Nach dem offiziellen Ende es INF-Vertrags droht ein neues Wettrüsten zwischen den USA und Russland. Das Pentagon hat heute angekündigt, neue Boden-Luft-Raketen entwickeln zu wollen.
Mit dem INF-Vertrag ist am Freitag eines der weltweit wichtigsten Abrüstungsabkommen für Atomwaffen aufgelöst worden. Die USA bestätigten nach einer sechsmonatigen Kündigungsfrist das endgültige Aus für die Vereinbarung mit Russland. Sie war 1987 im Kalten Krieg geschlossen worden und sah vor, dass beide Seiten auf landgestützte atomare Mittelstreckenraketen verzichten. Nun wird ein neues Wettrüsten zwischen den beiden Ländern befürchtet.
Russland sei den Aufforderungen nach einer Zerstörung seines vertragswidrigen Marschflugkörpersystems SSC-8 nicht nachgekommen, erklärte US-Aussenminister Mike Pompeo. Die Vereinigten Staaten könnten deswegen nicht an dem Abkommen festhalten. Russland trage die alleinige Verantwortung für das Aus.
Neue Raketen werden entwickelt
US-Verteidigungsminister Mark Esper kündigte umgehend an, dass die USA nun mit der Entwicklung eines Mittelstreckenraketensystems voranschreiten würden. Das Pentagon hatte bereits 2017 die Grundlage dafür gelegt. Washington argumentierte damals, dass Forschungspläne für das mobile landgestütztes System als Botschaft an Russland gedacht seien, sich wieder an den Vertrag zu halten. Esper erklärte am Freitag, da die USA sich nun aus dem Abkommen zurückgezogen hätten, werde das Verteidigungsministerium die Entwicklung "uneingeschränkt" vorantreiben. Er handele sich um eine "besonnene Antwort auf Russlands Handlungen".
Moskau schiebt USA den schwarzen Peter zu
Das Aussenministerium in Moskau erklärte, das Abkommen sei auf Initiative der USA beendet worden. "Washington hat einen schwerwiegenden Fehler begangen", hiess es in einer Mitteilung der Agentur Tass zufolge.
Die Nato-Partner stellten sich mit einer gemeinsamen Erklärung geschlossen hinter die Entscheidung der USA. Für das Ende des Vertrags trage Russland die Verantwortung, sagte der deutsche Aussenminister
"Angebot ohne jede Glaubwürdigkeit"
Der russische Vize-Aussenminister Sergej Rjabkow hatte kurz vor dem Auslaufen des INF-Vertrages noch einmal ein Moratorium auf die Stationierung von Raketensystemen mittlerer und kürzerer Reichweite in Europa vorgeschlagen. Dies lehnte Stoltenberg allerdings als "Angebot ohne jede Glaubwürdigkeit" ab. Es gebe in Europa keine neuen Marschflugkörper der USA oder der Nato, dafür aber mehr und mehr russische, sagte er.
Wenn Russland wirklich keine Mittelstreckenwaffen in Europa wolle, sollte es erst einmal damit aufhören, selbst welche zu stationieren, ergänzte Stoltenberg. Zudem könnte Russland die bereits vorhandenen Systeme zerstören.
Die Amerikaner und die Nato werfen den Russen konkret vor, mit ihren Waffen vom Typ 9M729 (Nato-Code: SSC-8) gegen den Vertrag verstossen zu haben, weil sie weiter fliegen als erlaubt. Moskau bestreitet dies und beteuert, vertragstreu gewesen zu sein.
480 oder 2000 Kilometer Reichweite?
Das russische Waffensystem soll in der Lage sein, Marschflugkörper abzufeuern, die sich mit Atomsprengköpfen bestücken lassen und mehr als 2000 Kilometer weit fliegen können. Russland gibt die maximale Reichweite der SSC-8 hingegen mit 480 Kilometern an. Das wäre vertragskonform, da das Abkommen lediglich den Besitz landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern untersagte.
Die Nato will nun in den kommenden Monaten entscheiden, wie sie auf das Aus für den Abrüstungsvertrag und die russischen SSC-8 reagiert. Eine Option ist, dass die Bündnisstaaten ihre Präsenz im östlichen Bündnisgebiet und in der Ostsee verstärken und den Schutz kritischer Infrastruktur durch Raketen- und Luftabwehrsysteme ausbauen. Zudem könnten neue konventionelle Waffensysteme und Raketenabwehrsysteme stationiert werden, um Russland abzuschrecken.
Stoltenberg: Russland nicht kopieren
Die Stationierung neuer landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen in Europa gehört nach Angaben von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg derzeit nicht zu den Optionen. Man müsse das russische Verhalten nicht spiegeln, um weiter eine glaubwürdige Abschreckung und Verteidigung zu gewährleisten, heisst es zur Begründung.
Hoffnungen auf neue wirksame Absprachen zur Rüstungskontrolle gibt es derzeit kaum. Als Grund für die Kündigung des Vertrages durch die USA gilt nämlich auch die Tatsache, dass der INF-Vertrag nur Amerikaner und Russen bindet, nicht aber aufstrebende Militärmächte wie China. China soll mittlerweile über knapp 2000 ballistische Raketen und Marschflugkörper verfügen, die unter das Abkommen fallen würden. US-Präsident
Pompeo hofft auf neue Gespräche
US-Aussenminister Pompeo forderte China und Russland am Freitag dennoch noch einmal auf, die Gelegenheit für Gespräche zu nutzen. Trump wolle bei der Rüstungskontrolle ein neues Kapitel aufschlagen, sagte er. Dies könne mehr Sicherheit für die einzelnen Staaten und die ganze Welt bedeuten.
Kritik an der US-Entscheidung zur Aufkündigung des INF-Vertrags kam am Freitag unter anderem von Oppositionspolitikern aus dem Bundestag. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff erklärte, er sehe den Schritt trotz der russischen Vertragsverletzung als Fehler. "Ab heute besteht keinerlei Rechtsgrundlage mehr, die Russland und den USA die Entwicklung und den Besitz von landgestützten Mittelstreckenraketen verbietet", kommentierte er. Die EU müsse nun gemeinsam mit den Nato-Partnern mit Russland in Dialog treten, um neue regionale Rüstungskontrollvereinbarungen zu treffen.
Linke: Auf Russland zugehen
Die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen sagte: "Sicherheit in Europa gibt es nur mit und nicht gegen Russland und auch nicht durch blinde Gefolgschaft für US-Präsident Donald Trump." Eine verantwortungsvoll handelnde Bundesregierung müsse Russlands Vorschlag für ein Moratorium zur Raketenstationierung aktiv unterstützen. (mss/dpa)
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