Im Visastreit mit den USA legt sich die Türkei einmal mehr mit einem übermächtigen Gegner an. Ein gefährlicher Weg – denn Recep Tayyip Erdogan bleiben nicht mehr viele politische Freunde auf der Welt. Nicht nur mit Deutschland hat er es sich verscherzt – der türkische Präsident führt sein Land zunehmend in die Isolation.

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In der vergangenen Woche war ein türkischer Mitarbeiter des US-Generalkonsulats in Istanbul verhaftet worden. Als Reaktion setzten die USA die Visa-Vergabe für Reisen in die USA aus.

Die türkische Regierung reagierte, indem sie ihrerseits die Visa-Vergabe an US-Staatsbürger stoppte – sie verwendete dazu eine fast wortgleiche Kopie der US-Mitteilung.

"Erdogan scheint nicht verstanden zu haben, dass man so undiplomatisch vielleicht mit einem x-beliebigen Staat umgehen kann – aber bestimmt nicht mit den USA", wundert sich Kristian Brakel, Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul über diese neuerliche Eskalation des Konflikts zwischen den beiden Staaten.

Begonnen hatte das derzeitige Problem schon im März: Da wurde auf dem New Yorker Flughafen Hakan Atilla festgenommen, Vize-Chef der staatlichen türkischen Halkbank.

Der Vorwurf gegen den Türken: Er habe in den USA gemeinsam mit dem iranisch-türkischen Geschäftsmann Riza Zarrab die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran umgangen und illegale Geschäfte in Höhe von mehreren hundert Millionen Dollar abgewickelt.

Aussagen eines Bankmanagers könnten für Erdogan gefährlich werden

Der Verdacht der USA reicht noch weiter: Der Bankmanager soll bei seinen Geschäften von der türkischen Regierung unterstützt worden sein – die Vorwürfe reichen bis ins persönliche Umfeld von Präsident Erdogan.

Falls Atilla in der Haft über solche Verbindungen aussagen sollte, "kann das für Erdogan gefährlich werden", so Kristian Brakel.

Doch auch vor dieser Zuspitzung war längst nicht mehr alles in Ordnung im Verhältnis der Türkei zur Weltmacht USA.

"Die Krise zwischen Ankara und Washington zeichnete sich schon seit einigen Jahren ab", sagt die Politikwissenschaftlerin Dr. Magdalena Kirchner, die am türkischen Istanbul Policy Center zur transatlantischen Sicherheitspolitik forscht und derzeit in den USA weilt. Schon unter der Obama-Regierung habe es Differenzen über die Politik im Syrien-Konflikt gegeben.

Die USA unterstützen im dortigen Kriegsgebiet die aufständischen Kurden. Die Türkei sieht deren Bewaffnung und Machtzuwachs mit grosser Sorge.

Noch schwieriger sei es geworden, so Kirchner, als nach dem Putschversuch in der Türkei vom Juli 2016 die USA sich weigerten, den Prediger Fetullah Gülen an die Türkei auszuliefern. Erdogan sieht Gülen als Drahtzieher des Umsturzversuches.

Nur noch ein Ziel: die Ausmerzung der Gülen-Bewegung

Im Kampf gegen Gülen-Anhänger sieht Kristian Brakel die Hauptursache dafür, dass in Istanbul und Ankara derzeit die Diplomatie wenig Chancen hat: "Der Fall steht exemplarisch dafür, dass die ganze türkische Administration und Regierung nur noch auf ein Ziel ausgerichtet ist: die Ausmerzung der Gülen-Bewegung."

Einzelne Aktionen wie die Verhaftungen amerikanischer Botschaftsangehöriger und deutscher Journalisten oder Visa-Beschränkungen fänden spontan, ohne politisches Konzept und ohne aussenpolitische Rücksichtnahmen statt.

Doch die Türkei hat in diesem Streit weit mehr zu verlieren als die USA. Seit Beginn der Visa-Krise fällt der Kurs der türkischen Lira.

Brakel weist darauf hin, dass dadurch die türkischen Auslandsschulden stiegen. Ausserdem könnten internationale Investoren schnell sogenanntes "Hot Money" aus der Türkei abziehen – kurzfristige Anlagen, die stark vom Wechselkurs abhängig sind. "Der Abzug dieser Gelder wäre für die Wirtschaft gefährlich", sagt Brakel.

Die "Freundschaften" der Türkei sind von Misstrauen geprägt

"Schlimmer als die wirtschaftlichen Folgen", so der Experte, seien allerdings "die aussenpolitischen Verwerfungen, die sich hier zeigen."

Er sieht die Gefahr, dass Erdogan es sich "mit der halben Welt verscherzt." Es sei mittlerweile leichter aufzuzählen, welche Freunde der Türkei noch blieben, als deren Feinde beim Namen zu nennen.

In der Tat ist die Freundesliste kurz, aber aussagekräftig: Gute Kontakte pflegt Erdogan derzeit zum Beispiel noch mit dem Iran, mit Saudi-Arabien, mit der Atommacht Pakistan, mit Katar und mit den Philippinen – vor allem also Regierungen, die ebenfalls stark unter internationalem Druck stehen.

Eine von Erdogan gewünschte Annäherung an Russland steht unter starken Vorbehalten, seit die Türkei vor knapp zwei Jahren ein russisches Kampfflugzeug abgeschossen hat.

"Starke Verbündete", so Brakel, "hat die Türkei im Moment nicht. Es gibt strategische Partnerschaften – wie mit den USA und der EU – aber wirkliche Freundschaften sind das nicht. Diese Beziehungen sind vor allem von Misstrauen geprägt."

Es drohen weitere Sanktionen

Auch die Expertin Magdalena Kirchner betont, "der diplomatische Schaden der Visa-Krise" sei "enorm". Wenn sich der Eindruck verfestigen sollte, "dass die Türkei nicht mehr sicher für westliche Investoren ist", werde sich die Krise "natürlich negativ auf die türkische Wirtschaft auswirken."

Und dabei seien mögliche weitere Sanktionen noch gar nicht eingerechnet. Schon im Sommer hatte beispielsweise Bundesaussenminister Sigmar Gabriel wegen der in der Türkei inhaftierten deutschen Bürger mit einer Aussetzung deutscher Hermes-Bürgschaften gedroht. Und falls der Grüne Cem Özdemir neuer deutscher Aussenminister werden sollte, ist diese Drohung möglicherweise aktueller als je zuvor.

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