Präsident Viktor Janukowitsch ist gestürzt, jetzt beginnt der Machtkampf in der Ukraine. Wird das Land gespalten? Wer setzt sich bei den Neuwahlen durch? Wer die aussichtsreichsten Politiker sind und was sie auszeichnet.
Alles auf Null in der Ukraine. Doch viele Demonstranten harren noch immer auf dem Maidan-Platz in Kiew aus und machen sich grosse Sorgen um die Zukunft ihres Landes. Sie trauen der Opposition nicht, die das Parlament übernommen hat. Nach den Enttäuschungen der "Orangenen Revolution" von 2004 fürchten die Menschen, dass sich ihre Hoffnungen wieder nicht erfüllen werden.
Am 25. Mai sollen Neuwahlen stattfinden. Auf die neue Regierung warten schwere Aufgaben: Der Ukraine droht der wirtschaftliche Kollaps. Auch das Land muss nach den schweren Ausschreitungen mit 83 Toten wieder versöhnt werden. Einerseits sollten die künftigen Machthaber dem Wunsch des Volkes nach einem Westkurs entsprechen, der im November die Demonstrationen auf dem Maidan-Platz ausgelöst hatte. Auf der anderen Seite müssen sie dem russlandfreundlichen Teil der Bevölkerung, der vor allem in der Ostukraine lebt, entgegen kommen.
Julia Timoschenko lässt sich auf dem Maidan feiern
Zwischen den einstigen Oppositionspolitikern entbrennt ein Kampf um die wichtigsten Posten. "Bisher war der gemeinsame Nenner die Ablehnung des Regimes von Janukowitsch. Die Differenzen sowohl in der emotionalen Tonlage als auch in den Positionen zwischen den bisherigen Oppositionsgruppen sind erheblich", legt Professor Martin Schulze Wessel dar, Osteuropa-Experte an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Eine Teilung befürchtet er eher nicht: "Dagegen sprechen erhebliche Interessen. Die Kohlemagnaten im Osten des Landes sind an einer Einheit des Landes interessiert."
Noch offen bleibt die Rolle von Julia Timoschenko. Nach ihrer Entlassung aus zweieinhalb Jahren Haft hielt die Ex-Ministerpräsidentin eine umjubelte Rede auf dem Maidan-Platz. Die 53-Jährige hat viel politische Erfahrung und wird von Teilen der Opposition als Märtyrerin der Janukowitsch-Regierung gesehen. "Auf jeden Fall ist sie eine sehr charismatische Politikerin. In der Hinsicht ist sie möglicherweise anderen Politikern in der Ukraine überlegen", sagt Schulze Wessel.
Doch es gibt auch Misstrauen ihr gegenüber, da sie in den 1990er Jahren mit den oligarchischen Strukturen verflochten war und ein Vermögen anhäufte. Falls sie tatsächlich - wie angekündigt - nicht für das Amt der Ministerpräsidentin kandidiert, bliebe sie wohl dennoch äusserst einflussreich in Kiew.
Dagegen will sich Schokoladen-Milliardär Petro Poroschenko als Ministerpräsident bewerben. Die "Orangene Revolution" 2004 und den Protest auf dem Maidan unterstützte er finanziell und mithilfe medialer Berichterstattung auf seinem Fernsehsender "5. Kanal". Als Wirtschaftsminister war er 2012 am Assozierungsabkommen mit der Europäischen Union beteiligt und fährt einen eindeutig proeuropäischen Kurs.
Neben Poroschenko gilt auch Arseni Jazenjuk aus Timoschenkos "Vaterlandspartei" als Anwärter auf das Amt des Regierungschefs. Der 39-jährige konnte sich mit einer begeisterten Rhetorik auf dem Maidan sein Image als blasser Technokrat abstreifen. Der Jurist und Ökonom agierte in seiner Zeit als Aussenminister prowestlich und gilt als sehr gebildet. Für Schulze Wessel ist Jazenjuk eines der grössten politischen Talente in der Ukraine.
Taugt Boxer Vitali Klitschko zum Präsidenten der Ukraine?
Auch Box-Weltmeister
Als dritter Kopf der Opposition neben Jazenjuk und Klitschko trat Oleg Tjagnibok in Erscheinung. Der Führer der ukrainischen Nationalisten wurde schon wegen antisemitischer Äusserungen aus dem Parlament ausgeschlossen. Seine Partei "Swoboda" (deutsch: Freiheit) fällt auch mit antirussischen Bestrebungen auf, was unter den Russlandsympathisanten Furcht auslöst.
Nicht einzuschätzen ist der "Rechte Sektor", der sich bei den Kämpfen in der Ukraine paramilitärisch und gewaltbereit zeigte. In Lemberg stellten die Anhänger eine Bürgerwehr. Ob sich aus der Bewegung eine Partei gründet, bleibt abzuwarten.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.