Donald Trump will Grönland. In einer aktuellen Rede gibt er sich siegesgewiss. Doch was will Grönland? Der weitestgehend autonome Teil des Königreichs Dänemark wählt am 11. März ein neues Parlament – und sehnt sich nach Unabhängigkeit.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Katharina Ahnefeld sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Eine Szene aus der Zukunft Kaliforniens: Verkäuferinnen und Verkäufer reichen Lakritz-Softeis aus ihren Ständen, kleine rot-weisse Flaggen säumen den einstigen Hollywood Boulevard, und zum Lunch gibt es Smørrebrød. In den angrenzenden Hügeln thront der Schriftzug "Hyggewood" über der dänischen Metropole. Nur eines bleibt unverändert: Hotdogs werden in beiden Ländern gern gegessen.

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Die beschriebene Szene ist frei erfunden. Nicht erfunden ist der ernste politische Hintergrund einer Petition aus Dänemark: Die Initiatoren werben dafür, Kalifornien zu kaufen – als spassige Retourkutsche gegen Donald Trump.

Trumps Griff nach Grönland

Denn der US-Präsident will das zu Dänemark gehörende Territorium Grönland übernehmen. Notfalls mit militärischem Druck oder wirtschaftlichem Zwang. In einer vielbeachteten Rede vor dem US-Kongress bekräftigte er seine Forderung, die bis in seine erste Amtszeit zurückreicht: "Wir werden Grönland so oder so bekommen."

Trumps Beweggründe liegen auf der Hand. Für die USA ist die Insel mit seiner Positionierung zwischen Arktis und Nordatlantik von grosser strategischer Bedeutung. Seit dem Kalten Krieg hat Washington dort einen US-Luftwaffenstützpunkt. Zudem liegen reiche Bodenschätze unter dem Eis, das die Insel grösstenteils bedeckt.

"Trumps Worte wirken wie ein Brandbeschleuniger für das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Grönland und Dänemark."

Ulrik Pram Gad

Offizieller Teil des dänischen Königreichs

Trumps geopolitisches Gepolter hat in Grönland bereits Konsequenzen. Am Dienstag, den 11. März, finden vorgezogene Parlamentswahlen statt, die auch richtungsweisend für das künftige Verhältnis zu Dänemark sein könnten. Erstmals steht die Unabhängigkeit von Kopenhagen im Mittelpunkt des Wahlkampfs.

"Trumps Worte wirken wie ein Brandbeschleuniger für das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Grönland und Dänemark", sagt Ulrik Pram Gad, Forscher am Danish Institute for International Studies. Die grösste Insel der Welt wolle den aktuellen Status quo – eine Mischung aus Autonomie und Abhängigkeit von Dänemark – nicht länger hinnehmen.

Ein Blick in die Vergangenheit hilft, das besser zu verstehen. Geografisch gehört Grönland zwar zu Nordamerika, wurde jedoch im 18. Jahrhundert von Dänemark kolonisiert. Seit 1953 ist Grönland – ebenso wie die Färöer-Inseln – offiziell Teil des dänischen Königreichs, und seit 1979 verfügt das arktische Territorium über weitgehende Autonomie. 2009 erhielt das grösstenteils von indigenen Inuits bewohnte Grönland zudem das Recht, ein Unabhängigkeitsreferendum abzuhalten.

Grönland will sich von "Fesseln des Kolonialismus" befreien

Doch diese politischen Eckpfeiler ändern nichts daran, dass sich viele Grönländerinnen und Grönländer von Dänemark nicht als gleichwertig behandelt fühlen, sagt Gad. Die Kolonialgeschichte hat tiefe Wunden hinterlassen. Skandale wie eine Zwangsverhütung für Grönländerinnen in den 1960er- und 1970er-Jahren und Zwangsumsiedlungen prägen die Menschen bis heute.

In den vergangenen Jahren hat die grönländische Unabhängigkeitsbewegung starken Zulauf bekommen. Wie unter anderem "Bloomberg" berichtete, sprechen sich im aktuellen grönländischen Wahlkampf alle führenden Kandidatinnen und Kandidaten für eine Unabhängigkeit aus. Laut "Euractiv" befürworten dies auch beide Regierungsparteien, die zusammen 21 der 31 Sitze im Parlament halten – allerdings mit angezogener Handbremse. Vor einer vollständigen Abspaltung müsse Grönland wirtschaftlich unabhängiger von Dänemark werden. Einzig die Oppositionspartei fordert eine sofortige Loslösung.

Anfang des Jahres positionierte sich der lange zurückhaltend agierende grönländische Regierungschef Múte Bourup Egede entschieden: "Es ist an der Zeit, dass wir selbst einen Schritt unternehmen und unsere Zukunft gestalten", wurde der Politiker unter anderem von "Reuters" zitiert. Man wolle sich von den "Fesseln des Kolonialismus" befreien. Doch die entscheidende Frage bleibt: In welcher Form?

Regierungschef mit klarer Absage an Trump: "Grönland gehört uns"

Einen politischen Konsens zur Unabhängigkeit gibt es in Grönland bislang nicht. Denn die Umsetzung wäre angesichts der knapp 60.000 Einwohner und einer Wirtschaft, die stark von Fischerei und dänischen Subventionen abhängt, mit vielen Herausforderungen verbunden. Auch im Hinblick auf ein funktionierendes Sozialsystem und die Sicherheitspolitik in einer zunehmend angespannten Weltordnung. Daher rücken Assoziationsabkommen immer mehr in den Fokus.

