Die Arbeit von Kevin McCarthy als Vorsitzender des US-Repräsentantenhauses stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Radikale Parteikollegen trieben ihn seit Anbeginn vor sich her. Nun sorgten sie dafür, dass er auf bittere Weise Geschichte schreibt.

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Kevin McCarthy
Der Republikaner Kevin McCarthy ist der erste US-Politiker, der als Vorsitzender des US-Repräsentantenhauses abgesetzt wurde. © IMAGO/UPI Photo/BONNIE CASH

Zum ersten Mal in der US-Geschichte ist ein Vorsitzender des Repräsentantenhauses durch ein Parlamentsvotum von seinem mächtigen Posten abgesetzt worden. Eine Mehrheit der Parlamentskammer stimmte am Dienstag dafür, den republikanischen Vorsitzenden, Kevin McCarthy, aus dem Amt zu entfernen. Hintergrund ist eine parteiinterne Revolte bei den Republikanern. Der Vorsitzende des Repräsentantenhauses kommt in der staatlichen Reihenfolge der USA an dritter Stelle nach dem Präsidenten und dessen Vize.

Angeführt von dem republikanischen Hardliner Matt Gaetz stimmten mehrere weitere Republikaner dafür, McCarthy zu entmachten. Die überwältigende Mehrheit der republikanischen Fraktion stellte sich hinter McCarthy, doch durch die acht Rebellen kam eine knappe Mehrheit gegen McCarthy zustande. Die Demokraten in der Kammer wiederum verzichteten darauf, McCarthy zu Hilfe zu kommen und votierten gegen ihn. Eigentlich haben die Republikaner das Sagen in der Kammer, aber nur mit ganz knappem Vorsprung. Durch die Zahl der internen Revoltierenden in den eigenen Reihen kam damit eine knappe Mehrheit gegen McCarthy zustande.

Der Anführer der Revolte

Gaetz hatte am Montagabend einen Antrag auf McCarthys Absetzung ins Repräsentantenhaus eingebracht. Der 41-Jährige warf McCarthy unter anderem vor, er mache gemeinsame Sache mit dem demokratischen Präsidenten Joe Biden, statt für die republikanische Fraktion zu arbeiten. Anlass ist der Haushaltsstreit in den USA. Gaetz störte sich daran, dass McCarthy am vergangenen Wochenende mit den Stimmen von Demokraten einen drohenden Stillstand der Regierung im letzten Moment abwendete. Der Kongress hatte am Samstag einen Übergangshaushalt bis Mitte November verabschiedet. Er beschuldigte McCarthy aber auch, gegen mehrere fraktionsinterne Absprachen verstossen zu haben – ihm sei daher nicht zu trauen.

Gaetz gehört seit geraumer Zeit zu den erbittertsten Gegnern McCarthys. Der 41-Jährige vertritt rechte Positionen und verbreitet regelmässig Verschwörungstheorien. Er steht stramm an der Seite von Ex-Präsident Donald Trump und sagte mit Blick auf die Revolte, er betreibe lediglich "Hausputz" für die Zeit, wenn Trump an die Spitze der Regierung zurückkehre. Mit seiner Rebellion bekam Gaetz am Dienstag die ganz grosse Bühne. Diverse Male meldete er sich bei der Debatte im Parlament zu Wort und scharte vor und nach der Abstimmung Dutzende Reporter um sich. Er ist das Gesicht der Rebellion.

McCarthy gab nach seiner dramatischen Abwahl eine lange Pressekonferenz. In einem teils emotionalen, teils angriffslustigen Auftritt teilte der 58-Jährige gegen seine Gegner aus, insbesondere gegen Gaetz. Diesem sei es nie um Inhalte gegangen, sondern allein um Persönliches – und darum, Medienaufmerksamkeit zu bekommen. Nichts von dem, was Gaetz sage, sei wahr.

McCarthy will nicht nochmal antreten

McCarthy beklagte sich auch bitterlich, dass ein Vorsitzender die überwältigende Mehrheit seiner Fraktion hinter sich habe und trotzdem von acht Abgeordneten gemeinsam mit der anderen Partei aus dem Amt entfernt werde. Das Parlament als Institution habe versagt. Mit einem bemühten Lächeln auf dem Gesicht verkündete der Geschasste, er sei mit sich im Reinen und würde im Rückblick rein gar nichts anders machen. Selbstironisch schob er nach: "Ich habe Geschichte geschrieben, oder?"

Wer nachrücken könnte, ist völlig unklar. McCarthy jedenfalls will nicht nochmal antreten – das machte er nach dem Votum klar. Auch Gaetz versicherte, er habe keine Ambitionen, selbst zu kandidieren – er wäre auch nicht mehrheitsfähig. In einer extrem zersplitterten Fraktion ist generell unklar, wer genug Parteikollegen hinter sich vereinen kann.

