Recep Tayyip Erdogan fürchtet ihn offenbar so sehr, dass er bereits drei Jahre vor der Präsidentschaftswahl versucht, eine Kandidatur Ekrem Imamoglus zu verhindern. In der Türkei protestieren landesweit Millionen Menschen gegen die Verhaftung des CHP-Politikers. In den Fokus rückt derweil immer weiter seine Ehefrau Dilek Imamoglu. Könnte sie das politische Erbe ihres Mannes antreten?
Sie lächelt selbstsicher in die Kamera, die blond-gefärbten Haare hat sie hochgesteckt, neben ihr steht ihr Ehemann, er trägt Frack und Fliege. Im Hintergrund ist ein rotes Flaggenmeer zu erahnen. Es ist das "X"-Profilbild von Dilek Imamoglu, der Ehefrau des Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem Imamoglu.
Seit der Oppositionsführer und CHP-Politiker Mitte März verhaftet und als Oberbürgermeister abgesetzt wurde, rückt Ehefrau Dilek immer weiter in den Fokus. Dem erstmals 2019 bei den Kommunalwahlen gewählten Imamoglu, der vorher bereits Bezirksbürgermeister war, werfen die Behörden unter anderem Korruption vor. Auch bezichtigen sie ihn der Unterstützung der in der Türkei verbotenen kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und der Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK).
Ekrem Imamoglu: Kandidat für die Wahl 2028
Der Zeitpunkt der Verhaftung, so sagen Beobachter, kam dabei nicht zufällig: Nur kurze Zeit später hätte Imamoglu offiziell zum Präsidentschaftskandidaten für die Wahl im Jahr 2028 gekürt werden sollen. Die CHP, die Partei von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk, nominierte ihn dennoch. Eine Bestätigung durch die als regierungsfreundlich geltende türkische Wahlbehörde YSK ist jedoch fraglich.
Kurz vor seiner Verhaftung hatte die Istanbuler Universität Imamoglus Abschluss wegen angeblicher "Unregelmässigkeiten" annulliert. Ohne Universitätsabschluss wäre Imamoglu von der Präsidentschaftswahl ausgeschlossen, denn dieser ist in der Türkei eine Voraussetzung.
Grösster Konkurrent von Erdogan
Imamoglu ist der grösste Rivale von Präsident Recep Tayyip Erdogan – das ist spätestens seit seinem deutlichen Wahlsieg bei der Bürgermeisterwahl 2019 klar, als er gegen Ex-Premierminister Binali Yildirim gewannt. In Meinungsumfragen liegt Imamoglu immer wieder vor Erdogan.
Imamoglu wurde am 4. Juni 1970 in der Nähe von Trabzon – einer Stadt direkt am Schwarzen Meer im Nord-Osten der Türkei – in eher ärmliche Verhältnisse geboren. Seine Familie betrieb einen Laden für Handwerksbedarf und baute ab Ende der 1980er-Jahre in Istanbul ein Bauunternehmen auf.
Fan von Staatsgründer Atatürk
Imamoglu studierte Betriebswirtschaft an der amerikanischen Universität Girne in Kyrenia (Zypern) und an der Universität Istanbul. Einen Master machte er im Bereich Personalwesen. Zunächst eröffnete der heute 54-Jährige einen Köfte-Imbiss, stieg später aber in die Baufirma seiner Familie ein – inzwischen wurde die Firma beschlagnahmt.
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Als Oberbürgermeister von Istanbul verbesserte Imamoglu den Erdbebenschutz und setzte sich für soziale Projekte wie den Ausbau von Kindergärten oder vergünstigte Studententickets ein.
Er ermöglichte den Menschen in Istanbul mehr Mitsprache und ging gegen die Vetternwirtschaft in der AKP vor – etwa durch die Streichung von Geldern für AKP-nahe religiöse Stiftungen und Vereine. Imamoglu positionierte sich aber auch gegen zu viel Zuwanderung aus Syrien, da diese die Istanbuler Kultur verdränge.
