"Massaker" an Zivilisten wirft der türkische Präsident Syrien und Russland in Idlib vor. Er verschärft seine Drohungen gegen Damaskus und verhandelt erneut mit Syriens Schutzmacht Moskau. Aber dort verteidigt man den Vormarsch der Syrer.
Nach bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen türkischem und syrischem Militär hat Ankara seine Drohungen in Richtung Damaskus verschärft. Im Fall weiterer Angriffe auf türkische Soldaten im Norden Syriens will Präsident Recep Tayyip Erdogan nun auch jenseits der umkämpften Rebellenhochburg Idlib zurückschlagen. Wenn den türkischen Soldaten "auch nur der kleinste Schaden zugefügt wird, dann werden wir ab heute die Kräfte des Regimes überall angreifen, ohne an Idlib oder die Grenzen des Sotschi-Abkommens gebunden zu sein", sagte Erdogan am Mittwoch während einer Rede vor Mitgliedern seiner Regierungspartei AKP.
Die syrische Regierung wies die Drohungen zurück. Es handele sich um hohle und leere Erklärungen einer realitätsfremden Person, die die Lage nicht verstehe, hiess es aus dem Aussenministerium in Damaskus, wie die Staatsagentur Sana meldete. Die syrische Armee werde weiter "Terrororganisationen" in der Region bekämpfen.
Einigung auf Deeskalationszone
Erdogans Hinweis auf das Sotschi-Abkommen bezieht sich auf eine Einigung zwischen der Türkei und Russland als Schutzmacht Syriens. Damit sollte unter anderem in Idlib eine Deeskalationszone entstehen. Die Türkei, die im syrischen Bürgerkrieg islamistische Rebellen unterstützt, richtete daraufhin dort Beobachtungsposten ein. Dennoch begann das syrische Militär eine Offensive auf Idlib. In den vergangenen Tagen hatte es grosse Geländegewinne gemeldet.
Dabei waren binnen einer Woche auch mehrere türkische Soldaten getötet worden - Erdogan sprach am Mittwoch von 14 Toten und 45 Verletzten. Die Türkei startete Gegenangriffe und gab an, zahlreiche syrische Soldaten getötet zu haben.
Türkei will Stellungen ausbauen
Die Eskalation hatte Sorgen vor einer Ausweitung der Gefechte geschürt. Dennoch scheint sich Erdogan zunächst an ein bereits zuvor bis Ende Februar befristetes Ultimatum halten zu wollen: Bis dahin müsse sich Syrien von den türkischen Posten zurückgezogen haben, sonst werde die Türkei die Sache selber in Hand nehmen. Die Regierung habe dafür in den vergangenen Tagen ihre militärische Präsenz in Idlib "ernsthaft ausgebaut", sagte Erdogan am Mittwoch.
Hunderttausende Menschen sind wegen der syrischen und russischen Angriffe auf der Flucht, viele in Richtung türkische Grenze. Das hatte in der Türkei, die bereits Millionen Flüchtlinge beherbergt, Sorge ausgelöst. Erdogan warf Syrien und seinen Unterstützern "Massaker" vor. Sie zielten nicht auf Terroristen, sondern direkt auf Zivilisten ab. Ziel sei, die Bevölkerung Richtung türkische Grenze zu zwingen, um dann die Region "problemlos besetzen" zu können.
Moskau widerspricht Erdogan
Der Kreml wies Erdogans Anschuldigungen zurück. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte, Terroristen verübten in Idlib weiter Angriffe auf die syrische Armee und die russischen Militärbasen, obwohl die Türkei sich verpflichtet habe, sie zu vernichten. Die syrische Armee nehme nicht Zivilisten ins Visier, sondern Terroristen.
Zuvor hatte es zu Idlib ein weiteres Telefonat zwischen Erdogan und Kremlchef Wladimir Putin gegeben. Dem Kreml zufolge wollen sich Russland und die Türkei gemeinsam weiter an die Vereinbarungen von Sotschi halten.
Moskau und Damaskus warfen dem Westen am Mittwoch anhaltende Unterstützung von Terroristen in Idlib vor. Die syrische Armee habe bei ihrem Vorrücken grosse Mengen an Kriegsgerät, Waffen und Munition sichergestellt, berichtete die Agentur Interfax unter Berufung auf russische und syrische Regierungsvertreter. Demnach stammt die Ausrüstung teils aus westlicher Produktion. "Das zeugt von einer andauernden Unterstützung der Rebellen aus dem Ausland."
Statement von Russland und Syrien
Zugleich verteidigten Moskau und Damaskus die Offensive der syrischen Armee. Die bewaffneten Gruppierungen hätten die von russischer und syrischer Seite eingerichteten humanitären Korridore für Flüchtlinge in den Provinzen Idlib, Aleppo und Hama blockiert und teils vermint. "Als Antwort auf die ständigen Provokationen der Terroristen waren die Einheiten der syrischen Armee zum Handeln gezwungen, um die Sicherheit des von der Regierung kontrollierten Gebietes zu gewährleisten", hiess es in der Mitteilung.
Dominiert wird die letzte grosse Rebellenhochburg Idlib von der Al-Kaida-nahen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS). Dort kämpfen aber auch moderatere Regierungsgegner. Die beklagen seit langem, vom Westen keine Hilfe mehr zu erhalten. Syriens Regierung bezeichnet generell alle Rebellen als Terroristen.
Maas zeigt sich besorgt
Am Mittwoch war der US-Sonderbeauftragte für die Anti-IS-Koalition, James Jeffrey, in der Türkei. Die USA hatten die Angriffe auf die türkischen Soldaten zuvor verurteilt.
Der deutsche Aussenminister Heiko Maas zeigte sich besorgt über die Lage in Idlib. "Die Situation in Idlib spitzt sich gerade noch einmal dramatisch zu und nimmt das Ausmass einer humanitären Katastrophe an", sagte Maas der "Süddeutschen Zeitung" (Donnerstag). "In einem türkisch-russischenKonflikt auf dem Rücken der Menschen in Syrien wird es nurVerlierer geben. Deswegen brauchen wir eine politische Lösung,mit der auch das türkische Engagement in Syrien derVergangenheit angehört", erklärte der SPD-Politiker. (mss/dpa)
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