Die EU-Kommission hat den Mitgliedsländern am Mittwoch empfohlen, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen. Präsidentin Ursula von der Leyen spricht von einem "historischen Tag", dabei ist der Beitritt damit noch nicht besiegelt, geschweige denn vollzogen.

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Korruption auf höchster Ebene, Defizite bei Rechtsstaatlichkeit und ein zweifelhafter Umgang mit nationalen Minderheiten: Noch Anfang 2022 schien es undenkbar, dass die Ukraine in absehbarer Zeit ein ernstzunehmender Kandidat für den Beitritt zur EU werden kann. Gut 20 Monate nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen das osteuropäische Land hat die EU-Kommission am Mittwoch die klare Empfehlung an die Regierungen der Mitgliedstaaten gegeben, die Aufnahmen von Beitrittsverhandlungen zu beschliessen. Wie das kommt und wie es weitergeht:

Wie begründet die EU-Kommission ihre Entscheidung?

Von den sieben Auflagen, die die EU ursprünglich für den Beitritt formuliert hat, sieht die EU-Kommission vier als erfüllt an. Dass das Gremium schon jetzt grünes Licht gibt, erklärte Präsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch bei einer Pressekonferenz damit, dass alle noch ausstehenden Reformen bereits in konkreter Vorbereitung sind.

Ausserdem soll die Entscheidung wohl ein Zeichen an die rund 40 Millionen Ukrainer sein, dass sich ihr Kampf lohnt. "Sie kämpfen nicht nur für Ihre eigene Freiheit, Demokratie und Zukunft, sondern auch für unsere", sagte von der Leyen jüngst an die Adresse des ukrainischen Volkes gerichtet.

Wie reagierte Selenskyj?

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem "richtigen Schritt". Die Ukrainer hätten sich den EU-Beitritt mit "ihrer Verteidigung der europäischen Werte" verdient, sagte er in einer am Mittwoch verbreiteten Videobotschaft und versprach, Kiew werde sein Wort halten und trotz des laufenden russischen Angriffskriegs alle für den EU-Beitritt notwendigen Entscheidungen umsetzen.

Wie geht es jetzt weiter?

Seitens der EU sind die Staats- und Regierungschefs am Zug. Sie müssen - einstimmig - ihr Ok geben. Das nächste Mal kommen sie am 14. und 15. Dezember zum EU-Gipfel zusammen. Aus der deutschen Regierung kamen am Mittwoch positive Signale. "Die Menschen in der Ukraine gehören zur europäischen Familie", kommentierte Aussenministerin Annalena Baerbock. Der Beginn der EU-Beitrittsgespräche sei der nächste Schritt, den man gemeinsam gehen sollte.

Parallel muss die Ukraine die ausstehenden Reformen umsetzen. Dies wird bis zum nächsten März für möglich gehalten. Es geht um Korruptionsbekämpfung, mehr Minderheitenschutz und weniger Oligarchen-Einfluss.

Was wäre der nächste Schritt im Beitrittsprozess?

Die förmliche Aufnahme der Verhandlungen im Rahmen der ersten Beitrittskonferenz. Über diese Verhandlungen wird sichergestellt, dass ein Bewerberland alle EU-Rechtsvorschriften in nationales Recht übernimmt.

Wie lange dauert es vom Start der Beitrittsgespräche bis zum EU-Beitritt?

Jahre oder Jahrzehnte, das kann niemand vorhersagen. Die Türkei etwa wurde 1999 EU-Kandidat - und war wohl noch nie weiter von einer Mitgliedschaft entfernt als heute. Theoretisch kann ein Beitrittskandidat auch nie Mitglied werden. Im Fall der Ukraine kämen auf die EU riesige Herausforderungen zu, insbesondere bei der Verteidigungspolitik und den milliardenschweren Agrarsubventionen, die umverteilt werden müssten.

Welche Rolle spielt der Verlauf des Krieges?

Es gilt als ausgeschlossen, dass die Ukraine vor Kriegsende EU-Mitglied wird. Denn dann könnte Kiew nach Artikel 42, Absatz 7 des EU-Vertrags militärischen Beistand von anderen EU-Staaten einfordern - die EU wäre offiziell Kriegspartei. (dpa/afp/mcf)

Jean-Claude Juncker

Ex-EU-Kommissionschef Juncker hält Ukraine für "nicht beitrittsfähig"

Der frühere EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat vor einem übereilten EU-Beitritt der Ukraine gewarnt. Derzeit hält er das Land für "nicht beitrittsfähig".
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