Die Luft für US-Präsident Joe Biden wird dünner. Kritik wird mittlerweile auch in seiner eigenen Partei, den Demokraten, laut. Fast zwei Dutzend haben sich schon öffentlich vorgewagt. Jetzt sieht eine Umfrage sogar seine Vize Harris vorn.

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Gerade erst hat US-Präsident Joe Biden auf dem Nato-Gipfel den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit dem russischen Machthaber Wladimir Putin verwechselt. Ausgerechnet. Hier zu sehen in einem X-Beitrag.

Die peinliche Verwechslung ist allerdings nur der Vorgeschmack auf eine Pressekonferenz Bidens, die kurz darauf folgt und nachhallen dürfte.

Pressekonferenz verschärft Bidens Lage

Sein Auftaktstatement liest Joe Biden, wie bei den allermeisten seiner Auftritte, von Telepromptern ab, mal links, mal rechts, weitgehend unfallfrei. Er räuspert sich viel – auch das ist bei ihm nicht ungewöhnlich – und stolpert nur ab und zu über ein paar Buchstaben.

Doch gleich bei der ersten Frage passiert ihm ein Patzer, der in der Rangliste der Versprecher direkt hinter Selenskyj-Putin kommt: Er verwechselt den Namen seiner Stellvertreterin Kamala Harris mit dem seines republikanischen Herausforderers und Erzrivalen Donald Trump. Ausgerechnet.

Ein Journalist fragt Biden, was er über die Chancen von Harris denkt, Trump bei der Präsidentenwahl zu schlagen, falls er selbst ausfallen sollte und sie für die Demokraten ins Rennen ginge. Biden antwortet: "Sehen Sie, ich hätte Vizepräsident Trump nicht als Vizepräsidentin gewählt, wenn ich nicht denken würde, dass sie für das Amt des Präsidenten qualifiziert ist."

Biden lässt - trotz allem – in der Konferenz aber keinen Zweifel daran, wer aus seiner Sicht nach wie vor die richtige Personalie für den Job ist: er selbst. "Ich glaube, ich bin die am besten qualifizierte Person für den Job." Er will die Arbeit, die er begonnen hat, zu Ende bringen.

Umfrage zeigt: Kamala Harris hätte gute Chancen

Wie "ABC News" berichtet, ergab eine Umfrage, die das Medium gemeinsam mit der "Washington Post" in Auftrag gegeben hat, dass Vizepräsidentin Harris bei den Wählern einen Vorsprung gegenüber Donald Trump hätte, wenn sie doch als Kandidatin der Demokraten nominiert würde. 85 Prozent der Befragten gaben ausserdem an, Biden sei zu alt für eine weitere Amtszeit.

Nach Informationen von "Capital" sollen sich zudem erste Geldgeber Bidens nach Alternativen umsehen. "Bidens Kandidatur ist dem Untergang geweiht", soll ein Biden-naher Spender laut Bericht gesagt haben. Nun müsste überlegt werden, wie es weitergeht. Es liefen ausserdem Vorbereitungen, um einen neuen Kandidaten oder eine Kandidatin zu finanzieren. Laut "Capital" gehöre Harris zu jenen, die Biden aus Sicht der Spender ersetzen könnten.

Die Spender konzentrierten sich bereits vermehrt auf die Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, sowie den Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom. Disney-Erbin Abigail Disney soll zudem ihre Spenden gänzlich zurückhalten wollen, bis Biden zurücktritt. Der Druck steigt also auch ausserhalb der eigenen Partei weiter.

Kamala Harris wird als potenzielle Ersatzkandidatin gehandelt. © Evan Vucci/AP/dpa/Evan Vucci

Die Kritiker sind von Bidens Performance nicht überzeugt

Die Performance auf der Pressekonferenz dürfte viele parteiinterne Kritiker Bidens nicht überzeugt haben. Unmittelbar nach dem Auftritt forderte ein weiterer Demokrat aus dem Kongress den Präsidenten auf, sich aus dem Wahlkampf zurückzuziehen. Fast zwei Dutzend haben sich schon öffentlich vorgewagt. Jeden Tag kommen neue hinzu. Und weit mehr Demokraten haben öffentlich grosse Sorgen über ihren Spitzenmann kundgetan: Sie werden mehr, sie werden lauter – und sie werden ungeduldiger.

Rechtlich wäre es laut "NZZ" (Bezahlinhalt) zumindest unkompliziert möglich, die Delegiertenstimmen aus den Vorwahlen an Kamala Harris weiterzugeben. Unwahrscheinlicher sei hingegen ein Parteitag, bei dem die verschiedenen Kandidaten um die Stimmen der Delegierten für die Nominierung buhlen – zumindest dann, wenn Biden selbst zurückziehen würde.

Andernfalls wäre es laut "NZZ" auch möglich, dass auf dem Parteitag dennoch ein anderer Kandidat gekürt wird. Denn die Delegierten müssten nach "bestem Wissen und Gewissen" die Meinung derer widerspiegeln, die sie gewählt haben. Eine vage Formulierung, die ein Schlupfloch offen lasse.

Wahlkampfexperte sieht strategischen Vorteil

Aus Sicht des Wahlkampfstrategen Julius van de Laar könnte ein Rückzug Bidens zum Nominierungsparteitag der Republikaner in der kommenden Woche ein Vorteil für die Demokraten sein. "Wenn jetzt am Montag der Korken platzen würde, Joe Biden sagen würde, ich bin raus, dann wird die komplette Öffentlichkeit einmal über die Demokraten sprechen. Republikaner wären im Endeffekt auf Pause gedrückt", sagte van de Laar, der 2008 und 2012 für den Wahlkampf von Ex-Präsident Barack Obama arbeitete, im Deutschlandfunk.

Normalerweise verzichte man auf Ankündigungen, während die andere Partei einen Parteitag abhalte, weil man mit eigenen Ankündigungen nicht durchdringen könne. Eine Rückzugsankündigung Bidens könnte aber dafür sorgen, dass niemand die Botschaft des republikanischen Präsidentschaftsbewerbers Donald Trump hören würde "und die Demokraten so einen Reset bekommen können", sagte van de Laar. (rs)

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