Kirche, Moschee und dann Museum - die Hagia Sophia ist eines der beliebtesten Bauwerke Istanbuls. Nun annulliert ein Gericht den Status als Museum und Erdogan eröffnet sie zum Gebet. Seine Anhänger jubeln, Griechenland spricht von Provokation.
Rund 90 Jahre nach der Umwandlung des Istanbuler Wahrzeichens Hagia Sophia in ein Museum durch Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk ist das Gebäude wieder eine Moschee. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ordnete am Freitag die Öffnung zum islamischen Gebet an. Mit dem Beschluss, den Erdogan auf Twitter teilte, übergab er die Leitung der "Hagia Sophia Moschee" zudem an die Religionsbehörde Diyanet.
Eröffnung in zwei Wochen
Erdogans Anordnung kam unmittelbar nach einer Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts in Ankara, das den Status der einstigen Kirche als Museum annullierte und damit den Weg für eine Umwandlung in eine Moschee freimachte. Das Gericht begründete seine Entscheidung laut Anadolu damit, dass die Hagia Sophia Eigentum einer von Sultan Mehmet II. ("Der Eroberer") gegründeten Stiftung sei. Der Sultan hatte die Hagia Sophia nach der Eroberung Konstantinopels (heute: Istanbul) 1453 in eine Moschee umgewandelt. Laut Stiftung sei sie als Moschee definiert und dürfe nicht anders als zu diesem Zweck genutzt werden.
Sie soll bereits in zwei Wochen als Moschee genutzt werden können, sagte Erdogan am Freitagabend: "Wir planen, die Vorbereitungen schleunigst zu beenden und am Freitag, den 24. Juli 2020, die Hagia Sophia gemeinsam mit dem Freitagsgebet für Gebete zu eröffnen."
Die Kritiker rief Erdogan auf, die Entscheidung zu respektieren. "Wie die Hagia Sophia genutzt wird, hat etwas mit den Souveränitätsrechten der Türkei zu tun." Der Eintritt werde gratis sein und allen offen stehen, "für Muslime und Nichtmuslime".
Kritiker: "Die Sorge von Millionen von Christen wurde nicht gehört"
Griechenland und die russisch-orthodoxe Kirche kritisierten die Entscheidung scharf. Die griechische Kulturministerin Lina Mendoni sprach von einer "Provokation für die zivilisierte Welt". Erdogan führe "sein Land sechs Jahrhunderte zurück." Wladimir Legoida vom Moskauer Patriarchat sagte der Agentur Interfax: "Die Sorge von Millionen von Christen wurde nicht gehört."
Die Entscheidung dürfte die Beziehung zwischen den Nachbarn Griechenland und der Türkei weiter verschärfen, die sich ohnehin schon um Erdgasvorkommen im Mittelmeer und Migrationsthemen streiten. Auch Ärger mit der Unesco ist programmiert. Die Hagia Sophia gehört seit 1985 als Teil der Istanbuler Altstadt zum Unesco-Weltkulturerbe.
Befürworter: "Fatih Sultan Mehmet hat sie uns anvertraut"
Vor der Hagia Sophia sammelte sich spontan eine Gruppe Befürworter der Entscheidung. Sie riefen "Allahu Akbar!" ("Gott ist gross!"). Ayse Alkan, die sich eine türkische Flagge um die Schultern geschlungen hatte, sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Entscheidung Atatürks von damals, die Hagia Sophia zu einem Museum zu machen, sei von vorneherein falsch gewesen. "Fatih Sultan Mehmet hat sie uns anvertraut. So wichtig die Kirchen für die Christen sind, so wichtig ist die Hagia Sophia für uns." Die Polizei sperrte den Platz vor der Hagia Sophia ab. Beamte der Einsatzpolizei brachten sich in Stellung, es blieb aber zunächst ruhig.
Die Hagia Sophia (griechisch: Heilige Weisheit) wurde im 6. Jahrhundert nach Christus erbaut und war Hauptkirche des Byzantinischen Reiches, in der die Kaiser gekrönt wurden. Nach der Eroberung des damaligen Konstantinopels durch die Osmanen im Jahr 1453 wandelte Sultan Mehmet II. die Hagia Sophia in eine Moschee um und liess als äusseres Kennzeichen vier Minarette anfügen. Auf Betreiben des türkischen Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk ordnete der Ministerrat im Jahr 1934 die Umwandlung der Hagia Sophia in ein Museum an. Dieser Beschluss Atatürks ist nun durch den Gerichtsbeschluss ungültig.
Unesco bedauert Umwandlung in Moschee
Die Unesco hat die Umwandlung der Hagia Sophia "zutiefst bedauert". Generalsekretärin Audrey Azoulay habe gegenüber dem türkischen Botschafter am Freitagabend ihre tiefe Besorgnis zum Ausdruck gebracht, teilte die Unesco mit. Die Entscheidung für die Umwandlung sei ohne vorigen Dialog getroffen worden.
"Die Heilige Sophia ist ein architektonisches Meisterwerk und ein einzigartiges Zeugnis der Begegnung von Europa und Asien im Laufe der Jahrhunderte. Sein Status als Museum spiegelt die Universalität seines Erbes wider und macht es zu einem starken Symbol des Dialogs", erklärte Azoulay.
"Die heute verkündete Entscheidung wirft die Frage auf, wie sich die Änderung des Status auf den universellen Wert des Eigentums auswirkt", hiess es weiter von der Unesco. Derartige Änderungen müssten der Unesco vorher mitgeteilt und, falls erforderlich, vom Komitee für das Erbe der Welt geprüft werden. Die Unesco fordert die türkischen Behörden nun auf, unverzüglich einen Dialog aufzunehmen.
Will Erdogan seine religiöse Anhängerschaft hinter sich vereinen?
Kritiker werfen Erdogan vor, mit der Diskussion um das Bauwerk von wirtschaftlichen Problemen ablenken zu wollen oder das Thema in der Vergangenheit vor Wahlen auf die Tagesordnung gesetzt zu haben, um seine religiöse Anhängerschaft hinter sich zu vereinen. Ende Mai hatte Erdogan zum Jahrestag der Eroberung Konstantinopels ein islamisches Gebet in der Hagia Sophia abgehalten.
Nun überliess Erdogan die Entscheidung dem Obersten Verwaltungsgericht. Die Opposition lässt allerdings keinen Zweifel daran, wer ihrer Meinung nach dahintersteckt: Erdogan persönlich. CHP-Sprecher Faik Öztrak hatte erst kürzlich kritisiert, dass die Justiz von Erdogans Regierung kontrolliert werde und nicht gegen deren Willen handele.
Der Analyst Kadri Gürsel nannte die Hagia Sophia das "Stressbarometer" der Regierung. Diese habe keine Themen mehr, mit denen sie werben könne und keine Lösungen für die Probleme des Landes. Innenpolitisch habe sich niemand gegen die Umwandlung in eine Moschee gestellt, aber Erdogan würde davon profitieren, wenn sich Griechenland und die orthodoxe Welt dagegen stellten. Die Regierung schlage aus Polarisierung "politischen Profit."
Auch als Moschee können Touristen die Hagia Sophia voraussichtlich besichtigen, ähnlich wie die nahe gelegene Blaue Moschee in der Istanbuler Altstadt. Im vergangenen Jahr zog die Hagia Sophia nach offiziellen Angaben 3,7 Millionen Besucher an und war damit das meistbesichtigte Museum in der Türkei. (ash/dpa)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.