Gerade noch sah es für die Linkspartei nach Aufwind und Erfolg aus, da scheinen eine Reihe an Misserfolgen die Umfragehochs wieder zunichtezumachen. Ein peinlicher Redebeitrag bei der Strategiekonferenz und eine nicht abgesprochene Klage gegen Kanzlerin Merkel überschatten die bisherige Aufbauarbeit. Politikwissenschaftler Prof. Dr. Frank Decker analysiert die Krise in der Linkspartei und spricht über die wichtigste Frage, die sich die Partei stellen muss.
Deutschland und sein Gesundheitssystem befinden sich angesichts des Coronavirus im Krisenmodus. Da geraten andere Krisenherde leicht in Vergessenheit: Beispielsweise die Linkspartei – die zuletzt von einer Reihe an Pannen und Blamagen geplagt war.
Erster Akt im Stück der Misserfolge: Ende Februar verklagen acht Abgeordnete der Linksfraktion Bundeskanzlerin Angela Merkel und weitere Regierungsmitglieder. Sie werfen ihr vor, bei der Ermordung des iranischen Generals Soleimani durch eine US-Drohne "Beihilfe" geleistet zu haben – weil amerikanische Datenströme über die US-Militärbasis in Rammstein liefen. Partei- und Fraktionsspitze distanzieren sich von der Klage, können aber die Aussenwirkung einer chronisch zerstrittenen Linkspartei nicht einfangen.
Gewalt- und Revolutionsphantasien in Kassel
Es folgt: Ein peinlicher Diskussionsbeitrag auf der Strategiekonferenz in Kassel Anfang März. "Nach einer Revolution, wenn wir ein Prozent der Reichen erschossen haben", brauche man eine Energiewende für Heizung und Mobilität, äusserte sich eine Teilnehmerin lautstark.
Ein Video von dem Redebeitrag geht im Anschluss im Internet viral, Parteichef Bernd Rixinger kommentierte die Gewalt- und Revolutionsfantasien zunächst nur scherzhaft. Der Imageschaden ist ausgemacht, wieder wird deutlich: die Linke hat ein Problem mit Radikalen.
Die Liste der Pannen liesse sich fortführen: Über Ramelows Wahl eines AfD-Mannes zum Parlamentsvizen bis hin zur Podiumsdiskussion über deutsch-russische Beziehungen, auf der die Linke sich als Putin-Freund und Russlandversteher inszeniert.
Grundsatzkrise von Burgfrieden verdeckt
Dabei hatte es nach der Wahl von Bodo Ramelow in Thüringen eigentlich nach Aufwind ausgesehen: Die Linken fuhren in Umfragen im März Ergebnisse im zweistelligen Bereich ein – bundesweit. Nach der Blamage von CDU und FDP in Thüringen konnte sich die Linke als Retter der Demokratie verkaufen, das kam bei vielen Wählern gut an. Ist also nun die jahrelange Aufbauarbeit zunichtegemacht worden?
Für Politikwissenschaftler Frank Decker von der Universität Bonn ist die aktuelle Situation Ausdruck einer herrschenden Dauerkrise in der Linkspartei. "Diese Dauerkrise war bislang nur durch einen Burgfrieden verdeckt", urteilt der Experte.
Zwar gebe es mit Kipping und Riexinger, die seit acht Jahren an der Spitze der Partei stehen, eine personelle Kontinuität – viele Grundsatzfragen seien aber weiterhin ungeklärt. "Die aktuellen Ereignisse lassen diese Grundsatzkrise immer wieder aufflammen", so Decker.
Frage nach der Regierungsbeteiligung
Die wichtigste Frage lautet dabei in seinen Augen: "Wie hält die Linke es mit einer möglichen Regierungsbeteiligung?" Dieses Thema sei wiederum mit einer Reihe weiterer politikinhaltlicher Fragen verknüpft – etwa Positionen in der Aussen- und Sicherheitspolitik. "Den Grünen ist es Ende der 1980er Jahre gelungen, die Frage zu klären. Bei den Linken ist die Klärung bis heute nicht erfolgt", erklärt Decker.
