Die belgische Hauptstadt ist lahmgelegt. Die seit dem Wochenende geltende höchste Terrorwarnstufe wurde am Montagabend verlängert, das öffentliche Leben findet praktisch nicht mehr statt.

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Es ist Tag drei in der Geisterstadt. Seit Samstagmorgen wirkt Brüssel wie leergefegt. Wo sich sonst Touristen tummeln, patrouillieren Soldaten mit Maschinengewehren.

Das "Atomium", das seit seiner Errichtung für die Expo 1958 als Wahrzeichen zahlreiche Besucher anzieht, bleibt vorerst geschlossen.

Militärfahrzeuge auf dem Selfie

Am Grande Place vor dem berühmten historischen Rathaus im Stadtzentrum fotografieren sich die Besucher mittels Selfiestick vor dem Gebäude. In diesen Tagen versperrt ein Militärfahrzeug die Sicht.

In den Galeries Royales Saint Hubert, der historischen Einkaufspassage mit Glaskuppel, marschieren mit kugelsicheren Westen geschützte Polizeibeamte gemeinsam mit mehreren Soldaten durch die verwaiste Gasse.

Die meisten Geschäfte sind geschlossen, nur ein Café hat geöffnet. Die erste Weihnachtsdekoration wurde an diesem Wochenende angebracht. Doch in diesem stillen, unheimlich stillen Brüssel, wirkt sie verloren.

Es gilt Terrorwarnstufe 4

Seit dem Wochenende gilt die Terrorwarnstufe 4, die höchste auf der Skala. Sie bedeutet, dass es eine "unmittelbare" und "sehr ernste Bedrohung" für die Region Brüssel gibt. Am Montagabend wurde die Terrorwarnstufe um eine Woche verlängert.

"Was wir fürchten ist ein Angriff, ähnlich zu dem in Paris, mit mehreren Tätern, die möglicherweise zur selben Zeit an mehreren Orten gleichzeitig zuschlagen könnten", warnte Premier Charles Michel am Sonntag.

Die Nachricht kam nicht ganz überraschend: Denn seit Paris von mehreren Anschlägen erschüttert worden war, liefen die Spuren nach Brüssel.

Bei zahlreichen Razzien haben Polizei und Spezialeinsatzkräfte Wohnungen durchsucht, Schüsse sollen im Problembezirk Molenbeek gefallen sein.

Doch der Gesuchte, Salah Abdeslam, der an den Anschlägen in Paris beteiligt gewesen sein soll und seither auf der Flucht ist, war nach Angaben der Brüsseler Staatsanwaltschaft nicht unter den Verhafteten.

Brüssel unter einem Schleier der Angst

Ein Schleier der Angst scheint sich über die Zehn-Millionen-Einwohner-Stadt gelegt zu haben. Nur wenige Menschen waren an diesem Wochenende unterwegs.

Die sonst so belebten Sonntagsmärkte wurden grösstenteils abgesagt, nur wenige fanden unter grössten Sicherheitsvorkehrungen in Hallen statt.

Konzerte wie das des Rocksängers Johnny Hallyday und andere grössere Veranstaltungen wurden abgeblasen, die Geschäfte in der Innenstadt und der Rue Neuve, der Einkaufsmeile Brüssels, blieben geschlossen. Bars und Cafés machten am frühen Abend dicht.

Am Montag entschliessen sich auch einige Banken, darunter Belfius und INGKBC, ihre Filialen teils nicht für die Kunden zu öffnen. Die Universitätsklinik Saint-Luc hat Termine für den Wochenbeginn abgesagt.

Gleichzeitig verkündete die Krankenhausleitung, dass es "keinerlei konkrete Bedrohung" gegen das Klinikum gebe. Man handle aus reiner Vorsicht.

Die Metro fährt nicht

Die 69 Metrostationen der Stadt wurden abgeriegelt, vor den Zugängen flattern rot-weisse Absperrbänder. Strassenbahnen dürfen nur überirdisch fahren, ebenso wie Busse. Aber in diesen Tagen sitzt kaum jemand darin.

Am Gare Centrale kommen am Montagmorgen einzelne Fahrgäste an, aber der Bahnhof im Herzen der Stadt ist längst nicht so umtriebig wie sonst.

Vor den Ausgängen stehen schwere Militärfahrzeuge und weitere Soldaten, in der Eingangshalle sind zudem deutlich mehr Polizeibeamte als sonst postiert.

"Ich arbeite in einem Bürogebäude und werde den Rest des Tages drinnen bleiben", sagt ein Mann, der sich trotz der Aufforderung der belgischen Behörden, möglichst von zu Hause zu arbeiten, an diesem Morgen auf den Weg gemacht hat.

"Mein Computer steht im Büro", rechtfertigt sich eine Frau: "Zu Hause bleiben, das geht einfach nicht."

Öffentliche Einrichtungen sind geschlossen

Dennoch bleibt vielen nichts anderes übrig: Denn Kindertagesstätten, Horte und Schulen sowie Universitäten bleiben an diesem Montag geschlossen. Selbst Schwimmbäder und Sportzentren lassen ihre Pforten zu.

Schulen sollen zwar ab Mittwoch wieder nach und nach öffnen, aber bis dahin müssen Eltern zu Hause bleiben, sich um ihre Kinder kümmern. Wer kann, arbeitet online oder per Telefon, um mit den Kollegen in Verbindung zu bleiben.


Der grösste Arbeitgeber der Stadt, die Institutionen der Europäischen Union, versucht seinen Angestellten entgegenzukommen.

Kommissarin Kristalina Georgieva, zuständig für das Personalwesen, versprach via Twitter "flexible Arbeitszeiten für Eltern", die Sicherheit und das Wohlbefinden der Mitarbeiter gehe vor, betonte die Bulgarin.

Alerte jaune im Berlaymont-Gebäude

Das Berlaymont-Gebäude, in dem die Kommission untergebracht ist, hat seine Sicherheitsstufe – derzeit Alerte jaune (Alarmstufe Gelb) – dennoch nicht erhöht.

Im Ratsgebäude, wo am Montag trotz der Terrorwarnungen die Finanzminister der Eurogruppe tagen, gilt jedoch bereits Alerte orange (Alarmstufe Orange) – eine reine Vorsichtsmassnahme, heisst es. Weitere geplante Sitzungen in dieser Woche wurden allerdings abgesagt.

Wie lange der Zustand anhalten wird, ist noch unsicher: "Die Operation wird weitergehen, so lange es notwendig ist. Wir müssen durchhalten", sagte der belgische Innenminister Jan Jambon gestern.

Zumindest solange, bis Belgiens meistgesuchter Terrorist hinter Gittern sitzt und eventuelle Terrorpläne glaubwürdige vereitelt werden konnte.

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