Die politische Charmeoffensive gegenüber europäischen Bauern geht in die nächste Runde: Vertreter der EU-Staaten haben in Brüssel grünes Licht für weitere Entlastungen von Landwirten gegeben. Gestreikt wurde trotzdem – und das massiv.
Trotz Zugeständnissen an die Landwirtschaft haben Bauern in Brüssel massiv gegen die Agrarpolitik der EU protestiert. Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichteten, wie die Demonstrierenden im Europaviertel am Dienstag Heuballen und Autoreifen in Brand setzten und Mist auf die Strassen kippten.
Die EU-Staaten hatten am Morgen bereits deutliche Lockerungen der Umweltauflagen und Ausnahmen für kleine Höfe im Eilverfahren vorläufig durchgewunken, Deutschland meldete Umweltbedenken an.
Bauern blockieren Strassen: Polizei in Brüssel im Dauereinsatz
Rund 250 Traktoren blockierten nach Polizeiangaben am Dienstag die Strassen im Brüsseler Europaviertel und wichtige Einfahrtstrassen in die Stadt. Die belgische Polizei warnte vor "äusserst gefährlichen Verkehrssituationen" auf den Autobahnen. Im Europaviertel rollten die Traktoren am Dienstagmittag auf die Barrikaden der Polizei zu. Die Polizei reagierte mit Tränengas und Wasserwerfern.
"Die, die das hier machen, schaden dem Anliegen der Landwirte", urteilte Bundeslandwirtschaftsminister
Streiks und Proteste trotz weitreichender Zugeständnisse
Ein Sonderausschuss im Rat der EU-Staaten hatte am Morgen bereits weitreichende Zugeständnisse an die Landwirtschaft vorläufig durchgewunken. Die EU-Kommission hatte unter anderem Lockerungen der Umweltauflagen und Ausnahmen für kleine Höfe vorgeschlagen. Die Massnahmen sollen nun auch im Europaparlament im Eilverfahren beschlossen und noch im April abgesegnet werden.
Vorgaben für einen Brachlandanteil auf Ackerflächen sollen demnach weiter ausgesetzt bleiben, Regeln für den Anbau die Fruchtfolge und für den Erhalt von Wiesenflächen sollen gelockert werden. Kleine Höfe mit weniger als zehn Hektar müssten zudem nicht mehr mit Kontrollen und Strafen rechnen. Die Mitgliedstaaten bekämen den Vorschlägen zufolge deutlich mehr Spielraum bei der Auslegung der EU-Vorgaben.
Der europäische Bauernverband Copa-Cogeca sprach angesichts des Eilverfahrens von einem "positiven Signal". Die vorgeschlagenen Änderungen böten den Landwirten "die nötige Flexibilität", um auf Klimaereignisse wie Dürren und Überschwemmungen oder geopolitische Krisen zu reagieren, teilte der Verband am Dienstag mit.
Özdemir kritisiert "falschen Weg"
Landwirtschaftsminister Özdemir erklärte hingegen, er habe angesichts der geplanten Zugeständnisse "massive Fragezeichen". Gerade die Fruchtfolge sei wichtig, "um Ernten dauerhaft zu sichern". Die Umweltvorgaben so weitgehend auszusetzen, halte er "für den falschen Weg", betonte Özdemir. Die Bundesregierung hatte in den vergangenen Wochen mehrfach angemahnt, die EU dürfe mit den Zugeständnissen an die Bauern ihre Klimaziele nicht aus den Augen verlieren.
An der Sitzung in Brüssel nahm auch der ukrainische Agrarminister Mykola Solskyj teil, der über die Situation der Landwirtschaft in seinem Land berichtete. "Wir haben derzeit einen grossen Mangel an Arbeitskräften, von denen wir nicht wissen, wo wir sie finden sollen", sagte Solskyj im Interview mit der Nachrichtenagentur AFP. Zudem seien angesichts des Krieges die Kosten für Düngemittel, den Transport von Agrarprodukten und für Versicherungen besonders hoch.
In der EU laufen Verhandlungen über von den Bauern geforderte Beschränkungen für die seit 2022 zollfreie Einfuhr von Agrarprodukten aus der Ukraine. Die EU-Kommission hatte unter anderem Obergrenzen für Eier, Geflügel und Zucker vorgeschlagen. Den Landwirtschaftsverbänden und einigen Mitgliedstaaten wie Frankreich und Polen gehen die geplanten Einschränkungen jedoch nicht weit genug.
Anhaltende Bauernproteste – nicht nur in Brüssel
Bauernverbände in mehreren europäischen Ländern protestieren seit Wochen gegen steigende Produktionskosten, Umweltauflagen aus Brüssel und Agrarimporte aus der Ukraine.
Während eines Treffens der EU-Landwirtschaftsminister Ende Februar hatten die Demonstrierenden in Brüssel Scheiben eingeschlagen und Polizeibeamte mit Gülle bespritzt und mit Mist beworfen. Bei den belgischen Behörden laufen Ermittlungen unter anderem wegen Verleumdung und bewaffneten Aufstands. (AFP/dpa/lag)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.