Die Affäre um den geheimen Gruppenchat der Trump-Regierung geht weiter. Nachdem diese die Integrität von "Atlantic"-Chefredakteur Goldberg infrage gestellt hat, kontert das Magazin mit weiteren Screenshots.
"The Atlantic" hat neue Details aus dem geheimen Gruppenchat von hochrangigen Mitgliedern der US-amerikanischen Regierung veröffentlicht und bringt die Regierung von US-Präsident
Daraus geht hervor, dass Verteidigungsminister Pete Hegseth etwa eine halbe Stunde vor dem Beginn einer US-Militäroperation gegen die Huthi-Miliz im Jemen Mitte März in der Chatgruppe im Detail den Zeitplan, die genaue Abfolge der Bombardierung und die eingesetzten Waffensysteme teilte.
Der Chefredakteur des Magazins, Jeffrey Goldberg, war - wohl aus Versehen - in den Gruppenchat ranghoher Regierungsmitglieder eingeladen worden und konnte die Pläne über die bevorstehende US-Militäraktion im Jemen dort live mitlesen. Er machte das dramatische Sicherheitsversagen später mit einem langen Artikel publik. Seitdem ist die Trump-Regierung in Erklärungsnot - was sich durch die neuen Details nun verschärft.
Hegseth teilte sicherheitsrelevante Details in Signal-Chat
In der am 15. März um 11:44 Uhr (Ortszeit) gesendeten Nachricht, die "The Atlantic" jetzt samt Screenshots veröffentlichte, schildert der Pentagon-Chef den Ablauf und Zeitplan des bevorstehenden Militäreinsatzes – inklusive Wetter, Startzeiten von F-18-Kampfjets, Drohnen und geplanter Zielangriffe. Wörtlich heisst es unter anderem: "Zielterrorist befindet sich an seinem bekannten Aufenthaltsort." Eine Reaktion der US-Regierung gab es dazu zunächst nicht.
Mitglieder des Gruppenchats waren die obersten Führungsköpfe zur nationalen Sicherheit der USA: neben Hegseth unter anderem Trumps Stellvertreter
Hegseth bestritt nach Bekanntwerden der Vorwürfe vehement, "Kriegspläne" übermittelt zu haben. Er sagte: "Niemand hat Kriegspläne getextet. Und das ist alles, was ich dazu zu sagen habe." Er beschimpfte zudem "Atlantic"-Chefredakteur Jeffrey Goldberg als "betrügerischen und diskreditierten sogenannten Journalisten".
Laut "The Atlantic" wurden in dem Signal-Chat präzise Zeitstempel und operative Befehle ausgetauscht, die den Ablauf der militärischen Operation verdeutlichten. So gab es beispielsweise um 11:44 Uhr ein "TEAM UPDATE", gefolgt von Befehlen zum Start des ersten Angriffs um zirka 12:15 Uhr und weiteren Anweisungen, die den Ablauf der Mission untermauerten.
Darüber hinaus übermittelte demnach der Nationale Sicherheitsberater Michael Waltz um 13:48 Uhr Echtzeitinformationen aus Sanaa. Er schrieb, dass ein Gebäude zusammengebrochen sei und mehrere Ziele identifiziert worden seien. Sechs Minuten später fragte US-Vizepräsident J. D. Vance: "Was?" Waltz korrigierte sich: "Zu schnell getippt. Das erste Ziel – ihr Top-Raketenmann – wurde identifiziert, als er das Gebäude seiner Freundin betrat, das jetzt eingestürzt ist." Vance antwortete: "Hervorragend." CIA-Chef John Ratcliffe kommentierte laut "The Atlantic": "Ein guter Anfang."
Wetter, Kampfjet-Startzeiten, Reihenfolge der Angriffe
Aus den Screenshots des Chatverlaufes geht hervor, dass Hegseth am 15. März kurz vor dem Beginn des US-Militärschlages im Jemen Einzelheiten zum geplanten Ablauf in dem Signal-Chat postete - inklusive Wetter, Startzeiten von Kampfjets und Reihenfolge der Angriffe. Genaue Orte der Militäraktionen nannte er in seiner Nachricht nicht.
Trumps Sicherheitsberater Waltz spielte dies einmal mehr herunter und schrieb auf der Plattform X über die neue Enthüllung: "Keine Standorte. Keine Quellen und Methoden. Keine Kriegspläne." Ausserdem seien ausländische Partner bereits vorab über die bevorstehenden Angriffe informiert worden.
Die ranghohen Regierungsmitglieder diskutierten in dem Chat auch hitzig, wie die Attacken gegen die Huthi nach aussen hin dargestellt werden sollten – und ob nicht am meisten Europa für seinen Handel davon profitiere, wenn die Schifffahrtsstrassen in der Region wieder sicher gemacht würden.
