Nicht zum ersten Mal Papst Franziskus von einem "Dritten Weltkrieg" gesprochen. Ein Vatikan-Experte erklärt, was er damit meint und warum er davon spricht.
In seiner Friedensbotschaft erinnerte der
Der Journalist und Autor Andreas Englisch lebt seit 1987 in Rom. Er gilt als einer der renommiertesten Experten für den Vatikan. Im Interview erklärt er, warum der Papst es ernst meint, wenn er von einem "Dritten Weltkrieg" spricht - und warum er seiner Meinung nach recht hat.
Herr Englisch, aus Ihrer Perspektive: Warum verwendet der Papst immer wieder den Begriff von einem "Dritten Weltkrieg"?
Andreas Englisch: Es ist in der Tat nicht das erste Mal, dass der Papst diesen Begriff benutzt. Bereits vor über einem Jahr hat er von einem "Dritten Weltkrieg" gesprochen, was ein riesiges Medien-Echo zur Folge hatte.
Alle haben sich gefragt, wie der Papst so etwas sagen kann. Aber der Papst sieht das eben tatsächlich genau so – und das hat er jetzt in dieser Friedensbotschaft noch einmal bekräftigt.
Was meint er genau, wenn er von einem Weltkrieg spricht?
Schon als er das erste Mal diesen Begriff verwendet hat, sagte Papst Franziskus, dass es zwar keine grosse Auseinandersetzung wie damals in Europa gibt, aber eine Vielzahl von Konflikten mit unfassbar vielen Toten, die mit so einer Härte geführt werden, dass er der Meinung ist, dass es sich dabei um einen globalen Krieg handelt. Und diesen globalen Krieg bezeichnet er als Dritten Weltkrieg.
Hat der Papst aus Ihrer Sicht damit recht?
Ich glaube, ja. Aus seiner Sicht ist das durchaus verständlich, weil er einen Teil dieses Krieges in einem Kampf der Reichen gegen die Armen sieht. Ein Krieg, in dem die Armen millionenfach verlieren. Wenn Sie sich die Uno-Statistik ansehen, werden Sie erfahren, dass ungefähr 70 Millionen Menschen pro Jahr verhungern – und das in einer Welt, die eine Überkapazität an Lebensmitteln produziert.
Und da sagt der Papst: Angesichts solcher Zahlen, angesichts von Millionen von Toten kann man von nichts anderem mehr sprechen als von einem Dritten Weltkrieg. Der Mann weiss aus eigener Anschauung, wovon er spricht.
Sie spielen auf seine Herkunft an?
Genau. Eines darf man, wenn man von Papst Franziskus spricht, nicht vergessen: Der Mann kommt aus Lateinamerika. Und laut Statistiken der Vereinten Nationen ist Lateinamerika das Land mit dem grössten Unterschied zwischen sehr arm und sehr reich. Das hat ihn so unglaublich geprägt. Das ist das Thema seines Lebens.
Das Thema von Johannes Paul II. war der Kalte Krieg, das war die atheistische Welt Moskaus. Aber das Thema dieses Papstes ist der Kampf "Arme gegen Reiche".
Franziskus hat sein ganzes Leben lang erlebt, dass Menschen mit dicken Autos fahren und in Saus und Braus leben, während Arme auf der Strasse wirklich verhungern. Diese Menschen sterben auf den Strassen in Lateinamerika, weil sie nicht die ein oder zwei Dollar haben, die sie zum Überleben brauchen. Der Papst sagt, das ist Krieg.
Weil ein Wirtschaftssystem wissentlich auf der ganzen Welt in vielen, vielen Ländern in Kauf nimmt, dass es diese Unzahl von Toten und dieses grosse Missverhältnis gibt. Und er sagt ausserdem, dass all die terroristischen Attentate, die wir derzeit erleben, mit diesem Ungleichgewicht zu tun haben. Ich kann dem Papst da nur beipflichten.
Ist die Verwendung dieses historisch aufgeladenen Begriffs also eine bewusste Provokation, mit der der Papst die Weltgemeinschaft wachrütteln will?
Selbstverständlich. Franziskus ist ein hochintelligenter Jesuit. Der weiss ganz genau, was passiert, wenn er das Wort "Krieg" in den Mund nimmt und von einem Dritten Weltkrieg spricht.
Er weiss ganz genau, dass Medien natürlich sofort darauf losgehen – und sagen werden: Wie kann der Papst so leichtfertig über so etwas apokalyptisches wie einen Dritten Weltkrieg sprechen?
Aber für den Papst sind die Zustände, die wir erleben, apokalyptisch. Das hat nichts mehr mit einem gepflegten, demokratischen Lebenswandel zu tun, so wie man sich das in der Ersten Welt einreden will.
Die Welt ist nicht so. Jeden Tag sterben Menschen durch Gewalt, Anschläge – oder durch die Verschiebung und Verflechtung der unterschiedlichen Wirtschaftssysteme.
Wie kritisiert der Papst die Wirtschaft konkret?
Der Papst betont immer wieder, dass die Wirtschaft zu einem grossen Teil völlig falsche Produkte produziert. Wir wissen alle, dass kein Mensch ein Auto mit 500PS braucht, nur weil er es sich leisten kann – aber wir produzieren trotzdem solche schädlichen Güter.
Er sagt auch, dass der unbedingte Wachstumswille in der Ersten Welt so nicht weitergehen kann, weil wir damit die Erde immer schneller ausbeuten – und die Erde das irgendwann nicht mehr aushalten wird.
Wir nehmen uns selbst die Lebensgrundlage, hat der Papst gesagt. Und das ist eine so apokalyptische Entwicklung, dass sie den Ausmassen eines Dritten Weltkriegs gleicht. Ich glaube, da hat er wirklich recht.
Wenn Sie das beschreiben, dann klingt das so, als ob der Papst die Rhetorik nutzt, die ihm ja als einzige Macht geblieben ist im Vergleich zu früheren Jahrhunderten, um Politik zu machen. Ist das richtig?
Franziskus macht im Moment genau das Gleiche, was auch schon Johannes Paul II. seit seiner Wahl 1978 sehr wirkungsvoll gemacht hat.
Ich glaube, einer der einflussreichsten Sätze, die überhaupt je ein Papst gesagt hat, war das Motto, "Habt keine Angst", das er zur Zeit der gewaltigen Umbrüche im Ostblock ausgegeben hat – und damit Millionen Menschen hinter dem Eisernen Vorhang Mut gemacht hat, der damaligen Sowjetunion die Stirn zu bieten.
Das war für ein Staatsoberhaupt, das über 120 Soldaten mit lustigen Uniformen verfügt, verdammt vermessen – und trotzdem unglaublich wirkungsvoll.
Und das macht Franziskus jetzt auch. Er sagt: Ich habe keine militärische und keine gesellschaftliche Macht, aber ich bin eine weltweit anerkannte Autorität, die in diesen Fragen ihre Stimme erhebt – und mit Worten Einfluss auf das Weltgeschehen nimmt.
Der Papst hat heute Geburtstag, glauben Sie, dass er bis zu seinem Lebensende im Amt bleiben wird?
Ich glaube, dieser Franziskus ist ein ähnlich entschlossener Krieger, wie das Johannes Paul II. war. Das war auch ein Krieger. Und auch dieser Papst wird nicht aufgeben.
Ich glaube, der wird in den Stiefeln sterben. Etwas anderes wäre auch kaum vorstellbar, denn zwei zurückgetretene Päpste nacheinander, das hielte der Vatikan nicht aus.
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