Ein US-Präsident hat Macht. Sehr viel Macht. Diese Macht ermöglichte es dem noch amtierenden Präsident Joe Biden unter anderem, kürzlich seine Sohn Hunter Biden zu begnadigen. Damit könnte er einen Präzedenzfall geschaffen haben, der das ohnehin gespaltene Land weiter spaltet und Donald Trump die Legitimation gibt, ebenso zu handeln.

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"Ich hoffe, die Amerikaner werden verstehen, warum ein Vater und Präsident zu einer solchen Entscheidung kommt" – so liest sich die offizielle Erklärung, die der noch amtierende US-Präsident Joe Biden unterzeichnet hat, um die Begnadigung seines Sohnes Hunter Biden zu begründen.

Hunter Biden, der einzige noch lebende Sohn des US-Präsidenten, war lange drogenabhängig und ist nach eigenen Angaben nun seit einigen Jahren clean. Angeklagt ist er wegen mehrerer Vergehen gegen Waffen- und Steuergesetze. Noch in diesem Monat hätte das Strafmass verkündet werden sollen. Bis zu 25 Jahre Gefängnis drohten dem 54-Jährigen, der damit den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen könnte.

Dass der amtierende US-Präsident nun entgegen seiner bisherigen Linie, wieder Vertrauen in die US-Institutionen zu schaffen und eben keine Klientelpolitik zu betreiben, von seinem Recht Gebrauch gemacht und seinen eigenen Sohn begnadigt hat, ist äusserst umstritten. Der designierte US-Präsident Donald Trump sprach vom "Missbrauch der Justiz", selbst Mitglieder des eigenen Lagers kritisieren den Demokraten Biden für seine Entscheidung.

Vorwurf: Joe Biden schwächt das Vertrauen in die Institutionen

Besonders umstritten ist, dass US-Präsident Biden in seiner Erklärung darauf verweist, dass die Verfolgung seines Sohnes durch die Strafbehörden politisch motiviert sei. "Keine vernünftige Person, die sich die Fakten in Hunters Fällen ansieht, kann zu einem anderen Schluss kommen, als dass Hunter nur deshalb herausgegriffen wurde, weil er mein Sohn ist", so Biden in seiner Erklärung.

Der noch amtierende US-Präsident schwäche damit das Vertrauen in die Institutionen und sorge dafür, dass das Land noch weiter gespalten wird, urteilt Julia Amalia Heyer im "Spiegel". Stephen Collinson vom US-Nachrichtensender CNN spricht von einer "erstaunlichen Entwicklung, da Biden bei seinem Amtsantritt versprochen hatte, die Unabhängigkeit des Justizministeriums wiederherzustellen, die während Trumps erster Amtszeit ausgehöhlt worden war, und weil er wiederholt gesagt hatte, er würde seinen Sohn nicht begnadigen".

US-Präsident Biden begnadigt Sohn Hunter

US-Präsident Biden begnadigt Sohn Hunter

Der Schritt steht im Widerspruch zu früheren Äusserungen des US-Präsidenten, wonach er sich nicht einmischen werde. Hunter Biden war wegen mehrerer Verstösse gegen das Waffengesetz angeklagt und verurteilt worden.

Trump könnte Begnadigung von Hunter Biden nutzen, um eigene Begnadigungen zu begründen

David Sirakov, Direktor der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz, erklärt gegenüber unserer Redaktion, Biden gebe damit Donald Trump und den Republikanern ein Argument, selbst Begnadigungen durchzuführen bei Anhängern des eigenen Lagers.

So hatte Trump bereits diskutiert, Verantwortliche für den Sturm auf das Kapitol zu begnadigen. Am 6. Januar 2021 waren Anhänger des damals abgewählten Präsidenten Donald Trump in Washington DC in das Parlamentsgebäude eingedrungen und hatten dieses besetzt. In der Folge wurden hunderte Verfahren angestrengt. Joseph Biggs, der Anführer der "Proud Boys", einer rechtsradikalen Gruppe, die den Sturm angeführt hatte, wurde zu 17 Jahren Haft verurteilt.

