Neue Gesetzesvorgaben, die für Spediteure europaweit gelten, sollen Fernfahrern künftig das Leben erleichtern. Diese hat das EU-Parlament gegen grossen Widerstand verabschiedet - doch der jahrelange Streit um die Regelungen und Vorgaben ist damit nicht beendet.
Millionen Fernfahrern in Europa sollen bessere Arbeitsbedingungen garantiert werden: Das Europaparlament billigte am Donnerstag umfassende neue Regeln, die den Fahrern europaweit geregeltere Ruhezeiten, mehr Zeit zu Hause und eine faire Bezahlung zusichern. Das Paket soll auch Wettbewerbsverzerrung in der Transportbranche begrenzen.
Fernfahrer-Reform gefällt vor allem Osteuropäern nicht
Gegen die Reform gab es bis zuletzt Widerstand, unter anderem aus östlichen EU-Ländern. Die zuständigen EU-Minister hatten sich aber nach jahrelangen Verhandlungen im April verständigt. Nach Angaben des Europaparlaments können rund 3,6 Millionen Lkw-Fahrer und auch Fahrer von Fernbussen von den Reformen profitieren.
So sehen die neuen Regeln aus:
- Fahrer sollen ihre reguläre wöchentliche Ruhezeit nicht mehr in der Fahrerkabine verbringen.
- Spätestens nach drei bis vier Wochen Arbeit sollen die Fahrer nach Hause fahren können.
- Können die Fahrer ihre Ruhepause nicht zu Hause verbringen, muss der Arbeitgeber für die Kosten einer Unterkunft aufkommen.
- Gehälter von Fahrern sollen EU-weit angepasst werden.
- Lkw müssen alle acht Wochen zum Betriebszentrum des Unternehmens zurückkehren.
- Fahrtenschreiber sollen künftig Grenzüberfahrten registrieren.
- Die Spediteure müssen nachweisen, dass sie in demjenigen Mitgliedstaat, in dem sie registriert sind, auch aktiv sind.
- Kleine Nutzfahrzeuge über 2,5 Tonnen müssen mit Fahrtenschreibern ausgestattet werden.
- Nach Transporten durch ausländische Spediteure in einem EU-Staat dürfen weitere Kabotagefahrten in demselben Staat mit demselben Fahrzeug erst nach einer Wartezeit von vier Tagen gemacht werden.
EU-Verkehrskommissarin Adina Valean begrüsste die Annahme des sogenannten Mobilitätspakets. Die sozialen Verbesserungen dadurch seien erheblich, so Valean.
Der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Europaabgeordneten, Ismail Ertug, sagte, das Ergebnis sei ein grosser Schritt hin zu einem geordneten und humaneren Transportsektor. Das Gesetzespaket solle dem "Nomadendasein" vieler Fahrer ein Ende setzen.
Ertug postete bei Facebook auch seinen Austausch mit Fahrern und Experten im Rahmen eines Live-Chats zum Thema Mobilitätspaket:
Um Lohndumping zu verhindern, unterliegen die Fahrer zudem bei längeren Auslandsaufenthalten bis auf wenige Ausnahmen den sozialrechtlichen Bestimmungen des Aufenthaltslandes.
Mit den neuen Regeln soll auch Briefkastenfirmen ein Riegel vorgeschoben werden. Es soll verhindert werden, dass die Unternehmen in einem Land mit niedrigeren Löhnen ansässig sind, ihre Fahrer aber hauptsächlich in anderen Staaten einsetzen. Es gelte "gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort", erklärte SPD-Politiker Ertug.
ETUC sieht Schutz der Fahrer vor Willkür der Unternehmer
Die neuen EU-Vorgaben "werden verhindern, dass Unternehmen die Fahrer (...) ihres Familien- und Soziallebens berauben und sie um eine angemessene Bezahlung und Sozialversicherung betrügen", erklärte der Europäische Gewerkschaftsbund ETUC.
Wie der verkehrspolitische Sprecher der CSU-Europagruppe, Markus Ferber, betonte, werden durch das Massnahmenpaket die Strassen sicherer. "Missstände wie übermüdete Fahrer auf den Strassen, manipulierbare Kontrollgeräte und Briefkastenfirmen im Osten können nun effektiv bekämpft werden."
Die nationalkonservative Fraktion EKR kritisierte, dass das Reformpaket Transportunternehmen aus Osteuropa und den baltischen Staaten diskriminiere. Angesichts der Coronavirus-Pandemie sei es für die Fahrer ausserdem sicherer, in ihren Fahrerkabinen als in einem Hotel zu schlafen, sagte der lettische EKR-Politiker Roberts Zile.
Der Streit um die EU-Reform dauerte seit Jahren an
Die EU-Kommission hatte die Reformpläne 2017 vorgestellt. Unter den Mitgliedstaaten und auch im Europaparlament hatte es im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens Streit gegeben. Aus den westlichen EU-Staaten kamen wiederholt Forderungen nach strengen Vorgaben, um Lohndumping osteuropäischer Speditionsunternehmen zu verhindern - Abgeordnete unter anderem aus Rumänien, Bulgarien und Polen warfen den westlichen Nachbarn jedoch Protektionismus vor.
Schliesslich wurden die Osteuropäer überstimmt. Im Rat der Mitgliedstaaten wurde die westliche Position Ende 2018 gegen Widerstand aus neun Ländern per Mehrheitsentscheid durchgedrückt. Im EU-Parlament konnte auch eine Flut von hunderten Änderungsanträgen ein positives Votum kurz vor der EU-Wahl im vergangenen Frühjahr nicht verhindern. Die Unterhändler der beiden Institutionen einigten sich anschliessend dementsprechend.
Rumäniens Spediteure bezeichnen Gesetzespaket als ihr "Grab"
Der rumänische Verband der Spediteure beklagte, die Regeln würden ihre Industrie "begraben". Kombiniert mit den Folgen der Coronakrise sei damit zu rechnen, dass ein Drittel der Unternehmen der Branche pleite gehen werde.
Noch im April scheiterte eine Gruppe mehrheitlich östlicher Ländern mit dem Versuch, das Reformvorhaben unter Verweis auf die Folgen der Coronakrise auf den Transportsektor doch noch zu kippen. Im neu gewählten EU-Parlament, wo die Einigung noch einmal bestätigt werden musste, gab es nun erneut Dutzende Änderungsanträge, die jedoch keine Mehrheit fanden.
Klagen drohen: "Der Kampf ist noch nicht vorbei"
"Der Kampf ist noch nicht vorbei", kündigte der polnische EU-Abgeordnete Kosma Zlotowski an. Bestimmte Mitgliedstaaten würden "mit Sicherheit" vor dem Europäischen Gerichtshof gegen dieses "eindeutige Beispiel von wirtschaftlichem Protektionismus" klagen.
Die Vorschriften treten nach Angaben des EU-Parlaments in wenigen Wochen in Kraft, sobald sie im Amtsblatt der EU veröffentlicht werden.
Für die Umsetzung neuer Regeln zur Kabotage, also wenn ein ausländisches Unternehmen eine Lieferleistung komplett innerhalb eines anderen Landes erbringt, und den sozialrechtlichen Bestimmungen gilt eine Übergangsfrist von 18 Monaten. (hau/AFP/dpa)
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