- Die autoritär regierte Ex-Sowjetrepublik kommt seit gut einer Woche nicht zur Ruhe.
- Seit zwei Tagen ist auch das Militär im Einsatz. Und geht offenbar gegen Demonstranten vor.
- Allerdings lassen sich diese Angaben nicht unabhängig überprüfen.
Die Lage in der von Ausschreitungen schwer erschütterten Republik Kasachstan in Zentralasien bleibt unübersichtlich. Das Staatsfernsehen meldete in der Nacht zum Samstag, dass die Sicherheitskräfte in mehreren Städten des Landes weiter gegen Demonstranten vorgingen. Diese Angaben liessen sich nicht unabhängig überprüfen. Die Einsätze konzentrierten sich zuletzt auf die Millionenstadt Almaty, in der es seit Tagen Unruhen gibt.
An mindestens zwei Plätzen der Wirtschaftsmetropole gab es dem Portal Vlast.kz zufolge Schiessereien. Es sei zudem zu Explosionen gekommen. Augenzeugen hätten von einem brennenden Auto berichtet. Sicherheitskräfte patrouillierten in gepanzerten Fahrzeugen.
Auch in der Nacht drangen unabhängige Informationen von dort nur spärlich ins Ausland. Das Internet war zumindest zeitweise abgeschaltet. Ausländer werden derzeit nicht in die Ex-Sowjetrepublik gelassen.
Ausschreitungen in Kasachstan durch hohe Gaspreise ausgelöst
Präsident Kassym-Schomart Tokajew sprach am Abend von bis zu 20.000 "Terroristen", die in Almaty in mehreren Wellen angriffen. Die "Banditen und Terroristen" seien gut ausgebildet und organisiert.
Das an Öl- und Gasvorkommen reiche Land an der Grenze zu China erlebt seit Tagen die schwersten Ausschreitungen seit Jahren. Auslöser der Unruhen in der autoritär regierten Republik war vor gut einer Woche Unmut über gestiegene Gaspreise. Die Demonstrationen schlugen in - auch gewaltsame - Proteste gegen die Staatsführung um. Viele Menschen sind frustriert über Korruption und Machtmissbrauch im Land.
An diesem Samstag wird damit gerechnet, dass die Behörden weitere Angaben zu Todesopfern und Festnahmen machen. Das Staatsfernsehen berichtete am Freitag, dass bereits 26 Demonstranten getötet worden seien. Zudem habe es landesweit mehr als 4.000 Festnahmen gegeben. Befürchtet wurde, dass es nun noch viele weitere zivile Todesopfer geben könnte. Offiziellen Angaben zufolge starben bislang auch mindestens 18 Polizisten und Soldaten.
Präsident erteilt Schiessbefehl gegen Demonstranten
Präsident Tokajew hat den Sicherheitskräften einen Schiessbefehl gegen Demonstranten erteilt. Er verteidigte dies in der Nacht bei Twitter, es werde keine Gespräche mit "Terroristen" geben, die Menschen getötet und Gebäude angezündet hätten.
Das Vorgehen löste im Westen Besorgnis aus. In Berlin rief Kanzler Olaf Scholz zu einem Ende der Gewalt auf. Er appellierte an die autoritäre Führung in Nur-Sultan: "Bitte kommt zurück zu einer friedlichen Weiterentwicklung im Land."
Wegen des Konflikts stoppt die Bundesregierung Exporte von Rüstungsgütern in die frühere Sowjetrepublik. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wurden die notwendigen Schritte ergriffen, damit Ausfuhren solcher Waren nach Kasachstan nicht mehr erfolgen. Im vergangenen Jahr wurden demnach 25 Genehmigungen für Exporte von Rüstungsgütern nach Kasachstan mit einem Gesamtwert von rund 2,2 Millionen Euro erteilt.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, das Bündnis und seine Mitgliedstaaten seien sehr besorgt und bedauerten die Todesfälle. Es sei wichtig, dass die Gewalt ende und dass Menschenrechte respektiert würden. Dazu zählte er das Recht auf friedliche Demonstrationen.
Ex-Machthaber Nasarbajew im Visier der Demonstranten
Der Unmut der Demonstranten richtete sich auch gegen den autoritären Ex-Langzeit-Machthaber Nursultan Nasarbajew. Der heute 81-Jährige trat zwar 2019 zurück. Er galt aber weiterhin als mächtigster Mann im Staat. Tokajew setzte ihn am Mittwoch als Chef des Sicherheitsrats ab. Seither gab es Gerüchte, der 81-Jährige habe das Land verlassen.
Am Freitagabend telefonierte der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko mit Nasarbajew, wie die Staatsagentur Belta in Minsk meldete. Es sei um die Lage in Kasachstan gegangen. Es wurden aber keine Angaben zum Aufenthalt des Ex-Präsidenten gemacht.
Tokajew hatte überraschend ein von Russland dominiertes Militärbündnis um Unterstützung gebeten. Die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit entsandte nach eigenen Angaben insgesamt 2500 Soldaten der Bündnispartner nach Kasachstan, darunter russische Fallschirmjäger. Das löste im Westen Sorgen aus.
Militärische Hilfe aus Russland
Dazu sagte der Osteuropa-Experte Alexander Libman von der Freien Universität Berlin dem Portal "Watson": "Ich bin erschüttert darüber, wie schnell Kasachstan um militärische Hilfe bat – und wie schnell es sie auch bekam." Russlands Präsident Wladimir Putin nutze die Lage. "Aber ich kann noch nicht nachvollziehen, von wessen Seite die Initiative kommt. Es sieht nicht so aus, als käme sie von Russland, weil Kasachstan sehr souverän war und immer aufgepasst hat, eine Abhängigkeit von Russland zu vermeiden."
Kasachstan zählt zu den wichtigsten Rohöllieferanten Deutschlands und der EU. Tokajew schrieb in der Nacht an die Adresse der Wirtschaft im Ausland: "Die Politik der offenen Türen für ausländische Direktinvestitionen wird eine Kernstrategie Kasachstans bleiben." (dpa/hub)
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