In der Jugend soll er bereits politisch interessiert gewesen sein. In seiner Gemeinde Beylikdüzü in der Provinz Istanbul engagierte sich der gläubige Muslim im Vorstand des Fussballklubs, galt als gut vernetzt und spendete viel. Ob ihn die Faszination von Atatürk oder seine Ehefrau Dilek zur CHP brachte, ist nicht eindeutig geklärt. Eine Erzählung lautet, seine politisch weiter links als er eingestellte Frau habe gesagt: Wenn er in die Politik gehe, dann nur in die CHP.
Seine eigene Biografie macht Imamoglu aber auch für konservativ-religiöse Familien wählbar. Wegbegleiter, die über seine Politik sprechen, beschreiben einen präsenten, bürgernahen und redegewandten Menschen. Statt einem "von oben nach unten" versuche Imamoglu es andersherum. Auch für viele Türken in Deutschland verkörpert Imamoglu Demokratie und Gerechtigkeit.
Ehefrau könnte politisches Erbe fortführen
Nun könnte es Ehefrau Dilek sein, die das politische Erbe ihres Mannes fortführt. So schrieb beispielsweise der "Hürriyet"-Autor Abdulkadir Selvi: "Sie hat alle mit ihrer Rede in Saraçhane und ihrem Auftritt bei der Kundgebung in Maltepe beeindruckt."
Sie selbst postete erst küzlich auf "X": "Gerechtigkeit kann nicht verboten werden. Das Gewissen kann nicht eingesperrt werden." Und bei den landesweiten Protesten rief sie, adressiert an Erdogan: "Er wird Dich besiegen, du wirst verlieren! Die Ungerechtigkeit, mit der Ekrem konfrontiert ist, berührt jedes Gewissen!"
Dilek Imamoglu - das "Rückgrat des Hauses"
Dilek, die sich bereits in der Vergangenheit häufig an der Seite ihres Ehemannes zeigte, wurde am 18. November 1974 in der türkischen Hafenstadt Trabzon geboren. Ihren Mann lernte sie in Istanbul kennen. In einem Interview mit "Cumhuriyet TV" bezeichnete Ekrem sie als "Rückgrat unseres Hauses. Sie ist nicht nur meine Frau, sondern auch meine grösste Unterstützerin."
Das Paar, das bereits mit Anfang 20 heiratete, hat drei Kinder. Der älteste Sohn, Mehmet Selim Imamoglu, ist 28 Jahre alt und besuchte die Yeşilköy Anatolian High School sowie die Technische Universität Istanbul (ITU) für ein Bauingenieursstudium.
Fokus auf Minderheiten
Zu den politischen Themen, die Dilek Imamoglu wichtig sind, zählen vor allem Minderheiten. So machte sie beispielsweise auf die Rechte von Menschen mit Behinderungen aufmerksam, indem sie einen Tag lang im Rollstuhl durch Istanbul fuhr. Aktionen wie diese haben ihre Bekanntheit und Beliebtheit gesteigert.
Ihre Masterarbeit im Bereich "Öffentliche Verwaltung" an der Kadir-Has-Universität schrieb sie über ein feministisches Thema, nämlich über die "gläserne Decke". Dabei geht es um unsichtbare Grenzen, die Frauen und Minderheiten davon abhalten, berufliche Führungspositionen zu erreichen.
Sollte Imamoglu tatsächlich 2028 kandidieren, würde sie eben jene Decke selbst durchbrechen.
Verwendete Quellen
- dw.com: Dilek Imamoglu: Die Frau, die Erdogan herausfordert
- CNN World: Turkey detains Istanbul’s mayor, a key rival of President Erdogan
- munzinger.de: Ekrem Imamoğlu
- euronews.com: CHP cumhurbaşkanı adayı ön seçimi: Yaklaşık 15 milyon kişi oy kullandı
- stern.de: Auf den Spuren von Ekrem Imamoglu, der Erdogan bei der nächsten Präsidentschaftswahl gefährlich werden könnte
- x.com: Profil von Dilek Kaya Imamoglu