Gerhard Schröders Nähe zu Russland ist umstritten. Dass er trotz des Skandals um die Vergiftung von Alexej Nawalny daran festhält, ruft Empörung hervor. Ist sein Verhalten eines Altkanzlers würdig?

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"Ein Laufbursche Putins, der Mörder beschützt": So hat der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny Altkanzler Gerhard Schröder diese Woche in der "Bild"-Zeitung bezeichnet. Zuvor hatte Schröder in seinem Podcast gesagt, es sei noch nicht geklärt, wer für die Vergiftung Nawalnys mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok verantwortlich sei.

Nawalny hat keinen Zweifel daran, dass Schröder verdeckte Zahlungen aus Russland bekommt, wie er daraufhin sagt. Der Altkanzler reagiert: "Seine Interview-Aussagen in der Bild-Zeitung und bei 'Bild.de' über angebliche 'verdeckte Zahlungen' sind falsch", schreibt Schröder in einer Stellungnahme im Netzwerk linkedin. Darin kündigt er Bild und anderen Medien an, juristisch gegen derartige Behauptungen vorzugehen.

Gerhard Schröder: SPD hält sich recht bedeckt

Dass Sozialdemokrat Schröder sich trotz der Nawalny-Vergiftung nicht von Russland distanziert, ruft Kritiker auf den Plan. Der stellvertretende CSU-Generalsekretär Florian Hahn etwa twitterte: "Ich habe höchsten Zweifel, ob Gerhard Schröder des Titels 'Bundeskanzler a.D.' noch würdig ist." Und Johann Wadephul, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag, sagte dem Berliner Tagesspiegel: "Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder muss umgehend seine Ämter und Posten in Russland aufgeben." Eine Fortsetzung der Zusammenarbeit würde bedeuten, "dass Herr Schröder das menschenverachtende Verhalten zumindest hinnimmt". Das wäre für einen ehemaligen Bundeskanzler zutiefst unwürdig, kritisierte auch der CDU-Aussenpolitiker.

Mehrere Anfragen des "Spiegel" zu Schröders Rolle in Russland an Vertreter der SPD blieben Ende September unbeantwortet. Sawsan Chebli, Staatssekretärin in Berlin, betonte: "Es ist traurig anzusehen, wie ihm der moralische Kompass abhandengekommen ist." Gernot Erler, ehemaliger Koordinator der Bundesregierung für Russland, sprach am Donnerstag im Deutschlandfunk von einer "Männerfreundschaft ohne Rücksicht auf Verluste zwischen Schröder und Putin". Diese bestimme das Handeln Schröders. Der SPD-Politiker wirft dem Altkanzler vor, der Partei zu schaden. Aber kann er das überhaupt noch, obwohl er nicht mehr in der Politik aktiv ist?

"Schröder ist bekannt. Er ist jemand, der wahrgenommen wird – und kann so durchaus noch das Bild prägen, das man von der SPD hat", glaubt Uwe Jun, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier. Gerhard Schröder sei zwar keine zentrale Person mehr – aber eben eine, über die man redet.

Enge Zusammenarbeit mit Putin schon zur Amtszeit

Schröder war zunächst niedersächsischer Ministerpräsident. Bei der Bundestagswahl 1998 führte er die SPD als Kanzlerkandidat zum Sieg – und blieb Regierungschef bis 2005. Schon in seiner Amtszeit arbeitete Gerhard Schröder eng mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammen.

Nachdem Schröder sich aus dem politischen Geschehen zurückgezogen hatte, übernahm er Posten in der russischen Energiewirtschaft: So ist er heute etwa Verwaltungsratschef der Pipeline-Gesellschaft Nord Stream 2, Aufsichtsratsvorsitzender des staatlichen russischen Energiekonzerns Rosneft sowie Aufsichtsratschef der Ostsee-Pipeline Nord Stream.

"Durch diese Funktionen hat Schröder sich selbst die Möglichkeit genommen, wie Helmut Schmidt als grosser Staatsmann in die Geschichte einzugehen", sagt Jun. Allerdings habe Schröder von sich aus nie – auch nicht in seiner Zeit als Kanzler – die grosse Attitüde eines Staatsmannes gehabt. "Der Sozialdemokrat pflegte eher das Image, sich aus kleinen Verhältnissen hochgearbeitet zu haben."

Schröder war in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen, hatte zunächst eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann gemacht und sich dann über den zweiten Bildungsweg zum Rechtsanwalt und in die Politik hochgearbeitet.

Vor allem im linken Spektrum der SPD gefällt seine Russlandnähe vielen nicht: "In seiner Partei wird er nie der geliebte ehemalige Kanzler sein wie Willy Brandt – und überparteilich nie so viel Respekt bekommen wie Helmut Schmidt", betont Uwe Jun.

Dennoch geniesst der Altkanzler aus Sicht des Experten "noch ein veritables Ansehen". Schröder habe gerade erst am Festakt zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit teilgenommen, gibt er ein Beispiel.

