Was, wenn Anschläge wie in Paris Schweizer Städte treffen? Den Ausnahmezustand, wie Frankreich ihn verhängt hat, gibt es hier nicht. Politik und Einsatzkräfte entscheiden je nach Lage. Früher sei die Schweiz beim Thema Sicherheit besser aufgestellt gewesen, betont ein Experte.
Europa im November 2015: Die Stadt der Liebe wird zur Stadt des Terrors, zum Ort des Ausnahmezustands. Und auch in Brüssel steht das öffentliche Leben nach Attentaten in Paris mit rund 130 Toten aus Angst vor weiteren Anschlägen tagelang still. Die Metro abgesperrt, Geschäfte geschlossen, Grossveranstaltungen abgesagt. Die sonst so umtriebige europäische Hauptstadt gleicht einer Geisterstadt. Wie würde die Schweiz reagieren, wenn Städte wie Zürich, Bern oder Genf Ziel von Terroristen würden?
Kantonspolizei mit nötigen Spezialeinheiten
Alexander Rechsteiner, Sprecher des Bundesamtes für Polizeifedpol, erklärt im Gespräch mit GMX.ch: "Wenn es beispielsweise einen Anschlag am Zürcher Hauptbahnhof gäbe, dann wäre zunächst die Kantonspolizei Zürich für die Bewältigung des Ereignisses zuständig." Etwa dafür, das Areal zu sichern, sich mit den Tätern auseinanderzusetzen und die Opfer zu betreuen. Die Kantons-Polizei verfügten dafür jeweils über die nötigen Spezialeinheiten.
Ein terroristischer Anschlag könne aber schnell mehrere Kantone betreffen, sagt Rechensteiner. Dann arbeiteten die Behörden übergreifend zusammen: "Die Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten (KKPKS) hat in diesem Jahr einen nationalen Führungsstab eingerichtet, der dann zum Einsatz käme."
Die Konferenz war zwei Wochen vor den Pariser Anschlägen zusammengekommen. "Die Schweizer Polizeikorps bündeln ihre Kräfte und treffen im Falle eines terroristischen Anschlags gemeinsame Massnahmen", erklärte Stefan Blättler, Präsident der KKPKS, nach dem Treffen. Der Führungsstab koordiniere die polizeilichen Kräfte und arbeite eng mit den zuständigen Krisenorganen von Bund und Kantonen zusammen. Während bei konkreter Gefahr die Kantonspolizei zuständig ist, ist es laut Rechensteiners bei den anschliessenden Ermittlungen der Bund. "Terrorismus ist Bundeskompetenz, Fedpol ermittelt darum unter der Leitung der Bundesanwaltschaft gegen die Täter."
Ist "Ausnahmezustand" denkbar?
Ein gesetzlicher Ausnahmezustand, wie er in Frankreich verhängt worden ist, ist in der Schweiz so nicht vorgesehen, erklärt der Sicherheitsexperte Albert A. Stahel. Professor für Strategische Studien an der Uni Zürich. Der Ausnahmezustand erlaubt es in Frankreich, in einer Gefahrenlage bürgerliche Rechte einzuschränken. In dieser Zeit dürfen etwa die Versammlungsfreiheit beschnitten und Ausgangssperren verhängt werden.
In der Schweiz wird Stahel zufolge im Falle eines Attentates "je nach Lage entschieden, welche Massnahmen ergriffen werden". Dabei sind je nach Grössenordnung des Unglücks gewisse Abläufe festgelegt. Nach einem Attentat stellen sich beispielsweise die Fragen, ob der öffentliche Nahverkehr gestoppt oder Soldaten zur Unterstützung der Polizei und des Grenzwachtkorps im Innern des Landes eingesetzt werden.
Schweizer Infrastruktur "schwer zu schützen"
Stahel blickt skeptisch auf die Sicherheitslage: "Wir haben, verglichen mit anderen Ländern, eine sehr komplexe, sehr dichte und verletzliche Infrastruktur, die nur bedingt zu schützen ist." Das Bahnnetz sei dicht, genau wie die Hochspannungsnetze, es gebe Pipelines und Stauwehre. Seiner Meinung nach war die Schweiz beim Thema Sicherheit schon besser aufgestellt als heute: "Wir hatten zur Zeit des Kalten Krieges eine Gesamtverteidigung, die für den Schutz der Infrastruktur sorgen konnte." Dabei koordinierte eine zentrale Stelle, ein Stabsorgan des Gesamtbundesrats, die zivilen und militärischen Einsatzkräfte des ganzen Landes. Ende der 1990er-Jahre wurde sie aufgelöst. "Wir haben nun nicht mehr dieselben Mittel, auf Gefahren zu reagieren", kritisiert Stahel.
Ausserdem habe es bei den Streitkräften Personal gegeben, das zur Unterstützung der Polizei ausgebildet war. Nach einer Reform sei das Militär vor allem für "friedensfördernde Auslandseinsätze" ausgebildet, weniger für Notlagen im eigenen Land.
Nicht involviert in Krieg gegen Terrormiliz
Trotz der Kritik sieht Stahel keine hohe Terror-Gefahr für die Schweiz: "Natürlich sind Attentate nicht völlig ausgeschlossen. Aber wir sind nicht involviert in den Krieg gegen den IS." Der Nachrichtendienst des Bundes hatte die Gefahr bereits nach den Anschlägen in Paris vom Januar als erhöht eingestuft. "Weil sich die allgemeine Lage in Europa verschärft hat", erklärt Alexander Rechsteiner. Konkrete Hinweise auf Terrorgefahr in der Schweiz gebe es aber nicht.
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