Bern soll Kritiker in der Schweiz verhaften, verhören und allenfalls bestrafen, wenn sie den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan beleidigen. Ankara hat die Schweizer Justizbehörden um entsprechende Rechtshilfe ersucht. Was der türkische Herrscher damit bezweckt, sagt der Schweizer Investigativ-Journalist Fabian Eberhard, der den Fall publik gemacht hat.
Dreh um Dreh zieht Erdogan die Schraube an gegen alle, die ihn und sein autokratisches Regime kritisieren.
Der jüngste Zug datiert vom 8. Februar 2017: Erdogan entliess fast 4500 Beamte des öffentlichen Dienstes, die meisten aus dem Bildungsministerium.
Darüber hinaus versucht er, seine seit dem Putsch von letztem Juli riesige Säuberungswelle auf die Schweiz auszudehnen: Wer ihn in der Schweiz beleidigt, soll dafür büssen.
Bei den Schweizer Justizbehörden in Bern sind mehrere Rechtshilfeersuche aus Ankara eingegangen. Dies hat der Schweizer Journalist Fabian Eberhard Ende Januar in der SonntagsZeitungexterner Link publik gemacht.
Ein Sprecher des Bundesamtes für Justiz in Bern (BJ) bestätigte gegenüber Eberhard den Eingang von etwa "einem halben Dutzend" Rechtshilfeersuchen. Wie die Schweiz darauf reagieren wird, ist noch nicht bekannt.
swissinfo.ch: Erdogan reicht es offenbar nicht, dass er sein Land eisern im Griff hat. Er will auch Kritiker in der Schweiz bestrafen (lassen). Weshalb ist ihm das so wichtig?
Fabian Eberhard: Es dürfte Erdogan auch darum gehen auszuloten, welche Haltung die Schweiz einnimmt. In erster Linie dürfte es ihm aber darum gehen, ein Exempel zu statuieren. Er will Gegner einschüchtern und zeigen: "Wer mich kritisiert, muss mit Konsequenzen rechnen - auch im Ausland".
Dazu kommt, dass der türkische Machthaber sich wohl tatsächlich schnell persönlich beleidigt fühlt und dann zum Teil willkürlich gegen Kritiker vorgeht.
swissinfo.ch: Für wie realistisch halten Sie die Möglichkeit, dass Erdogan-Kritiker in der Schweiz abgeführt, verhört und allenfalls bestraft werden? Müssen sie tatsächlich Angst haben?
F.E.: Das hängt vom Vergehen ab. Grundsätzlich leistet die Schweiz Ankara Rechtshilfe. Zudem verhinderte der Bund in den vergangenen Jahren in mehreren Fällen nicht, dass Leute an die Türkei ausgeliefert wurden. Meist handelte es sich dabei um Kurden, denen terroristische Aktivitäten im Umfeld der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) vorgeworfen wurden.
Aufgrund der Säuberungswelle in der Türkei dürfte Bern aber vorsichtiger geworden sein. Wer Erdogan in sozialen Medien wie Facebook oder Twitter beleidigt oder kritisiert, wird in der Schweiz zurzeit wohl kaum belangt werden.
swissinfo.ch: Für wie stark halten Sie den Druck, den Erdogan mit der angeforderten Rechtshilfe gegen Bern aufbaut?
F.E.: Die Rechtshilfeersuchen an die Schweiz dürften für Erdogan ein Nebengleis sein. Sein Fokus ist auf andere Länder gerichtet. Von daher hält sich der Druck wohl in engen Grenzen.
swissinfo.ch: Wie soll sich die Schweiz verhalten?
F.E.: Noch ist nicht klar, was die Beschuldigten genau getan haben. Handelt es sich tatsächlich um blosse Erdogan-Beleidigungen in sozialen Medien, ist der Fall für mich klar: Bern darf dem türkischen Autokraten nicht dabei helfen, Gegner einzuschüchtern und sie mundtot zu machen. Die Schweiz sollte sich nicht als Handlanger für Erdogans Kampf gegen Oppositionelle einspannen lassen.
Der Bund kann sich auf das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen berufen. Dieses erlaubt es der Schweiz, die Hilfe zu verweigern, wenn die Verfahren nach schweizerischer Auffassung politischen Charakter haben.
swissinfo.ch: Was steht für die Schweiz auf dem Spiel?
F.E.: Das ist schwierig einzuschätzen. Natürlich unterhält die Schweiz wirtschaftliche und politische Beziehungen zur Türkei. Ich glaube aber nicht, dass diese aufgrund der paar Rechtsfälle ernsthaft getrübt würden. Allenfalls sorgt eine Ablehnung der Gesuche für kurzfristige diplomatische Verstimmungen hinter den Kulissen. Länder wie Deutschland haben da deutlich mehr zu verlieren, etwa mit dem Flüchtlings-Deal.
swissinfo.ch: Sehen Sie eine Möglichkeit, wie das Ausland, in erster Linie die Demokratien Europas, den Umbau der Türkei in einen autoritären Führerstaat aufhalten können?
F.E.: Die Türkei ist bereits heute ein autoritärer Staat. Erdogan will seine Macht aber noch weiter ausbauen und jegliche Opposition komplett ausschalten.
Länder wie die Schweiz müssen auf diplomatischer Ebene Druck machen, auf die Einhaltung der Menschenrechte pochen und demokratische Kräfte der Zivilgesellschaft in der Türkei unterstützen. Erdogan sollte klar gemacht werden: Wenn er den eingeschlagenen Weg weiter geht, muss er mit Konsequenzen rechnen - auch wirtschaftlich. Dort liegt sein wunder Punkt.
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Riesige Säuberungswelle und kein Ende in Sicht
Laut turkeypurge.comexterner Link, einem türkischen Journalisten-Netzwerk, hat Erdogan seit dem Putsch und der Verhängung des Ausnahmezustandes im Juli 2016 über 128'000 Personen aus dem Staatsdienst entfernt.
Betroffen sind u.a. über 7300 Akademiker und über 3800 Richter.
Über 45'000 Personen wurden verhaftet, darunter 162 Journalisten. Über 91'000 wurden vorübergehend festgenommen.
Geschlossen wurden 149 kritische Medien sowie rund 2100 Schulen und Universitäten (Stand 9. Februar 2017).
Von der kurdischen Partei HDP, die bei den Wahlen vom Juli 2015 aus dem Nichts auf 13,1% kam, sind fast 1500 Mitglieder in Haft, darunter die Führungsspitze. © swissinfo.ch
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