Selbe Zeit, anderes Beispiel: Tony Blair

Brandt und Schmidt waren zwar zu ganz anderen Zeiten Kanzler. Doch auch Tony Blair, der parallel zu Schröder britischer Premierminister war, habe sich nach dem Amt von keiner moralisch umstrittenen Seite einnehmen lassen, gibt Jun zu bedenken.

Schröders direkter Vorgänger Helmut Kohl ist zwar als Kanzler der Einheit in die Geschichte eingegangen – und im Amt staatsmännisch aufgetreten. "Doch auch er ist in der eigenen Partei in ein ungünstiges Licht gerückt", erinnert der Politikexperte.

Im Gegensatz zu Schröder habe der CDU-Mann sich nach der Kanzlerschaft zwar weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Aber gerade seine mangelnde Bereitschaft, an der Aufklärung der Spendenaffäre mitzuwirken, hinterliess grosse Risse im Ansehen. Auf Druck der Partei gab er sogar seinen Ehrenvorsitz ab.

Skandalträchtige Geschäfte

Schon 2005 hatte Schröder, damals noch Regierungschef, einem "Spiegel"-Bericht zufolge den russischen Aluminium-Mogul Oleg Deripaska zu einem Abendessen empfangen. Nach Berichten des Bundesnachrichtendienstes wurden diesem Verbindungen zur Organisierten Kriminalität nachgesagt.

Früh kam ausserdem der Verdacht auf, dass Schröders Posten bei Gazprom, den er schon bald nach der Kanzlerschaft antrat, mit seiner freundlichen Russland-Politik zusammenhängen könnte.

In der Gazprom-Affäre geriet Schröder dann auch wegen einer Milliardenbürgschaft unter Druck, der die rot-grüne Regierung 2005 nach ihrer Wahlniederlage, aber noch vor Ende seiner Amtszeit zugestimmt hatte. Er beteuerte, nicht an diesem Entscheid beteiligt gewesen zu sein. Gazprom lehnte den Kredit ab.

Auch als Schröder 2017 in den Aufsichtsrat des grössten russischen Ölkonzerns Rosneft gewählt wurde, war die Empörung gross: Knapp 15 Jahre zuvor galt Rosneft noch als unbedeutende kleine staatliche Ölgesellschaft – ihr Aufstieg war von der Verhaftung des Chefs des damals grössten russischen Ölkonzerns, von Übernahme-Skandalen und undurchsichtigen Geschäften begleitet.

Lobby-Arbeit im Mittelpunkt der Wahrnehmung

Schröders Kanzlerjahre waren von Reformen geprägt. Seine umstrittene "Agenda 2010", zu der die Hartz-Reformen gehörten, bedeutete weniger staatliche Leistungen und mehr Eigenverantwortung. Eine Entwicklung, die mit dem bisherigen Selbstverständnis der SPD kaum zu vereinbaren war.

Inzwischen steht jedoch Schröders Lobby-Arbeit für Russland im Mittelpunkt der Wahrnehmung, sagt Jun. "Er wird zu anderen politischen Fragen kaum noch gehört." Ein breiteres Bild von ihm zu entwerfen, würde dem Altkanzler zwar gerechter, findet der Politikwissenschaftler. "Aber er hat sich das selbst so ausgesucht." Jun ist sich sicher, dass Schröder bewusst war, welche Konsequenzen seine Entscheidung nach sich zieht.

Langfristig glaubt der Experte allerdings, dass sich das Bild Schröders in der Öffentlichkeit wieder ändert: "Schröder wird immer der Kanzler der umstrittenen 'Agenda 2010' bleiben. Und er ist bekannt als der Medienkanzler. Aber wenn man in 25 Jahren auf sein Werk blickt, dann wird sein gutes Verhältnis zum russischen Staatschef nur eine Episode sein."

Zum Experten: Uwe Jun ist Professor für Politikwissenschaft (Politisches System der Bundesrepublik Deutschland) an der Universität Trier. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Parteienforschung, Vergleichende Parlamentarismus- sowie Koalitionsforschung. Zudem ist Jun Sprecher des Arbeitskreises Parteienforschung der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Professor Uwe Jun
  • Bild.de: "Schröder ist ein Laufbursche Putins, der Mörder beschützt"
  • Gerhard Schröder auf linkedin
  • Spiegel.de: Affären – Der Gasprom-Kanzler
  • MDR: Schröder und der skandalträchtige russische Staatskonzern Rosneft
  • Spiegel.de: Sawsan Chebli kritisiert Gerhard Schröder - "Es ist traurig, wie ihm der moralische Kompass abhandengekommen ist"
  • Tweet von Florian Hahn
  • Tagesspiegel.de: Kritik an Tätigkeit des Altkanzlers "Gerhard Schröder muss umgehend seine Posten in Russland aufgeben"
  • Deutschlandfunk: Nawalny gegen Schröder - Vorwürfe der Käuflichkeit gegen den Altkanzler
  • Deutsche Presse-Agentur
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