Noch nie waren so viele Menschen auf der Flucht wie derzeit: Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Schätzung des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. Die meisten von ihnen sind im eigenen Land vertrieben.
Nie in der fast 70-jährigen Geschichte des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) hat es weltweit so viele Flüchtlinge und Vertriebene gegeben wie im vergangenen Jahr: Ende Dezember 2018 lebten 70,8 Millionen Menschen fern ihrer Heimat, die vor Gewalt, Konflikten, Verfolgung oder Menschenrechtsverletzungen geflohen waren. Das teilte UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi am Mittwoch mit.
Das seien 2,3 Millionen mehr als ein Jahr zuvor und doppelt so viele wie vor 20 Jahren. Ein Jahr zuvor schätzte das UNHCR die Gesamtzahl noch auf 68,5 Millionen Menschen. Zum Vergleich: Frankreich und Grossbritannien haben jeweils rund 67 Millionen Einwohner.
Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge sind Binnenvertriebene
Aus dem jährlichen Flüchtlingsbericht "Global Trends", der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde, geht hervor, dass es sich bei 41,3 Millionen Flüchtlingen um sogenannte Binnenvertriebene handelt, die im eigenen Land vertrieben sind.
Fast 30 Millionen waren vor Krieg oder Verfolgung über Grenzen geflohen, ein Plus von 500.000 im Vergleich zum Vorjahr. Die kleinste Gruppe bilden 3,5 Millionen Asylbewerber, die noch auf eine Entscheidung über ihr Asylgesuch warten.
Vier von fünf Geflohenen kamen dem Bericht zufolge in Nachbarländern unter - nicht in Europa oder den USA, wie Grandi betonte. Die grösste Bürde trügen nicht die westlichen Länder, in denen viele Politiker heute von einer Krise sprächen, die nicht mehr zu bewältigen sei. Reiche Länder haben nach UNHCR-Angaben zusammen 16 Prozent der Flüchtlinge aufgenommen. Ein Drittel der Flüchtlinge weltweit habe Zuflucht in den ärmsten Ländern gefunden.
Grandi kritisierte eine "Krise der Solidarität". Die Welt sei zunehmend polarisiert: "Der Weltsicherheitsrat kann nicht einmal mehr gemeinsame Positionen finden, wenn es um humanitäre Fragen geht."
Migranten, die bessere Arbeits- und Lebensbedingungen im Ausland suchen, sind in dem Bericht nicht aufgeführt. Ihre Zahl schätzte das UN-Büro für Migration (IOM) 2017 auf 258 Millionen weltweit.
Die Daten "unterstreichen, dass die Zahl der vor Krieg, Konflikten und Verfolgung fliehenden Menschen langfristig steigt", erklärte Flüchtlingskommissar Grandi. Es gebe trotz einer oft vergifteten Sprache im Zusammenhang mit Flüchtlingen und Migranten auch "fantastische Beispiele von Grossmut".
"Auf diesen positiven Beispielen müssen wir aufbauen und unsere Solidarität für die vielen Tausenden, die jeden Tag vertrieben werden, verdoppeln", forderte Grandi.
Deutschland als positives Beispiel
Unter den fünf Ländern mit den meisten Flüchtlingen ist Deutschland nach der UNHCR-Statistik das einzige westliche Land.
Deutschland beherbergte Ende 2018 laut UNHCR 1,1 Millionen anerkannte Flüchtlinge sowie rund 370.000 Asylsuchende, über deren Fälle noch nicht entschieden war. Mehr Flüchtlinge gab es nur in der Türkei (3,7 Millionen) sowie in Pakistan, Uganda und dem Sudan.
Grandi lobte die deutschen Anstrengungen seit 2015: "Deutschland ist ein Modell, das andere Länder kopieren sollten", sagte der Flüchtlingshochkommissar. "Das Land hat Geld in die Integration gesteckt, und es widerlegt, dass diese Krise nicht zu managen ist."
Die Zahl der neuen Asylanträge in Deutschland ging dem Bericht zufolge erneut deutlich zurück. Demnach sank die Zahl der Antragsteller 2018 auf 161.900, ein Jahr zuvor waren es noch 198.300 gewesen, 2016 sogar 722.400.
Weltweit ist die Zahl der neuen Asylanträge von Venezolanern nach UNHCR-Angaben auf 350.000 explodiert. Das sind mehr als dreimal so viele wie im Jahr davor. Venezolaner machten damit ein Fünftel aller neuen Anträge weltweit aus, und sie waren mit Abstand die grösste Asylsuchergruppe, gefolgt von Afghanen und Syrern.
Weltweit die meisten neuen Asylanträge wurden wie im Jahr davor in den USA gestellt, gut 250 000. Auf dem zweiten Platz stand Peru wegen des Andrangs von Venezolanern, gefolgt von Deutschland, so das UNHCR. Hier kamen die meisten neuen Anträge von Syrern, Irakern und Iranern. (afp/dpa/ank)
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