Auf einen Koalitionsvertrag haben sich die Wahlgewinner schon geeinigt. Doch den Regierungsauftrag bekam der bisherige Ministerpräsident. Welche Ziele verfolgt Staatspräsident Duda mit diesem Vorgehen und wie geht es nun weiter in Polen?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Freckmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Eigentlich schien die Sache schon in den Tagen nach der Wahl klar zu sein: Die liberalkonservative Bürgerkoalition (KO) unter Führung des ehemaligen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk hatte gemeinsam mit dem konservativen Dritten Weg und dem Linksbündnis Lewica eine Mehrheit erreicht.

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Die bisherige Regierungspartei, die nationalkonservative PiS um Parteichef Jarosław Kaczyński, hatte die Mehrheit verloren. Koalitionspartner sind für sie weit und breit nicht in Sicht. Und dennoch hat die Koalition der Wahlgewinner den Regierungsauftrag vom Präsidenten bisher nicht erhalten.

Präsident Duda will bisher regierender PiS-Partei Zeit verschaffen

Staatspräsident Duda wolle mit seiner Entscheidung der bisher regierenden PiS-Partei Zeit verschaffen, sagt Bastian Sendhardt vom Deutschen Polen-Institut unserer Redaktion. Ziel der noch regierenden Partei sei es, die Veränderungen, die in acht Jahren PiS-Regierung eingerichtet wurden, nun institutionell abzusichern. Dabei gehe es etwa um Neubesetzungen und Vertragsverlängerungen bei zentralen Posten für parteinahe Personen in staatseigenen Betrieben.

Dies betreffe auch die Finanzaufsicht oder Verträge von Journalisten, die bei den öffentlich-rechtlichen Medien arbeiteten. "Also generell scheint der Tenor zu sein, man möchte noch so viel, wie es geht, für das eigene Lager, das eigene Klientel, herausholen und es der kommenden Regierung so schwer wie möglich machen", sagt Sendhardt.

Auch das persönliche Verhältnis von Präsident Duda und Donald Tusk sei nicht das beste, erklärt der Experte für das polnische politische System. Zudem sei Tusk der "Intimfeind" von PiS-Parteichef Kaczyński. Nicht zuletzt dürfte aber auch ein anderer Aspekt bei Präsident Duda selbst für Unruhe sorgen.

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Denn das Parteienbündnis um Donald Tusk hat sich vorgenommen, dass diejenigen, die Verfassungsbrüche während der letzten acht Jahre begangen haben, auch juristisch zur Rechenschaft gezogen werden sollten. "Das betrifft auch den Präsidenten", sagt Sendhardt.

PiS-Partei rüstet sich für Oppositionszeiten

Um vor seinen eigenen Anhängern gut dazustehen, könnte sich Präsident Duda die Regeln der polnischen Verfassung zunutze machen. Denn danach geht der erste Regierungsauftrag vom polnischen Präsidenten aus. Wenn die von ihm beauftragte Person scheitert, bittet die polnische Abgeordnetenkammer, der Sejm, jemand anderen, die Regierung zu bilden.

Wenn daher der von Duda beauftragte bisherige Regierungschef Mateusz Morawiecki scheitert, würde Tusk den Auftrag aus dem Parlament erhalten, erklärt Sendhardt. So könnte aber Präsident Duda vor allem vor seinen eigenen Anhängern erklären, dass Donald Tusk nicht auf seine Initiative hin Ministerpräsidenten geworden ist.

Möglicherweise verfolgt die PiS-Partei auch ein ganz anderes Kalkül. Denn so könnte der bisherige Ministerpräsident Morawiecki auf diesem Wege eine Art Regierungskabinett im Wartestand präsentieren, auch wenn er keine Mehrheit im Parlament bekommen würde, sagt der Experte. "So kann er dies als Auftakt für die Kommunalwahlen im April und die Europawahlen im Juni nutzen, um sagen zu können: 'Wir hätten die Mannschaft zusammen gehabt, die die Souveränität Polens verteidigt, die den guten Wandel in Polen fortsetzt'", sagt der Wissenschaftler vom Deutschen Polen-Institut.

Künftige Regierungskoalition hat bereits Koalitionsvereinbarung unterzeichnet

Was in Zukunft aus Präsident Duda selbst werden wird, ist aber noch nicht ausgemacht, sagt der ehemalige deutsche Botschafter in Polen, Rolf Nikel, im Gespräch mit unserer Redaktion. Wenn es ihm darum ginge, künftig eine innenpolitische Rolle zu spielen, werde er als Politiker, welcher der PiS nahesteht, das künftige Regierungsbündnis um Tusk wohl weiter unter Druck setzen.

Wenn Duda aber daran gelegen sei, in Zukunft eine internationale Rolle einzunehmen, dürfe er es sich mit Tusk und seiner "Bürgerkoalition" nicht verscherzen. "Vielleicht will er aber zunächst einfach nur die neue Machtverteilung und die Stabilität der neuen Regierung testen", sagt Nikel.

Derweil ist in Warschau das neue Parlament zusammengetreten. Bei der Wahl seines Vorsitzenden erhielt der pro-europäische Kandidat Szymon Holownia sogar knapp 20 Stimmen mehr, als die von Donald Tusk angestrebte Regierungskoalition im polnischen Parlament Stimmen besitzt, wie "Zeit Online" berichtete. Auch im Senat Polens wurde mit Małgorzata Maria Kidawa-Błońska eine Europa-freundliche Kandidatin zur Senatspräsidentin gewählt.

Dass wirklich am Ende eine Regierungsbildung des Parteienbündnisses rund um Donald Tusk noch verhindert werden könnte, glaubt Rolf Nikel nicht. Denn insgesamt sei das Wahlergebnis Folge einer "enormen Mobilisierung der polnischen Gesellschaft. Niemand würde verstehen, wenn die neue Regierungsmehrheit jetzt aus welchen Gründen auch immer scheiterte."

Und so sind die drei Parteien auch schon einen Schritt weiter und haben bereits eine Art Koalitionsvereinbarung unterzeichnet. Damit solle nach Ansicht des ehemaligen deutschen Botschafters in Polen versucht werden, "drei heterogene Parteienbündnisse von Mitte rechts bis Mitte links" zusammenzubringen.

Wie sich die Zusammenarbeit jedoch langfristig entwickelt, steht auf einem anderen Blatt. Offenbar hat der gemeinsame Gegner PiS-Partei die drei Akteure zunächst zusammengeschweisst. Bei den Herausforderungen und kommenden Wahlen wird der wohl künftige Ministerpräsident Donald Tusk laut Botschafter Nikel aber alle Hände voll zu tun haben, seine Koalition zusammenzuhalten.

Über die Gesprächspartner:

  • Rolf Nikel war von 2014 bis 2020 deutscher Botschafter in Polen und ist Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)
  • Bastian Sendhardt ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Polen-Institut.

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