Die Terroranschläge von Paris und Brüssel waren gross angelegte Kommando-Aktionen, denen monatelange Planungen der Terrororganisation "Islamischer Staat" vorausgegangen sein sollen. Die Chance, dass solche Anschläge durch die Arbeit der Geheimdienste verhindert werden können, ist dennoch gegeben. Anders verhält es sich bei Angriffen durch sogenannte "Einsame Wölfe" wie möglicherweise aktuell beim Attentat in Orlando.
Der Norweger Anders Behring Breivik war einer - ein sogenannter "Einsamer Wolf". Ebenso der Israeli Baruch Goldstein. Und auch der kosovarische Islamist Arid Uka.
Bluttat von Orlando durch "Einsamen Wolf"?
Letzterer ist für den einzigen Anschlag mit islamistischem Hintergrund in Deutschland verantwortlich, bei dem Menschen ums Leben kamen. Am 2. März 2011 verübte er sein Attentat, tötete zwei US-amerikanische Soldaten am Flughafen Frankfurt am Main und verletzte zwei weitere schwer.
Der Kosovo-Albaner Uka war zuvor nie in Syrien oder dem Irak gewesen. Er wurde nie von Mitgliedern al-Kaidas oder des sogenannten "Islamischen Staates" (IS) für den Terroreinsatz ausgebildet.
Uka war ein Einzeltäter, autonom handelnd, ohne den direkten Anschlagsbefehl einer Terrororganisation. Ein sogenannter "Lone Wolf", ein "Einsamer Wolf" - eine ernstzunehmende Gefahr. So wie nun möglicherweise auch Omar Mateen, mutmasslicher Todesschütze beim Massaker von Orlando, bei dem am Wochenende mindestens 50 Menschen erschossen worden waren. Der 29 Jahre alte US-Amerikaner stand laut FBI auf keiner Terror-Liste und aktuell auch nicht unter Beobachtung.
Auch in Deutschland werfen Kritiker von Bundesnachrichtendienst (BND) und Bundeskriminalamt (BKA) den deutschen Sicherheitsbehörden vor, das Gefahrenpotential sogenannter "Einsamer Wölfe" über Jahre unterschätzt zu haben.
Und das, obwohl die USA bereits nach den Anschlägen vom 11. September 2001 nachdrücklich vor sogenannten "Schläfern" warnten. Der IS baut neben lose vernetzten Terrorkommandos auf diese Sympathisanten.
IS ruft zu Anschlägen auf
So rief er mehrmals potentielle Einzelattentäter zu Attacken gegen den Westen auf. Wiederholt tauchten "Einsame Wölfe" in Frankreich auf. Im Februar 2015 versuchte ein Islamist in Nizza Soldaten niederzustechen.
Professor Gabriel Weimann von der Universität von Haifa erforschte zehn Jahre lang das Phänomen der "Einsamen Wölfe". Im Sommer 2012 kam er zu dem Schluss, dass diese mit herkömmlicher geheimdienstlicher Überwachung nicht ausfindig zu machen seien.
Es ist das grosse Problem von Nachrichtendiensten wie BND und BKA. Diese versuchen, potentielle Attentäter und Terrorgruppen durch Netzwerkverbindungen zu ermitteln. Wer telefonierte wann, wie oft und mit wem? Solche Fragen sind entscheidend.
Ende 2015 hatte der Bundestag im Eilverfahren zugestimmt, das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung aufzulockern. E-Mail-Verkehr und Telefonanrufe sollen dadurch nachvollziehbar werden, Verbindungen gezogen, eventuelle Hintermänner gefasst werden.
Doch was, wenn jemand aus eigenem Antrieb und ohne Kontakt zu anderen Radikalen handelt? Hier verlieren die Sicherheitsbehörden die Spur - und ihre Chance zur Verhinderung der Tat.
Omar Mateen habe sich vor der Bluttat von Orlando auf die Terrormiliz "Islamischer Staat" berufen, der IS hatte sich kurz darauf tatsächlich offiziell zu dem Anschlag bekannt, obgleich es nach bisherigem Kenntnisstand nie einen direkten Kontakt zwischen dem mutmasslichen Täter und der Terrororganisation gegeben haben soll.
IS-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani hatte bereits 2014 sympathisierende Einzeltäter dazu aufgerufen "ungläubige Amerikaner oder Europäer - vor allem die boshaften und dreckigen Franzosen" zu töten sowie "Bürger jener Länder, die sich der Koalition gegen den Islamischen Staat angeschlossen haben".
Al-Adnani hatte schon damals seinen Mordaufruf mit der Drohung verbunden, der IS könne ohne grossen logistischen Aufwand Anschläge verüben. Ein Muster, das zum Prinzip der "Einsamen Wölfe" passen würde. Anschläge ohne direkten Befehl, allein durch einen mörderischen Freibrief für mögliche Sympathisanten des islamistischen Terrors.
"Einsame Wölfe" sind nicht zuzuordnen
Das Beispiel Uka zeigt: Auch der Ansatz greift zu kurz, Syrien- oder Irak-Rückkehrer besonders zu observieren. "Einsame Wölfe" handeln alleine, beeinflusst durch radikale Ideologien, gehören keiner Organisation an und sind keiner Hierarchie unterworfen", warnte Terrorismusexperte Weinmann bereits vor drei Jahren.
Sie sind demnach keiner Gesellschaftsschicht zuzuordnen, sondern vielmehr "der nette Junge von nebenan".
Menschen mit muslimischem Aussehen per se als radikale Islamisten zu verdächtigen, greift auch deshalb schon viel zu kurz. Vater und Ex-Frau des mutmasslichen Orlando-Täters beschreiben Omar Mateen als nicht sehr religiös, aber psychisch labil und gewalttätig.
Claudia Dantschke, Islamismus-Expertin der Beratungsstelle HAYAT Deutschland, erklärte in der Vergangenheit, dass Radikale aus allen möglichen Familien kämen und nicht durch Herkunft unterschieden werden könnten. Das macht die "Einsamen Wölfe" noch unberechenbarer.
Arid Uka besorgte sich damals auf dem Schwarzmarkt eine Waffe, ohne jemals ein Schiesstraining gehabt zu haben. In der Statistik des BKA tauchte er angeblich nie auf.
Barack Obama warnt vor "Einsamen Wölfen"
430 sogenannte Gefährder soll die Datenbank des BKA aktuell zählen - ermittelt vor allem durch deren Kontakte untereinander.
"Einsame Wölfe" dürften die Grauzone gefährlich erweitern. Und wer sich mit dem falschen Glauben in Sicherheit wiegen will, einzelne Täter könnten nichts ausrichten: Der Norweger Anders Behring Breivik tötete am 22. Juli 2011 in Oslo und auf der norwegischen Insel Utoya 77 Menschen.
Dem Anschlag Goldsteins fielen am 25. Februar 1994 in Hebron 29 muslimische Palästinenser zum Opfer, darunter viele Kinder.
Ob es sich bei Omar Mateen, mutmasslicher Todesschütze von Orlando, ebenfalls um einen "Einsamen Wolf" gehandelt hat, ist bislang noch unklar. Fakt ist, dass bei dem Attentat in dem Schwulen-Club "Pulse" mindestens 50 Menschen getötet worden sind, inklusive Mateen.
Der Gefahr durch Einzeltäter ist man sich mittlerweile bewusst. Nicht umsonst bezeichnete US-Präsident Barack Obama die "Lone Wolves" in der Vergangenheit bereits als die grösste Bedrohung für die westliche Welt - losgelöst und doch verbunden mit dem weltweiten Terror.
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