Auf einer Demo in Bern ist die Revolutionäre Jugendgruppe Bern vor knapp einer Woche mit einem "Kill Erdogan"-Plakat durch die Stadt gezogen. Das hat weitreichende Konsequenzen - sowohl auf juristischer als auch auf politischer Ebene.
Eine friedlich verlaufene Demonstration von Erdogan-Gegnern am vergangenen Samstag in Bern hat zu einer mittleren Krise zwischen der Schweiz und der Türkei geführt.
Anlass dafür war ein Transparent, auf dem die Aufforderung "Kill Erdogan with his own weapons" ("Tötet Erdogan mit seinen eigenen Waffen") zu sehen war mitsamt einer Pistole, die sich auf den Kopf des türkischen Präsidenten richtete.
Das blieb Ankara nicht verborgen. Noch am selben Tag telefonierte der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu mit Amtskollege Didier Burkhalter. Der Schweizer Türkei-Botschafter Walter Haffner wurde zum Rapport zitiert. Ein diplomatischer Affront.
Auch wenn die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland gegen die Initiatoren – die Revolutionäre Jugendgruppe Bern (RJG) – Strafanzeige wegen Aufrufs zu Gewalt und Verbrechen einleitete, gehen die Wogen in der Türkei weiter hoch.
Auch Organisatoren droht Busse
Selbst die Staatsanwaltschaft in Istanbul schaltete sich laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu in dem Fall wegen "Mitgliedschaft in einer Terrororganisation", "Beleidigung des Präsidenten" und "Propaganda für eine Terrororganisation" ein. Die Behörden in Bern wiederum nahmen die Organisatoren der Veranstaltung ins Visier, die allerdings selbst von der Plakataktion überrascht wurden.
"Im Fokus stehe dabei die Frage, was die Veranstalter unternommen haben, damit der Transparent-Vorfall hätte verhindert werden können", so der Berner Sicherheitsdirektor Reto Naus (CVP) in einem Gespräch mit der Tageszeitung "Blick".
Drohte eine Schlägerei?
Mitorganisatorin war neben vielen türkischen und kurdischen Organisationen, Gewerkschaften und den Grünen auch die SP Schweiz. Wegen Verstosses gegen die Bewilligungsauflagen droht den Veranstaltern eine Busse von maximal 5.000 Franken.
"Hätten wir das Transparent entfernt, wäre es zu einer Schlägerei gekommen", argumentiert Peter Hug, internationaler Sekretär der SP. Er bereitete die Kundgebung vor. Für den öffentlichen Aufruf zu Gewalt und Verbrechen, wie durch die Revolutionären geschehen, sieht der Staat laut Artikel 259 des Schweizerischen Strafgesetzbuches Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren vor.
Nähere Angaben zu den Verdächtigen gibt es von Seiten der Staatsanwaltschaft jedoch nicht. Es ist auch unklar, ob es überhaupt schon Anhaltungen gab.
Fastnächtler als "Terroristen" beschimpft
Die Konsequenzen scheinen – abgesehen von den Strafverfahren - jedenfalls weitreichend zu sein. Recep Tayyip Erdogan reagierte empört und warf Europa erneut Faschismus vor - womit auch die Schweiz gemeint war.
Die türkische Presse schoss sogar gegen Fastnächtler. Da sich die Fasnachtsclique Basler Mittwoch-Gesellschaft (BMG) auf ihren Umzügen über "Erdowaan" lustig gemachte hatte, wurden sie in Ankara als Terroristen abgestempelt. So titelte die regierungstreue Zeitung "Yeni Akit", dass die "Fethullah-Terroristen" nun aus der Schweiz aus angriffen.
Was sich da in Basel abgespielt habe, sei ein Demonstrationszug von Mitgliedern der kurdischen PKK und den Fethullah-Terroristen gewesen, hiess es. Die Teilnehmer hätten sich speziell für die "Demonstration" kostümiert, um gegen den türkischen Präsidenten zu hetzen.
24 Websites gehackt
Am Donnerstag wurde bekannt, dass 24 Schweizer Unternehmen Opfer einer türkischen Cyber-Attacke wurden. "Unsere internen Angelegenheiten gehen euch nichts an. Glaubt nicht, dass ihr mit eurer Solidarität mit den Terroristen ungeschoren davonkommt. Wir sind immer und überall bereit!", richteten die Hacker aus. Attackiert wurden unter anderen die Websites einer Fengshui-Beraterin aus Lachen SZ, eine Karosserie-Garage in Flims GR und das Badi Wüflingen in Winterthur ZH.
Schweiz will zurück zur Normalität
Auf Schweizer Seite ist man um Entspannung bemüht, seit die Krise hochkochte. So sagte das alevitische Kulturzentrum Regio Basel in Absprache mit der Sicherheitsbehörde und der Polizei eine geplante Veranstaltung in Alschwil/BL für Sonntag kurzfristig ab. Der Grund: Die HDP-Politikerin Tugba Hezer Öztürk war als Gast geladen, worüber sich Erdogan-Anhänger empört gezeigt hatten.
Das türkische Parlament hatte die Immunität der jungen Abgeordneten, die mittlerweile in Deutschland lebt, aufgehoben und eröffnete ein Strafverfahren. Die 27-Jährige wird der Unterstützung der PKK, die in der Türkei als Terrororganisation gilt, und der Beihilfe bei der Beschaffung von Waffen beschuldigt.
Bei einer Rückkehr in die Türkei droht Hezer lebenslange Haft. Sollte es bei der Veranstaltung zu den gefürchteten Ausschreitungen kommen, würde dies der Integration der Kurden, Aleviten und Türken in der Schweiz schaden, meinen Behörden und Verein. Das möchte man nicht riskieren.
Hintergrund ist, dass die Schweiz – anders als die EU – die PKK (Arbeiterpartei) Kurdistans nicht als Terrororganisation betrachtet. Das verschärft die Missstimmung zusätzlich. Aussenminister Burkhalter bleibt dennoch gelassen und mahnte an, nun müsse wieder Normalität einkehren. Alle verantwortlichen Personen, sagte er zum "Blick", müssten einen Beitrag zur Vernunft beisteuern.
Dissonanzen zwischen Türkei und Schweiz nicht neu
Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Türkei sind nicht erst seit dem Plakat-Vorfall Spannungen geprägt. 1993 etwa fielen in Bern Schüsse aus der türkischen Botschaft. Ein kurdischer Demonstrant wurde getötet. Die Schweiz verlangte die Aufhebung der Immunität des türkischen Botschafters, worauf Ankara diesen abzog und im Gegenzug den Botschafter der Schweiz in der Türkei auswies.
Erst eineinhalb Jahre später tauschten die beiden Staaten wieder Botschafter aus. Im selben Jahr sprach sich die Schweiz auch gegen ein Verbot der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) aus, was zu weiterer Missstimmung führte.
Als das Genfer Kantonsparlament 1998 die Anerkennung des Genozids an den Armeniern im Ersten Weltkrieg beschloss, kam es erneut zu Spannungen zwischen den beiden Ländern. 2003 folgte das Waadtländer Parlament sowie der Nationalrat dem Entscheid. Wieder wurde der Botschafter zurückgezogen.
Von der Schweiz provoziert fühlte sich die Türkei auch, als 2013 bekannt wurde, dass eine Armenier-Gedenkstätte unmittelbar beim Genfer Uno-Sitz entsteht.
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