FDP-Vize Kubicki hat gefordert, bei der Entwicklungszusammenarbeit zu sparen, um den Bundeshaushalt zu entlasten. Auch andere kritisieren, Deutschland "verpulvere" Steuergelder im Ausland – etwa für Radwege in Peru. 2022 zahlte Deutschland so viel Entwicklungshilfe wie Grossbritannien und Frankreich zusammen. Woran das liegt und was die Zahlen wirklich sagen.
Subventionen streichen hier, Preiserhöhungen dort: Seitdem durch das Karlsruher Urteil im Bundeshaushalt ein Milliarden-Loch klafft, geht es deutschlandweit ums Sparen. Wenn es nach FDP-Vize
"Wenn wir über eine halbe Million für Kapazitätsaufbau und Gender-Training für zivilgesellschaftliche Basis-Organisationen und Sozialarbeiterstationen in einer Provinz Chinas verwenden und stattdessen unsere Fischer und Bauern mehr belasten, dann ist das nicht mehr rational zu erklären", kritisierte Kubicki gegenüber "Ippen Media".
315 Millionen für Radwege in Peru?
Dem vorausgegangen waren mehrere Berichte, wie Deutschland angeblich seine "Entwicklungshilfe in der Welt verpulvert". So heisst es in einem Bericht von "Focus Online" beispielsweise, Deutschland gebe 315 Millionen Euro für Busse und Radwege in Peru aus.
In einem Kommentar der "Welt" prangert Autor Sebastian Nötzel darüber hinaus 600.000 Euro für die Stärkung von Vielfalt und Toleranz in Indonesien an, ebenso 500.000 Euro für öko-feministische Entwicklungsalternativen in Südafrika und 86 Millionen Euro Entwicklungshilfe für China – "ein Land, dessen Wirtschaftskraft unsere haushoch übersteigt". Doch ist es wirklich so einfach?
"Nicht unbedingt", stellt Jörg Faust, Leiter des Evaluierungsinstituts der Entwicklungszusammenarbeit, klar. Bei der Entwicklungszusammenarbeit handele es sich vielfach auch um Kredite, die also rückzahlbar sind und teilweise auch nicht aus Haushaltsmitteln des Bundes subventioniert werden. "Nicht immer beziehen sich die diskutierten Summen daher auf Haushaltsmittel aus dem Bundesetat", merkt der ausserordentliche Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen an.
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Grossteil des Geldes wird zurückgezahlt
Man müsse genau betrachten, wie sich die Entwicklungszusammenarbeit zusammensetze: "Bei den diskutierten Summen solle daher klargestellt werden, inwiefern sie tatsächlich aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden, es sich um lediglich mit Bundesmitteln bezuschusste Kredite handele oder ob es um Förderkredite gehe, das heisst Kredite, die nur aus Eigenmitteln der KfW-Entwicklungsbank und zusätzlichen Marktmitteln bestehen", erklärt Faust.
Falsch ist es also, den Eindruck zu erwecken, dass in Peru für über 300 Millionen Euro Radwege mit deutschen Steuergeldern gebaut werden und hierzulande das Geld nicht für eigene Radwege reicht.
Das betont auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) auf Anfrage unserer Redaktion. Ein Sprecher sagt: "Das BMZ 'zahlt' nicht 315 Millionen Euro, sondern hat seit 2020 Zuschüsse in Höhe von bis zu 44 Millionen Euro für Infrastrukturvorhaben im Verkehrssektor zugesagt, die nicht zurückgezahlt werden müssen".
Ist China ein Entwicklungsland?
Zudem habe das BMZ Kredite aus Marktmitteln der KfW in Höhe von bis zu 155 Millionen Euro für diesen Zweck zugesagt, die jedoch zurückgezahlt werden müssen. 2022 seien 126 Millionen Euro – davon 24 Millionen als Zuschuss – für Infrastrukturvorhaben zugesagt worden, die Projekte befänden sich aber noch in der Planungsphase.
In Lima werde bereits mit einem Zuschuss in Höhe von 20 Millionen Euro der Aufbau eines Fahrradschnellwegenetzes unterstützt. "Und das aus guten Gründen: Mit dem Pariser Klimaschutzabkommen hat die Weltgemeinschaft 2015 vereinbart, dass alle Staaten ihre CO2-Emissionen senken und die reicheren Länder die ärmeren dabei unterstützen", erinnert der Sprecher.
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Wer entscheidet, was gefördert wird?
Ob ein solches Projekt gefördert wird, entscheide am Ende das Bundesministerium, den Haushalt genehmige das Parlament. Davor steht ein standardisiertes Verfahren, in dem etwa staatliche Durchführungsorganisationen Vorschläge für Massnahmen machen, die mit den Partnerländern vor Ort besprochen worden sind.
"Die konkreten Projektvorschläge werden beispielsweise von der KfW Entwicklungsbank oder der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Konsultation mit dem BMZ entwickelt und schliesslich dem Ministerium zur Genehmigung vorgelegt", sagt Faust.
Und in Bezug auf China? Hier lautete der Vorwurf, Deutschland zahle 86 Millionen Entwicklungshilfe an China, obwohl das Land eine viel höhere Wirtschaftskraft als die Bundesrepublik hat. Für das BMZ ist die Zahl nicht nachvollziehbar. Es erklärt gegenüber unserer Redaktion: "China verfügt über grosse wirtschaftliche und technologische Ressourcen und tritt selbst zunehmend als Land auf, das Kredite an Entwicklungsländer vergibt und in Infrastrukturprojekte beispielsweise in Afrika investiert."
