Ob es noch am Montag offizielle Endergebnisse der Kommunalwahlen in der Türkei geben wird, ist weiter unklar. Klar jedoch ist: Für Präsident Erdogan war es mehr als "nur" eine Kommunalwahl. Im Wahlkampf hatte er den Urnengang zu einer Frage um den Fortbestand des Landes hochstilisiert. Ausgerechnet in Ankara und Istanbul könnte die AKP verlieren. Hat die Partei auf die falschen Themen gesetzt?

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Nach einer dramatischen Wahlnacht sieht auch die türkische Wahlbehörde YSK die Opposition im Rennen um das Bürgermeisteramt in der wichtigen Wirtschaftsmetropole Istanbul vorne - um Haaresbreite.

Demnach führte der Kandidat der Mitte-Links-Partei CHP, Ekrem Imamoglu, am Montagmorgen mit 27.889 Stimmen vor dem Kandidaten der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP, Ex-Ministerpräsident Binali Yildirim.

Allerdings fehlen noch die Resultate von 84 Urnen, so der Chef der türkischen Wahlbehörde YSK, Sadi Güven, in einem TV-Interview. Offenbar legen beide Parteien noch Beschwerden ein. Dafür sind drei Tage Zeit, so Güven weiter.

In der Hauptstadt Ankara liegt nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu der Oppositionskandidat von der CHP, Mansur Yavas, aktuell bei mehr als 50 Prozent. AKP-Kandidat Mehmet Özhaseki hatte rund 47 Prozent bekommen. Auch hier erklärte sich die CHP zum Sieger.

Die AKP will nun Einspruch einlegen. Generalsekretär Fatih Sahin schrieb am frühen Morgen auf Twitter, die Partei werde "ihre Rechte nutzen". Es habe in Ankara "viele ungültige Stimmen und Regelwidrigkeiten" gegeben.

Wirtschaft schwächelt - doch Erdogan setzt auf Religion als Wahlkampfthema

Die Verluste gelten auch als eine Reaktion auf die schlechte wirtschaftliche Lage, die viele Menschen in der Türkei verängstigt und erbost. Die Lira hat massiv an Wert verloren, die Zahl der Arbeitslosen stieg innerhalb eines Jahres um rund eine Million und die Inflation um rund 20 Prozent. Lebensmittel wurden besonders teuer.

Im Wahlkampf hatten Erdogan und die AKP jedoch nicht vorrangig auf Wirtschaftsthemen gesetzt. Stattdessen stand vor allem der Präsident selbst im Zentrum. Auf Plakaten, im Fernsehen und in den Zeitungen – fast täglich hielt Erdogan Reden und tourte durch das halbe Land. Sein Rekord lag bei acht Auftritten an einem Tag, in voller Länge ausgestrahlt von vielen Fernsehsendern.

Die Wahl stilisierte er zu einem Kampf um Fortbestand oder Niedergang des Landes hoch. Seine Gegner hatte Erdogan dämonisiert als Terroristen, Kriminelle oder als "Unverschämte", die Gebetsruf, Fahne und Moral entehrten - unter ihnen Teilnehmerinnen einer grossen Frauentagsdemo in Istanbul, denen er vorwarf, dass sie während des Gebetsrufs weiter gesungen und Slogans gerufen hätten.

Hagia Sophia als Wahlgeschenk?

Religion war ein Thema im Wahlkampf, das besonders stark polarisierte. Bei seinen Veranstaltungen hatte Erdogan immer wieder das Video des Attentäters von Christchurch gezeigt. Auch das Thema Hagia Sophia - mit dem Erdogan schon seit Jahren kokettiert - war nach den Moscheeangriffen in Neuseeland wieder hochgekocht.

Die im 6. Jahrhundert nach Christus erbaute Hagia Sophia (griechisch: Heilige Weisheit) war fast ein Jahrtausend lang das grösste Gotteshaus der Christenheit. Nach der Eroberung des damaligen Konstantinopels 1453 wandelten die Osmanen die Kirche in eine Moschee um. Seit 1934 ist sie ein Museum und zieht jährlich Hunderttausende Besucher an.

Im Wahlkampf hatte Erdogan gesagt, es sei "nicht unmöglich", dass aus der Hagia Sophia wieder eine Moschee werde. In dem Interview mit dem Sender A-Haber stellt er es so dar, als ob die Entscheidung gefallen sei. "Hagia Sophia wird nicht länger Museum genannt werden. Sie wird aus diesem Status herausgenommen. Wir werden Hagia Sophia eine Moschee nennen", sagte Erdogan Anadolu zufolge.

Rund 57 Millionen Türken waren aufgerufen, in 81 Provinzen Bürgermeister, Gemeinderäte und andere Kommunalpolitiker zu wählen. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 84 Prozent. (dpa/dh)

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