Der französische Präsident Hollande spricht nach den Terroranschlägen von Paris von einem "kriegerischen Akt" und bittet auch Deutschland um Hilfe im Kampf gegen den IS. Droht der Bundeswehr ein Kampfeinsatz?

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Dr. Ronja Kempin, Expertin für Sicherheitspolitik, gibt "eine klare Antwort".

Deutschland will unterstützen. Deutschland will handeln. Deutschland macht Versprechen. Nach dem Terror von Paris sicherte die Bundesregierung Frankreich ihre uneingeschränkte Hilfe im Kampf gegen den Terrorismus zu.

Genau hinhören was Frankreich will

"Wir werden sehr genau hinhören, was Frankreich uns zu sagen hat, und aufmerksam analysieren, worum Frankreich uns bittet", sagte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU).

"Selbstverständlich ist, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden, um Hilfe und Unterstützung zu leisten."



Doch was heisst das? Schickt Berlin Kampfflugzeuge in den Nahen Osten? Oder gar Bodentruppen? Führt die Solidarität mit Frankreich Deutschland in einen "Krieg"?

"Die ganz klare Antwort ist nein", erklärt Dr. Ronja Kempin. "Deutschland wird nicht mit Frankreich in den Krieg ziehen müssen."

Es geht um europäische Solidarität

Kempin ist Expertin für gemeinsame europäische Aussen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik bei der "Stiftung Wissenschaft und Politik". Sie kennt sich bestens aus mit bilateralen Verpflichtungen zwischen Frankreich und der Bundesrepublik.

"Was der französische Präsident bei seiner Rede in Versailles gemeint hat, ist, dass er den sogenannten Artikel 42 Absatz 7 des EU-Rechts anrufen wird, die sogenannte Solidaritätsklausel", schildert sie.

Die sei sehr vage ausgestaltet und deutlich weniger verpflichtend als etwa Artikel 5 des transatlantischen Verteidigungsbündnisses NATO.

Dieser besagt vereinfacht gesprochen: Wenn ein Mitgliedstaat sich angegriffen fühlt, fühlen sich die anderen Mitgliedstaaten ebenso angegriffen und verpflichtet, militärisch zu reagieren.


"So weit reicht der EU-Artikel bei Weitem nicht. Die Mitgliedsländer stellen nach diesem wörtlich alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung zur Verfügung", erzählt Kempin.

Doch was schwebt dem französischen Präsidenten Francois Hollande vor? Drei nicht-militärische Hilfeleistungen, lautet die Antwort der Expertin.

60 Millionen illegale Waffen in der EU

Erstens, verlange er Unterstützung im Kampf gegen den Waffenhandel in Europa. "Auf dem Territorium der Europäischen Union sind geschätzt 60 Millionen Kleinwaffen illegal unterwegs", erklärt sie.

"Die wichtigste Route ist offenbar der Westbalkan, wo etwa vier Millionen dieser Kalaschnikows, die die Terroristen in Paris bei sich hatten, auf dem Schwarzmarkt gehandelt werden."

Zweitens, wolle Hollande eine verstärkte Kontrolle der EU-Aussengrenzen, um das Eindringen potentieller Terroristen zu verhindern.

"Die meisten der Pariser Terroristen hatten französische oder belgische Pässe und konnten damit sehr leicht aus Syrien, wo sie sich ausbilden liessen, zurückkehren", erklärt Kempin.


Drittens, fordern die Franzosen die sogenannte Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten wieder aufzunehmen, "um auch darüber zu kontrollieren, wer einreist".

Zwar hätten die Franzosen selbst konkrete Massnahmen eingeleitet, diese müssten aber relativiert werden, meint sie und nennt die Verlegung des Flugzeugträgers "Charles de Gaulle" in den Persischen Golf als Beispiel.

Vor zwei Wochen hatte Hollande bereits bekanntgegeben, dass dieser am 18. November auslaufen solle - und damit weit vor den Anschlägen. Im Übrigen hatten die Geheimdienste erst jüngst ein Attentat auf eben jenes Symbol der Stärke vereitelt.

Als militärische Verbündete kämen für Frankreich indes Russland und vor allem die USA in Frage, schildert Kempin, von deren Munition es schon in Libyen abhängig gewesen sei.

Finanzielle Unterstützung für Frankreich

Von den europäischen Partnern könnte er Folgendes verlangen: "Dass die Europäer, wenn es in Syrien zu einem Waffenstillstand kommt, diesen in Form einer UN-Blauhelmmission überwachen.

Das Zweite wäre eine finanzielle Unterstützung der französischen Militärangriffe", sagt Kempin. "Frankreich verweist darauf, dass es sich trotz Haushaltsdefizit seit Jahren sehr viel stärker als alle übrigen Mitgliedstaaten gegen den Terrorismus engagiert."


Gegen eine Beteiligung der Bundeswehr würde dagegen auch ein völlig unterschiedliches Selbstverständnis sprechen. Frankreich sähe sich traditionell als militärische Grossmacht sowie als Verfechter von Demokratie und Menschenrechten, erklärt die Expertin weiter.

"Militärische Intervention wird bei ihnen als Mittel der Aussenpolitik gesehen und nicht wie bei uns als letzte Wahl."

Deutschlands Stärke ist die Diplomatie

Von der Leyen werde zwar tatsächlich genau zuhören, meint Kempin. "Ich warne aber davor, in einen Automatismus zu verfallen und zu sagen, gut, wir lassen jetzt auch Kampfflugzeuge aufsteigen."

Politisch-diplomatisch könne Deutschland viel mehr Einfluss nehmen, indem es auf besagten Waffenstillstand zwischen Rebellen und Assad-Truppen in Syrien hinwirke.

"Es wäre nicht ratsam, blindlinks dieselbe Reaktion wie Frankreich an den Tag zu legen", sagt Kempin.

"Die Franzosen wissen, dass Deutschland, was die Sicherheitspolitik betrifft, anders funktioniert und sie nicht dieselbe Reaktion erwarten dürfen."


Dr. Ronja Kempin arbeitet für die "Stiftung Wissenschaft und Politik" in Berlin. Zu ihren Forschungsgebieten gehören die europäische Aussen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Kempin war in der Vergangenheit unter anderem Wissenschaftliche Mitarbeiterin des SPD-Parteivorstandes im Bundestag sowie Politische Beraterin des Referats "Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik" im Auswärtigen Amt.
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