So schrieb Vance demnach: "Ich hasse es einfach, Europa wieder aus der Klemme zu helfen." Hegseth antworte: "Ich teile deine Abscheu vor dem europäischen Schmarotzen voll. Das ist erbärmlich." An anderer Stelle zweifelte Vance offen an, ob sein Chef Trump sich im Klaren sei, wie die Aktion mit Blick auf seinen sonstigen Kurs zu Europa ankomme: "Ich bin mir nicht sicher, ob sich der Präsident bewusst ist, wie sehr dies im Widerspruch zu den aktuellen Botschaften über Europa steht."
"The Atlantic": "Eindeutiges öffentliches Interesse" an den Nachrichten
"The Atlantic" hatte zuerst lediglich auszugsweise aus dem Chatverlauf zitiert, die militärischen Details aus Rücksicht auf die Sicherheit von US-Soldaten jedoch ausgelassen. Trump, Waltz und andere Beteiligte und führende Regierungsmitglieder behaupteten jedoch unisono öffentlich, dass in dem nicht gesicherten Chat keine geheimen Informationen ausgetauscht worden seien.
Das Magazin entschied sich daher für die Veröffentlichung auch der heiklen militärischen Passagen. "Es besteht ein eindeutiges öffentliches Interesse daran, die Art von Informationen offenzulegen, die Berater (von US-Präsident Donald Trump, Anm.d.Red.) in unsicheren Kommunikationskanälen ausgetauscht haben", schreiben Goldberg und Co-Autor Shane Harris nun – besonders, weil die Trump-Regierung versuche, die Bedeutung der Nachrichten herunterzuspielen.
Man habe vor der Veröffentlichung verschiedene Regierungsmitglieder gefragt, ob sie Einwände hätten. Die meisten hätten nicht reagiert. Das Weisse Haus sei gegen die Veröffentlichung gewesen.
Experten bewerten Nutzung von Signal als immenses Sicherheitsrisiko
Am Vortag hatten neben Trump auch mehrere andere Vertreter seiner Regierung erklärt, dass es sich bei der Kommunikation nicht um vertrauliches Material gehandelt habe, und "The Atlantic" gleichzeitig scharf kritisiert. Waltz will nun untersuchen lassen, wie "Atlantic"-Chefredakteur Goldberg Zugriff auf den Chat erhalten konnte.
Dass ranghohe Regierungsmitglieder überhaupt sensible Informationen über die kommerzielle App Signal austauschen, ist bereits ein Bruch der üblichen Sicherheitsstandards. Dass dort Details über einen bevorstehenden Militärschlag erörtert wurden - noch dazu vor den Augen eines Reporters, dessen Anwesenheit niemandem bewusst war, gilt als Sicherheitsversagen von immensem Ausmass.
Auch Experten warnten, dass die Nutzung eines Signal-Chats für derart sensible Informationen eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellt. "Atlantic"-Chefredakteur Goldberg erhielt die Informationen über die Angriffe zwei Stunden vor Beginn der Bombardierung. Hätten diese Details einen unbefugten Empfänger erreicht, wäre dies für US-Personal, insbesondere Piloten, potenziell gefährlich geworden.
So schrieb eine frühere Sprecherin des Verteidigungsministeriums aus der Amtszeit des Demokraten Joe Biden, Sabrina Singh, auf X, Hegseth habe den Ablauf der gesamten Operation und die Flugzeugtypen offengelegt, bevor die Operation überhaupt stattgefunden habe. "Er setzte das Leben unserer Kampfpiloten aufs Spiel. Details wie diese sind geheim. Ich bin absolut fassungslos."
Das US-Militär hatte Mitte März auf Befehl von Trump massiv Stellungen der Huthi-Miliz im Jemen angegriffen. Die Militärschläge gegen die Huthi gehen seitdem weiter. Die Miliz beherrscht grosse Gebiete im Jemen. Sie fing nach Ausbruch des Gaza-Kriegs zwischen Israel und der Hamas im Oktober 2023 damit an, den jüdischen Staat aus Solidarität mit der islamistischen Terrororganisation mit Raketen und Drohnen anzugreifen. Zudem begann sie mit Angriffen auf Schiffe - vor allem solche mit angeblicher Verbindung zu Israel -, die entlang der Küste des Jemen auf einer der für den Welthandel wichtigsten Seefahrtrouten unterwegs sind. (dpa/AFP/bearbeitet von tas und ank)
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels wurde berichtet, dass die Huthi-Miliz "grosse Gebiete in der Region und vor allem im Jemen" beherrsche. Stattdessen ist richtig, dass die Miliz nur im Jemen Gebiete beherrscht. Wir haben den Artikel entsprechend angepasst.