Dass Grönland seine "Fesseln" an Dänemark freiwillig gegen eine Eingliederung in die USA eintauscht, ist unwahrscheinlich. Regierungschef Egede reagierte auf Trumps Äusserungen mit klaren Worten: "Grönland gehört uns", schrieb der Politiker bei Facebook. "Wir wollen keine Amerikaner oder Dänen sein. Wir sind Grönländer". Die Insel stehe nicht zum Verkauf, das müsse Trump begreifen. Grönland entscheide selbst über seine Zukunft. Worte, die einen tiefen Einblick in das Identitätsgefühl der grönländischen Bevölkerung gewähren.

85 Prozent gegen Übernahme durch USA

Eine Umfrage für die grönländische Zeitung "Sermitsiaq" und die dänische Zeitung "Berlingske" vom 29. Januar zeigt ebenfalls ein deutliches Bild: 85 Prozent der Befragten lehnen eine US-Übernahme ab, nur sechs Prozent würden zugunsten der USA aus dem Königreich Dänemark austreten, und neun Prozent sind unentschlossen. Bei der Frage nach einer vollständigen Unabhängigkeit von Dänemark gaben 55 Prozent der Befragten an, dafür zu stimmen, wenn heute ein Referendum abgehalten würde. 28 Prozent würden mit Nein stimmen, und 17 Prozent sind unentschlossen.

Die dänische Regierung wiederum scheint zunehmend bereit, auf Grönland zuzugehen."Grönland ist für die Grönländer", sagte die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen laut "Euronews" als Reaktion auf Trump. Ende Januar betonte die Dänin zudem, dass Grönland die Entscheidung über eine Unabhängigkeit selbst treffen müsse, wie "Reuters" berichtete.

Auch Aussenminister Lars Løkke Rasmussen äusserte sich ähnlich: "Sie (Anm. d. Red.: Die Grönländerinnen und Grönländer) wollen ihre Bindungen zu Dänemark lockern, wir arbeiten daran, um eine gleichberechtigtere Beziehung zu haben ... aber ich habe nicht den Eindruck, dass sie das tun wollen, um ein integrierter Teil Amerikas zu werden", zitierte ihn "Politico Europe". Wissenschaftler Ulrik Pram Gad bestätigt das: "Die wenigen Stimmen aus Grönlands Politik und Bevölkerung, die sich offen für einen Deal mit Trump zeigen, tun dies aus rein taktischen Gründen – um Druck auf Dänemark auszuüben."

Politische Szenarien für Grönlands Zukunft: Bevölkerung will selbst entscheiden

Für die dänische Regierung gibt es mehrere Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Kopenhagen könnte beispielsweise den Unabhängigkeitsprozess geschehen lassen. Diese Entscheidung kann Grönland selbst treffen, das dänische Parlament müsste sie billigen – aber gleichzeitig jegliche Unterstützung einstellen.

Angesichts der bisherigen wirtschaftlichen sowie aussen- und sicherheitspolitischen Abhängigkeit von Dänemark wäre diese Variante für Grönland jedoch kaum umsetzbar. Sie erscheint auch aufgrund der aktuellen Äusserungen von Frederiksen und Rasmussen zunehmend unwahrscheinlich.

Für Ulrik Pram Gad ist eine andere Variante naheliegender: "Kopenhagen könnte mit Grönland und den Färöer-Inseln ein enges Abkommen schliessen, das den jetzigen Status quo ersetzt und beiden Territorien Souveränität verleiht." Ein solches Abkommen müsste Grönland den Status eines souveränen Staates verleihen, ohne dass sich die Insel vollständig von Dänemark trennt oder auf dessen Unterstützung verzichtet.

Dies könnte bereits in den kommenden Jahren geschehen, beschleunigt durch den Druck von Donald Trump. Für den Arktis-Forscher erscheint dieses Szenario auch deswegen wahrscheinlich, da Grönland die enge Beziehung zu Dänemark weiterhin als hohe Priorität betrachtet, zugleich jedoch seine Beziehungen zu anderen Ländern ausbauen will. Möglicherweise auch zu den USA.

Eines macht die Diskussion deutlich: Grönland will selbst über seine Zukunft entscheiden. Auf Grönländisch heisst die riesige Insel in der Arktis übrigens "Kalaallit Nunaat". Übersetzt bedeutet das: Land der Grönländer.

Über die Gesprächspartner

  • Auch wir hätten für diese Geschichte gerne mit einer grönländischen Expertin oder einem Experten gesprochen. Doch durch den grossen weltweiten Andrang auf die "University of Greenland" können dort aktuell keine Presseanfragen bearbeitet werden.
  • Unser Gesprächspartner Ulrik Pram Gad forscht an der Universität von Kopenhagen seit Jahrzehnten zu Grönland. Sein zentrales Forschungsinteresse gilt dabei der Frage, wie Identitäten durch und in Opposition zum Nationalstaat konstituiert und verhandelt werden. Davor war er in der Aussenpolitik für die grönländische Regierung tätig.

Verwendete Quellen