Was sich in Spanien schon abgezeichnet hatte, ist nun bittere Gewissheit: Nach dem Ende des Zweiparteiensystems schafft es das Land weiter nicht, eine Koalitionsregierung zu bilden. Bei den Gesprächen ging es um Respekt - und Hundehütten.
Spanien droht nach einer neuen Abstimmungspleite von Ministerpräsident Pedro Sánchez eine Wiederauflage der politischen Blockade von 2016.
Das Parlament in Madrid erteilte am Donnerstag - wie zwei Tage zuvor - den Wiederwahl-Absichten des 47 Jahre alten Sozialisten erneut eine klare Absage.
Sánchez' sozialdemokratisch orientierte Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) hatte es zuvor versäumt, bei komplizierten Verhandlungen ein Koalitionsabkommen mit dem linksalternativen Bündnis Unidas Podemos (UP) zu erzielen.
"Meine Überzeugungen sind wichtiger als das Amt des Regierungschefs", rechtfertigte Sánchez seine ablehnende Haltung gegenüber den Linksalternativen.
Es drohen vorgezogene Wahlen
Die enthielten sich am Ende der Stimme, während die Konservativen, Liberale, Rechtspopulisten und andere mit Nein stimmten. Die neue Pleite von Sánchez setzte einen von der Verfassung vorgeschriebenen Wettlauf gegen die Zeit in Gang: Hat die viertgrösste Volkswirtschaft der Eurozone bis Mitternacht des 23. Septembers keine Regierung, muss König Felipe VI. am Tag darauf eine neue vorgezogene Parlamentswahl ansetzen, die voraussichtlich im November stattfinden würde.
Bis dahin würden die Sozialisten geschäftsführend und mit einer parlamentarischen Minderheit weiterregieren. Die Befugnisse sind dann aber deutlich eingeschränkt - nicht nur, was die politischen Möglichkeiten, sondern auch was die Moral betrifft.
Erinnerungen an 2016 werden wach. Damals war das Land fast ein Jahr lang ohne reguläre Regierung geblieben. Die schwache konservative Regierung, die aus der Blockade hervorging, hielt nicht lange. Sie wurde im Juni 2018 von Sánchez per Misstrauensvotum gestürzt.
Der Sozialist musste im Februar wiederum die Wahlen vorziehen, als die katalanischen Separatisten ihm die Unterstützung für den Etatentwurf verweigerten. Die Neuwahl am 28. April gewann die PSOE zwar klar, die absolute Mehrheit verpasste die Partei aber deutlich.
Taktisches Kalkül von Sánchez?
Medien mutmassen in Spanien, dass Sánchez die Abstimmungspleiten dieser Woche in Kauf genommen hat, weil er glaubt, dass seine Partei bei einer Neuwahl noch besser als im April abschneiden würde.
Da könnte er sich aber irren. Das meinen nicht nur die politischen Gegner des Sozialisten, die - wie der Generalsekretär der konservativen Volkspartei PP, Teodoro Garcia Egea - sagten, Sánchez habe bewiesen, dass ihm "nicht über den Weg zu trauen" sei.
Aber auch einige, die der PSOE nahestehen, glauben, dass die Rechnung nicht aufgehen könnte. PSOE und UP hätten in "höchst unverantwortlicher Form eine historische Chance verpasst", eine progressistische Regierung zu bilden, sagte der Generalsekretär des grössten Gewerkschaftsverbandes CCOO, Unai Sordo, und warnte vor einem "grauenvollen Szenario".
Er habe mit Wählern beider Lager gesprochen, die wegen der "unseriösen Koalitionsverhandlungen" über eine Abstrafung nachdenken.
Kritik am Verhalten des Ministerpräsidenten
Apropos Koalitionsverhandlungen - worum ging es da eigentlich genau? Das Linksbündnis UP, das als viertstärkste Kraft aus der Neuwahl hervorgegangen war, wollte Sánchez keinesfalls ohne Gegenleistung ins Amt verhelfen und hatte auf mehrere Ministerposten gepocht.
Schliesslich hatten sich beide Seiten auch etwas aufeinander zubewegt. Während Sánchez jedoch nur Ressorts von nebensächlichem Rang offerierte, wollte UP mehr, so vor allem das Arbeitsministerium - das die PSOE aber nicht hergeben wollte.
UP-Chef Pablo Iglesias kritisierte bei einer Rede im Parlament Sánchez' Verhalten als "respektlos" und "schäbig" und betonte: "Wir wollen Kompetenzen, nicht nur Sessel." Ein Podemos-Sprecher wurde noch deutlicher: "Wir wollten das Gästezimmer und haben die Hundehütte angeboten bekommen."
Hätten sich PSOE und UP geeinigt, so hätte Spanien - in dem lange ein Zweiparteiensystem herrschte - die erste Koalitionsregierung seit dem Ende der Franco-Diktatur vor vier Jahrzehnten bekommen.
Was nicht ist, kann aber noch werden: Immerhin hat Sánchez ja noch zwei weitere Monate Zeit, um eine Regierung auf die Beine zu stellen. Gelingt dies nicht, folgt das, was die Spanier schon kennen: Ein weiterer Ruf zu den Urnen - mit dem vorprogrammierten Dilemma, dass wegen der starken Zersplitterung der Stimmen wieder ein "Bloqueo" droht. © dpa
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