Eigeninteresse von reichen Ländern
Deshalb behandele das BMZ China bereits seit 2010 faktisch nicht mehr als Entwicklungsland. "Die noch bestehende Zusammenarbeit des BMZ mit China konzentriert sich auf die gemeinsame Bereitstellung sogenannter globaler öffentlicher Güter wie etwa Klimaschutz und Gesundheit, auf den Austausch zu Standards und Regularien in der Entwicklungszusammenarbeit und einzelne Kooperationen zugunsten von Drittländern", so der Sprecher des BMZ weiter.
Auch Faust verdeutlicht noch einmal: "Es ist in einem aufgeklärten Eigeninteresse von reicheren Ländern, ärmere zu unterstützen und mit diesen zusammenzuarbeiten – nicht nur bei der Armutsbekämpfung, sondern auch beim Klimaschutz, bei der Konfliktprävention und Demokratieförderung oder nachhaltiger Infrastrukturpolitik. Denn im Zuge der Globalisierung wirken sich die Effekte von Armut, Konflikten und ökologischen Problemlagen viel unmittelbarer und stärker auch auf die reicheren Länder aus."
Im internationalen Vergleich vorne
Allerdings leistet Deutschland im internationalen Vergleich besonders viel. "Die von Deutschland geleistete Entwicklungszusammenarbeit ist in der letzten Dekade deutlich gestiegen. Deutschland hat 2021 etwa so viel gezahlt wie Grossbritannien und Frankreich zusammen", sagt Faust. Nämlich über 32 Milliarden Euro, Grossbritannien und Frankreich jeweils etwa 14 Milliarden. Die Geberstaaten haben sich international selbstverpflichtet, 0,7 Prozent ihres Volkseinkommens für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben.
Deutschland hat das Ziel sogar leicht übertroffen und landet im Maximum bei 0,75 Prozent, sagt Faust. Insbesondere in Grossbritannien sei die Bedeutung der Entwicklungszusammenarbeit in den letzten Jahren deutlich gesunken. "Dies lässt sich unter anderem auch mit den politischen Entwicklungen unter einer sehr konservativen Regierung in der letzten Dekade erklären", erläutert der Experte.
Verlust an Einflussmöglichkeiten
Gemessen an seiner Wirtschaftskraft landet Deutschland hinter Luxemburg, Schweden und Norwegen derzeit auf Platz 4. "Zugleich liegt es vor Ländern, die traditionell einen höheren Anteil in ihr Militär investieren", sagt der Sprecher des BMZ.
Das vergleichsweise grosse entwicklungspolitische Engagement liege im deutschen Interesse. In der multipolaren Weltordnung sei Deutschland mehr denn je auf Verbündete angewiesen, mit denen man respektvoll zusammenarbeitet. "Eine aktive Entwicklungspolitik schafft dafür die Voraussetzungen", so das BMZ. Länder, die ihr Engagement in der Entwicklungspolitik drastisch zurückgefahren hätten, müssten das mit einem Verlust an Einflussmöglichkeiten bezahlen.
Rückhalt bröckelt
Aus Sicht von Faust sollte Entwicklungszusammenarbeit nicht nur aus altruistischen Motiven erfolgen, sondern sie sei ein gutes und relevantes Instrument, um unerwünschte Effekte von Globalisierung, Krisen, Konflikten und Umweltproblemen zu mildern.
Doch auch in Deutschland bröckelt der traditionell hohe Rückhalt für die Entwicklungshilfe. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts "Forsa" vom Ende des vergangenen Jahres zufolge, über die die "Evangelische Zeitung", berichtet, würde mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland mit Blick auf den Bundeshaushalt, wenn nötig, am ehesten bei den Ausgaben für die Entwicklungshilfe sparen. Jeweils etwas weniger als ein Drittel würde bei den Sozialausgaben, den Ausgaben für die Bundeswehr sowie bei den Ausgaben für den Klimaschutz sparen.
Rotstift bei der Entwicklungshilfe?
Sparen also auch bei der Entwicklungshilfe? Die mittelfristige Haushaltsplanung legt nahe, dass der Etat deutscher Entwicklungszusammenarbeit in den kommenden Jahren abnehmen wird. Während der Haushalt des BMZ 2023 bei rund 12,1 Milliarden Euro lag, wurden für das Jahr 2024 rund 11,1 Milliarden Euro vorgeschlagen. Die Gesamtsumme der deutschen Entwicklungsleistungen geht aber stets weit über den Haushalt des Entwicklungsministeriums hinaus, denn nach den international vereinbarten Regeln zählt dazu zum Beispiel auch die humanitäre Hilfe des Auswärtigen Amtes.
Faust erinnert: "Entwicklungszusammenarbeit ist anspruchsvoll und es ist wichtig zu überprüfen, ob die Leistungen der Entwicklungszusammenarbeit auch die beabsichtigten Wirkungen entfalten. Entsprechend wird in dem Politikfeld, wie in kaum einem anderen, systematisch und unabhängig untersucht, inwieweit die Massnahmen auch ihre Ziele erreichen."
Über den Gesprächspartner
- Prof. Dr. Jörg Faust ist Direktor des Deutschen Evaluierungsinstituts der Entwicklungszusammenarbeit (DEval)und ausserordentlicher Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen.
Verwendete Quellen
- ippen.media: Bauernproteste in Deutschland: FDP-Mann Kubicki kritisiert Landwirtschaft-Sparpläne der Ampel
- schriftliche Anfrage an das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
- focus.de: Für Luxus-Karossen oder Radwege: Wie wir 12 Milliarden Euro in aller Welt verpulvern
- welt.de: Wieso bezahlt Deutschland Radwege in Peru? Die Ampel verjubelt meine Zukunft
- evangelische-zeitung.de: Umfrage: Deutsche würden am ehesten bei Entwicklungshilfe sparen
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