Biden nutzte das Recht zur Begnadigung deutlich weniger als sein Amtsvorgänger

US-Experte Sirakov warnt allerdings davor, Trumps Begnadigungspläne lediglich als Reaktion auf Bidens Verhalten zu werten: "Trump ist ein Normbrecher, der das Begnadigungsrecht bereits in der Vergangenheit für die ureigenen Interessen benutzt hat."

Auch die Zahlen belegen das: Während Joe Biden bisher 26 Begnadigungen ausgesprochen hat, hatte sein Vorgänger 237 Menschen begnadigt. Darunter Wegbegleiter wie Trumps Wahlkampfmanager Paul Manafort, Wahlkampfstratege Roger Stone, der ebenfalls für den Ex-Präsidenten tätig war und Trumps Nationaler Sicherheitsberater Michael Flynn.

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Begnadigung von nahestehenden Personen hat in den USA Tradition

Joe Biden ist auch nicht der erste US-Präsident, der sein Recht auf Begnadigung für die eigenen Angehörigen nutzt. Der designierte Präsident Donald Trump begnadigte während seiner ersten Amtszeit Charles Kushner, den Vater seines Schwiegersohns Jared. Charles Kushner soll nun in Trumps zweiter Amtszeit als US-Botschafter in Frankreich dienen. Der ehemalige Präsident Bill Clinton begnadigte am letzten Amtstag im Weissen Haus seinen wegen Kokainhandels verurteilten Halbbruder Roger.

Trotzdem ist die Begnadigung durch Biden in der aktuell aufgeheizten Stimmung etwas anderes, auch wegen des Umfangs der Begnadigung. Hunter Biden war nicht nur wegen Steuerhinterziehung, sondern auch Verstössen gegen das Waffenrecht schuldig gesprochen worden. "Wenn man so will, dann liegt die Präzedenz in der Kombination: eine allumfassende Begnadigung eines Familienmitglieds", so Sirakov.

Kann Donald Trump sich selbst begnadigen?

Der designierte US-Präsident Trump ist selbst bereits schuldig gesprochen worden in einem Prozess um Schweigegeldzahlungen an die Pornodarstellerin Stormy Daniels. Die Verkündung des Strafmasses steht allerdings noch aus. Trumps Anwälte fordern eine Aufhebung des Urteils und begründen dies mit der Begnadigung von Hunter Biden. Demnach sei der Prozess gegen Ex-Präsident Trump ebenfalls politisch motiviert und müsste ebenso eingestellt werden wie der gegen den Sohn des amtierenden Präsidenten.

Für den neuen US-Präsidenten kommt Bidens Entscheidung wie gerufen, er kann seine eigenen Vorhaben nun mit Verweis auf seinen Amtsvorgänger begründen. "Zudem wird die Möglichkeit der Selbstbegnadigung immer wieder in konservativen Kreisen thematisiert. Es würde mich daher nicht wundern, wenn Trump davon Gebrauch macht – mit oder ohne die Begnadigung von Hunter Biden", so Sirakov.

Begnadigungen durch den Präsidenten haben Verfassungsrang und sind in Artikel II geregelt. Dort wird lediglich eine Ausnahme genannt, nämlich die des Impeachments. Das bedeutet, dass die Begnadigungsmacht des Präsidenten ein Amtsenthebungsverfahren von Präsidenten oder Richterinnen und Richtern nicht berührt. Der Oberste Gerichtshof der USA hatte es bisher in seinen Urteilen als "unbegrenzt" bezeichnet.

Der Präsident darf demnach einer Person zu jeder Zeit, also vor, während oder auch nach einem juristischen Prozess vergeben, die Strafe reduzieren oder die Bedingungen ändern. "Es gibt allerdings eine juristische Streitfrage darum, ob der Präsident in der Lage wäre, sich selbst zu begnadigen", so US-Experte Sirakov. "Da dieser Fall bislang noch nicht eingetreten ist, wäre es erneut Sache des Obersten Gerichtshofs, dann zu entscheiden."

Über den Gesprächspartner

  • David Sirakov ist Politikwissenschaftler und seit 2015 Direktor der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz. Seine Forschungsschwerpunkte sind die US-Innenpolitik mit besonderem Schwerpunkt auf die politische und gesellschaftliche Polarisierung sowie der Aufstieg des Populismus in Europa und den USA.

Verwendete Quellen

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