Der Tiergarten-Mörder, der 2019 einen Exilgeorgier mitten in Berlin getötet hat, sitzt nicht mehr in der JVA Straubing – er wurde am Donnerstag freigelassen und an Russland übergeben. Eigentlich war Vadim Krasikov 2019 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Dass er jetzt Teil eines Deals ist, ist nur dank eines juristischen Kniffs möglich.

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In Deutschland hätte Vadim Krasikov noch viele Jahre in Haft sitzen müssen: Denn das Urteil des Berliner Kammergerichts, das den Tiergarten-Mörder im Jahr 2021 schuldig gesprochen hatte, lautete "lebenslang". Eine besondere Schwere der Schuld wurde ebenfalls festgestellt.

Nach weniger als 15 Jahren Haft hätte Krasikovs Haft damit nach deutschem Strafrecht eigentlich nicht ausgesetzt werden können. Nun aber ist der Auftragskiller im Rahmen des grössten Gefangenenaustauschs zwischen Russland und dem Westen seit Ende des Kalten Krieges freigekommen.

Insgesamt wurden am Donnerstag (1. August) 26 Personen freigelassen, darunter auch der US-Journalist Evan Gershkovich und der wegen angeblichen Söldnertums und Terrorismus verurteilte Rico K.

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Putin wollte Mörder Krasikov zurück

Dass auch Krasikov irgendwann Teil eines Gefangenenaustauschs sein würde, war abzusehen. Im August 2019 hatte er im Kleinen Tiergarten den Exilgeorgier Zelimkhan Khangoshvili erschossen. Laut Einschätzung des Gerichts im Auftrag der russischen Regierung und als Rache für Khangoshvilis Rolle im Zweiten Tschetschenienkrieg.

Die Hinrichtung mitten in der deutschen Hauptstadt machte damals weltweit Schlagzeilen. Dass Krasikov geschnappt wurde, war nur einem Zufall zu verdanken. Seit seiner Inhaftierung wollte Putin "seinen" Mörder, der seine Haft zuletzt in der JVA Straubing in Niederbayern verbüsste, zurückhaben.

"Ungewöhnlicher" Weg

Laut Informationen des "Spiegel" soll die US-amerikanische Regierung bereits im Jahr 2022 im Zusammenhang mit der Inhaftierung der Basketball-Spielerin Brittney Griner vorgefühlt haben, ob eine Freilassung des Tiergarten-Mörders in Betracht käme. Damals jedoch lehnte die Bundesregierung ab.

Wie kommt es, dass nun ein verurteilter Mörder einfach so – an Gerichten vorbei – freigelassen werden kann? Den Weg, den man in Berlin fand, bezeichnen Beobachter laut ZDF mindestens als "ungewöhnlich". Zumindest sei er eigentlich nicht dafür vorgesehen, verurteilte Straftäter ein Leben in Freiheit zu ermöglichen.

Gefangenenaustausch: Die Bundesregierung hatte zwei Möglichkeiten

Die Bundesregierung, die dieser Tage beteuert, man habe sich die Entscheidung "nicht leicht gemacht", hatte im Grunde zwei Möglichkeiten, um Krasikov im Gefangenenaustausch einzuschliessen. Ein extra Gesetz dafür, Haftstrafen im Rahmen eines solchen Austauschs zu erlassen, gibt es im deutschen Recht nämlich nicht.

Zum einen hätte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) den Tiergarten-Mörder begnadigen können. Der Vollzug der Strafe wäre dann aufgehoben worden. Das Recht zur Begnadigung hat das deutsche Staatsoberhaupt in Bundesangelegenheiten, bei Ländersachen sind die Ministerpräsidenten zuständig. Solche Entscheidungen sind politisch, der Bundespräsident kann nach freiem Ermessen über Gnadengesuche entscheiden. Seine Entscheidungen können gerichtlich später nicht mehr angefochten werden.

Begnadigung durch den Bundespräsidenten

Beispielsweise hatte der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau in den Jahren 2002 und 2003 die beiden verurteilten RAF-Mitglieder Adelheid Schulz und Rolf Clemens Wagner begnadigt. Die Anzahl der Gnadenentscheidungen schwankt in grossem Masse: Während Horst Köhler im Zeitraum von 2004 bis 2010 nur 28 Gnadenentscheidungen traf, waren es bei Richard von Weizsäcker im Zeitraum 1984 bis 1994 fast 300.

Ein Gnadengesuch kommt erst dann infrage, wenn alle anderen rechtlichen Mittel ausgeschöpft sind. Es ist damit die letzte Möglichkeit, um vorzeitig freizukommen. Festgelegte Gründe für einen Gnadenantrag gibt es nicht, es kommt auf den Einzelfall an. Gründe für eine Begnadigung können aber beispielsweise eine schwere Erkrankung oder ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes sein.

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Um den Tiergarten-Mörder zu begnadigen, hätte dem Bundespräsidialamt ein Gnadengesuch vorliegen müssen –das soll aber nicht der Fall gewesen sein. Ausserdem wäre das politische Signal, das von einer solchen Entscheidung ausgegangen wäre, vermutlich katastrophal und somit politisch ausgeschlossen gewesen. Denn eine Begnadigung wirkt immer auch ein Stück weit entschuldigend.

Juristischer Kniff Paragraf 456a

Die Bundesregierung bediente sich daher eines anderen Kniffs: Paragraf 456a der Strafprozessordnung. Diese definiert drei Fälle, in denen der Vollzug der Freiheitsstrafe ausgesetzt werden kann. Einer dieser Fälle: ausländerrechtliche Massnahmen. Krasikov musste also abgeschoben werden.

Die Entscheidung darüber lag – als Ländersache – bei der Ausländerbehörde der Stadt Straubing. Nachdem diese eine Abschiebeanordnung veranlasst hatte, war wiederum die Generalbundesanwaltschaft dafür verantwortlich, Paragraf 456a auch anzuwenden. Diese ist nämlich die zuständige Vollstreckungsbehörde, weil sie Krasikov nach seiner Tat angeklagt hatte.

Wie die "Tagesschau" berichtet, war der Generalbundesanwalt eigentlich gegen die Auslieferung von Krasikov. Doch der muss die Weisungen des Bundesjustizministeriums befolgen, also der Behörde von Marco Buschmann (FDP).

Was den Weg so ungewöhnlich macht, ist folgender Fakt: Mit Paragraph 456a soll die Strafe eigentlich nicht erlassen werden – sondern beispielsweise die Verbüssung in einem anderen Land ermöglicht werden. Dass aber Russland den Tiergarten-Mörder selbst belangen und inhaftieren wird, ist mehr als unwahrscheinlich.

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