Mehrere Namen gehen um: darunter die bisherige republikanische Nummer zwei in der Kammer, Steve Scalise. Klar ist vorerst nur, dass eine Woche lang gar nichts passiert: So viel Zeit wollen sich die Republikaner nehmen, um sich zu sortieren und Personalien auszuloten. Frühestens Mitte kommender Woche könnte es eine Wahl geben. Wie viele Wahlgänge nötig sein werden, ist offen.

Auch international schwerwiegende Folgen

Da die Parlamentskammer ihren Vorsitzenden selbst wählt, ist sie auch das einzige Gremium, das ihn wieder aus dem Amt verdrängen kann – auf Antrag aus den Reihen der Abgeordneten. Nie zuvor hat ein Vorsitzender der Kammer allerdings auf diesem Weg seinen Posten verloren. In der Geschichte des Kongresses gab es zuvor auch überhaupt erst ein einziges Mal eine Abstimmung im Plenum des Repräsentantenhauses über einen Antrag auf Absetzung des Vorsitzenden. Das war vor mehr als hundert Jahren: 1910.

Die Kongresskammer dürfte nun vorerst lahmgelegt werden durch die Wahl eines neuen Vorsitzenden. Bis die Personalie geklärt ist, liegt alle restliche gesetzgeberische Arbeit auf Eis. Das parlamentarische Chaos fällt mitten in eine Zeit, in der der Kongress unter anderem einen Bundeshaushalt verabschieden muss, da der Übergangshaushalt Mitte November ausläuft. Ist bis zu der Frist kein neues Budget verabschiedet, steuern die USA einmal mehr auf einen vorübergehenden Stillstand der Regierungsgeschäfte zu, einen "Shutdown".

Das US-Parlament hat ausserdem über neue Hilfen für die Ukraine zu entscheiden. In dem am Wochenende verabschiedeten Übergangshaushalt sind keine weiteren Hilfen für das von Russland angegriffene Land vorgesehen. Das heisst nicht, dass die USA die Ukraine von jetzt auf gleich nicht mehr unterstützen. Allerdings geht das bisher genehmigte Geld zur Neige, neue Mittel müssen her. Die parteiinternen Kämpfe bei den US-Republikanern haben daher auch internationale Auswirkungen.

Schwere Vorwürfe gegen McCarthy

Gaetz hatte McCarthy vorgeworfen, er habe mit Biden Geheimabsprachen zu weiteren Ukraine-Hilfen getroffen. McCarthy wies das zurück. Gaetz gehört seit geraumer zu den erbittertsten Gegnern McCarthys.

Die Aktion ist der vorläufige Höhepunkt eines langen Kampfes der Republikaner um nicht weniger als das Wesen der Partei. Vor dem Votum duellierten sich Gaetz und andere Hardliner auf offener Bühne im Parlament mit moderaten Republikanern. Der Republikaner Tom McClintock beklagte, das Parlament werde gelähmt und Woche für Woche mit fruchtlosen Wahlgängen beschäftigt sein, während die eigentliche Arbeit liegen bleibe. Er sagte voraus: "Die Demokraten werden in der republikanischen Dysfunktionalität schwelgen, und die Öffentlichkeit wird zu Recht abgestossen sein."

Der Republikaner Kelly Armstrong schimpfte, seine Fraktion werde von einer kleinen Gruppe als Geisel genommen. Dies könnte die Republikanern am Ende die Mehrheit kosten.

Die Demokraten argumentierten, es sei nicht ihre Aufgabe, McCarthy vor dem "Bürgerkrieg" in den eigenen Reihen zu retten. Es sei an der Mehrheitsfraktion, den Vorsitzenden zu bestimmen. Vorerst könnten die Demokraten von der Implosion der republikanischen Fraktion profitieren. Doch je länger der Stillstand im Kongress dauert, umso grösser dürfte der Druck auf sie werden, im Sinne des Landes Vernunft zu zeigen und einen Kompromisskandidaten zu unterstützen.

McCarthy war im Januar erst im 15. Wahlgang ins Vorsitzenden-Amt gehievt worden und galt dadurch von Anbeginn an als stark geschwächt. Er musste der radikalen Rechten in seiner Fraktion damals weit entgegenkommen, um mithilfe ihrer Stimmen auf seinen Posten gewählt zu werden. Unter anderem setzten die Hardliner in der Fraktion damals durch, dass ein einzelner Abgeordneter einen Antrag auf Absetzung des Vorsitzenden stellen kann – was Gaetz nun ausnutzte. Die radikalen Abgeordneten trieben McCarthy seit Januar unerbittlich vor sich her. (dpa/ng)

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