Zwei Gruppen stehen sich in der Linkspartei relativ unversöhnlich gegenüber: Reformer und Fundamentaloppositionelle. Während die Reformer unter einer "Systemüberwindung" nur eine sozialistische Umgestaltung des Wirtschaftssystems verstünden, fänden sich bei den Fundamentalisten auch demokratiefeindliche Positionen, erklärt Decker. "Die extremistischen Kräfte sind in der Partei nicht in der Mehrheit, aber sie bilden eine lautstarke Minderheit und stellen die grundsätzliche Regierungsfähigkeit der Linken infrage", so der Wissenschaftler weiter.
Gefahrenpotential verkannt?
Eigentlich seien jene Kräfte, so Decker, in der Vergangenheit zurückgedrängt worden. Bestes Beispiel: die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht. Einst Vertreterin der kommunistischen Plattform, repräsentiert die 50-Jährige heute in der Wirtschafts- und Sozialpolitik die Positionen des Reformflügels. "In Fragen der Flüchtlingspolitik steht sie innerhalb der Partei sogar am rechten Rand", erinnert Decker.
Erkennt die Parteispitze das Gefahrenpotenzial, welches von den extremen Kräften ausgeht? Riexingers Reaktion auf der Strategiekonferenz lässt daran zumindest zweifeln. Dabei sollte sich die Linke dringend mit dieser Frage befassen: "Solange die Frage einer Mehrheit für Rot-Rot-Grün nur eine rein theoretische ist und man überhaupt nicht in die Situation kommt, darüber konkret nachzudenken, kann man fundamentaloppositionelle Positionen natürlich leicht vertreten", wendet Decker ein.
Rot-Rot-Grün wird realistischer
Das aber hat sich geändert: "Das Parteiensystem hat sich im letzten Jahr deutlich nach links bewegt", sagt Decker. Inzwischen ist Rot-Rot-Grün bei allen grossen Umfrageinstituten auch im Bund rechnerisch möglich. Die Ursache dafür liege vor allem im Höhenflug der Grünen, welche auch in bürgerliche Wählerschichten vorgedrungen seien.
In Bremen kam es erstmals in einem westlichen Bundesland zu einer Rot-Rot-Grünen Koalition. Vor allem die SPD begegnet der Linken inzwischen merklich offener, lehnt eine Zusammenarbeit mit ihr auch auf der Bundesebene nicht mehr prinzipiell ab. "Befürworter von Rot-Rot-Grün innerhalb der Linkspartei befürchten deshalb, dass die Querschüsse aus den eigenen Reihen die wechselseitige Annäherung torpedieren könnten", sagt Decker.
Russlandpolitik als Alleinstellungsmerkmal
Warum aber ist es so schwierig für die Linkspartei, die Frage nach der Regierungsbeteiligung zu klären? Politikwissenschaftler Decker erklärt das parteiinterne Dilemma am Beispiel der Russlandpolitik.
"Die russlandfreundlichen Positionen der Linken sind besonders in Ostdeutschland sehr anschlussfähig. Auch mit ihrer grundsätzlichen Ablehnung von Militäreinsätzen kann die Partei ein Alleinstellungsmerkmal für sich reklamieren", sagt Decker. Würde sie diese Positionen aufgeben oder abschwächen, liefe sie Gefahr, sich von einem Teil der eigenen Wählerschaft zu entfremden.
Die strategische Herausforderung für die Linkspartei bestehe insofern darin, die Alleinstellungsmerkmale zu verteidigen, gleichzeitig aber den eigenen Anhängern, den Wählern und den möglichen Koalitionspartnern zu signalisieren, dass diese einer Regierungsbeteiligung nicht im Wege stehen würden.
Politischer Mut gefordert
Der Erfolg von
Genau darin sieht Decker aber eines der grössten Probleme: "Durch die mangelnde Abgrenzung von Putins Russland oder von linken Diktaturen wie in Kuba oder Venezuela entsteht ein Glaubwürdigkeitsproblem."
Die Linken praktizierten in der Aussenpolitik doppelte Standards. "Russland als positives Gegenmodell zum Hauptfeindbild USA – das ist nicht sonderlich plausibel", urteilt Decker. Um damir aufzuräumen, bedürfe es in der Linkspartei politischen Mut, selbst wenn dadurch mögliche Unterstützer verprellt werden.
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