne sich ein Umdenken ab.

Auch wenn über die Betreiber der Plattform selbst kaum etwas zu erreichen sei, müssten die Behörden "die einschlägigen Telegram-Gruppen im Blick haben und gegebenenfalls dort auch ermitteln", sagt der Sprecher der Amadeu Antonio Stiftung. Dafür brauche es Experten, die nicht nur die Online-Welt verstehen, sondern auch "den modernen Rechtsextremismus mit seiner Sprache, seinen Codierungen und seinen Memes", sagt Blumenthaler. "Davon gibt es leider nur sehr wenige."

In den USA hat sich derweil schon etwas geändert: Dort geht das FBI nach Angaben der Stiftung seit kurzem erfolgreich gegen "sehr viele Leute aus dem rechtsextremen Online-Milieu vor, leitet Verfahren ein und nimmt sie fest".

Über den Experten: Lorenz Blumenthaler ist Pressereferent der Amadeu Antonio Stiftung. Die Stiftung wurde 1998 mit dem Ziel gegründet, die demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Lorenz Blumenthaler
  • Studie der Amadeu Antonio Stiftung: "Alternative Wirklichkeiten: Monitoring rechts-alternativer Medienstrategien"
  • Jugendschutz.net-Report: "Telegram: Zwischen Gewaltpropaganda und "Infokrieg"
  • Der Standard: "Telegram-Chef Pawel Durow: Untergetauchter Postillion für Demonstranten"
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