Das Tessiner Kantonsparlament hat diese Woche einen Grundsatzentscheid zugunsten der versuchsweisen Einführung der elektronischen Stimmabgabe gefällt. Sicherheitsaspekte und Vorkehrungen gegen Missbrauch werden gross geschrieben. Eine Rolle spielten auch die Auslandschweizer: Sie sollen bei Abstimmungen und Wahlen nicht Bürger zweiter Klasse sein.
Die elektronische Stimmabgabe wird in der Schweiz von Bund und Kantonen seit mehr als 15 Jahren in unterschiedlichen Formen praktiziert. Insgesamt haben 14 Kantone Versuche durchgeführt, in acht Kantonen wird das E-Voting angeboten. Der Trend im digitalen Zeitalter geht in die Richtung, die elektronische Stimmabgabe neben der Stimmabgabe im Wahllokal und der brieflichen Stimmabgabe als dritten Weg zu etablieren.
Doch die Vorbehalte sind nach wie vor gross. Dies zeigte sich auch diese Woche im Tessiner Grossen Rat (Kantonsparlament), der im Rahmen einer Revision des Gesetzes über die politischen Rechte leidenschaftlich über einen Artikel diskutierte, der dem Staatsrat (Kantonsregierung) "nach Autorisierung durch den Bundesrat (Landesregierung) und in Einklang mit den interessierten Gemeinden die Möglichkeit zur versuchsweisen Erprobung der elektronischen Stimmabgabe einräumt".
Die Vorbehalte betreffen insbesondere Sicherheits- und Missbrauchsfragen. "Kann eine andere Person für einen Stimmberechtigten abstimmen, wenn Code und Passwort weitergegeben werden?", fragten mehrere Parlamentarier. Die vorberatende Kommission hatte so viele Zweifel, dass sie die Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe "tout court" einfach aus dem Gesetzesvorschlag streichen wollte, doch im Plenum überwog dann eine Mehrheit, die umgekehrt der Auffassung war, mit dem E-Voting einen richtigen Schritt in Richtung Zukunft zu machen.
Bekannte Einwände
Insbesondere Michele Foletti, ein Vertreter der Bewegung Lega dei Ticinesi und Stadtrat von Lugano, legte sich für das E-Voting ins Zeug. Er wies vor allem Befürchtungen zurück, wonach mit der elektronischen Stimmabgabe dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet werde. Es sei doch genau umgekehrt. "Die elektronische Stimmabgabe macht Angst, weil sie sich nicht kontrollieren und verändern lässt", sagte Foletti mit Verweis auf Skandale und Wahlbetrügereien in Stimmlokalen oder Altersheimen.
Tatsächlich erinnerten die Pro- und Kontra-Argumente in vielerlei Hinsicht an die Diskussion um die Einführung der brieflichen Stimmabgabe, die vor gut zehn Jahren die Tessiner bewegte. Der Südkanton war der letzte Schweizer Kanton, der diese Möglichkeit einführte. Damals gab es Vorbehalte, dass Familienangehörige oder Freunde die Wahl- und Stimmzettel von ihnen nahestehenden Personen ausfüllen.
Diese Diskussion ist mittlerweile Geschichte. Im Regelfall stimmen 95 Prozent der Stimmberechtigten im Tessin auf dem Postweg ab. Darauf beriefen sich die Befürworter des E-Votings wiederholt: "Die Argumente gegen E-Voting sind die gleichen, welche damals gegen die Einführung der brieflichen Stimmabgabe ins Feld geführt wurden, die mittlerweile unbestritten ist", hiess es.
Nicht länger Bürger zweiter Klasse
Michele Foletti verwies seinerseits auf die Auslandschweizer. Häufig kämen deren Wahl- und Abstimmungsunterlagen auf dem Postweg verspätet in den Gemeinden an, könnten bei der Auszählung nicht mehr berücksichtigt werden. "Mit dem E-Voting werden die Auslandschweizer nicht länger Bürger zweiter Klasse sein", so der Stadtrat von Lugano. Er verwies zudem auf E-Banking und Steuererklärungen via Computer (E-Tax), die in der heutigen Gesellschaft unbestritten seien.
Nicht alle Kantonspolitiker folgten seinen Argumenten. So sprach etwa Lega-Parteikollege Boris Bignasca beim E-Voting von einer "Amerikanisierung", die abzulehnen sei. Grossrat Carlo Lepori von der Sozialdemokratischen Partei (SP), der bereits Ko-Direktor des Instituts IDSIA für künstliche Intelligenz war, verwies auf gravierende Sicherheitslücken bei der Verifizierung einer elektronischen Identität: "Wir sind technisch einfach noch nicht so weit."
Unter dem Strich war eine Mehrheit dann aber für die Einführung einer gesetzlichen Grundlage, die Versuche mit E-Voting erlaubt. Die kantonale Freisinnig-Demokratische Partei (FDP.Die Liberalen), die sich über die Jungfreisinnigen stark für diese Reform eingesetzt hatte, jubelte. "Bei der Einführung werden Sicherheitsfragen dann wichtiger sein, als die Frage, wie schnell es geht", versprach die Partei in einer Medienmitteilung.
"Der Willen zur Einführung der elektronischen Stimmabgabe erlaubt es vor allem den Auslandschweizern, ein verfassungsmässig garantiertes Recht wahrzunehmen", heisst es weiter. Wie sich die Ausübung dieses Rechts konkret gestaltet, wird sich im Tessin erst weisen, wenn die Kantonsregierung einen konkreten Vorschlag vorlegt. Zumindest die grundsätzlichen Hürden sind aber aus dem Weg geräumt. © swissinfo.ch
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