• Ungarns Oppositionsführer Péter Márki-Zay ist überzeugt davon Viktor Orbán bei den Wahlen schlagen zu können.
  • Márki-Zay ist enttäuschter Orbán-Wähler und möchte fortan einen westlichen Kurs fahren, wofür er Unterstützung von den sechs grössten Parteien Ungarns erhält.
Ein Porträt
Dieser Text enthält neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Wolfgang Rössler sowie ggf. von Expertinnen oder Experten. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Ungarns Oppositionsführer Péter Márki-Zay teilt viele der konservativen Werte des autokratischen Premiers in Budapest. Gerade deshalb ist er überzeugt, diesen bei den Wahlen am 3. April schlagen zu können. Zu Recht?

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Ungarn soll wieder Rechtsstaat werden

Es dauert ein wenig bis sich die Video-Verbindung aufbaut. Dann taucht ein verwackeltes Bild am Bildschirm auf: ein Mann mit freundlichem, runden Gesicht und wuscheligen Haaren. Er sitzt auf dem Beifahrersitz eines Autos und spricht von dort in sein Handy. Péter Márki-Zay, der Mann, der bei den ungarischen Parlamentswahlen am 3. April den zunehmend autokratischen Premier Viktor Orbán schlagen und sein Land wieder zu einem Rechtsstaat machen will.

Vor einigen Wochen hat er zu einer spontanen Online-Pressekonferenz mit ausländischen Journalistinnen und Journalisten geladen. Der Bürgermeister der südostungarischen Stadt Hódmezővásárhely spricht ein flüssiges amerikanisches Englisch mit leichtem Akzent. Gerade hat er eine Fabrik in seinem Wahlkreis besucht, jetzt ist er auf dem Weg nach Hause.

Die grössten Parteien haben sich zusammengetan

Seit 2010 regiert Orbáns rechtsnationale Fidesz-Partei in dem EU-Land mit knapp zehn Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Drei Mal konnte Orbán bisher bei den Wahlen die Zwei-Drittel-Mehrheit erlangen. Und das, obwohl er 2014 und 2018 landesweit kaum mehr als 50 Prozent der Stimmen erlangen konnte. Möglich machte das ein Wahlgesetz, das er im ersten Jahr seiner Regierungszeit unter in- und ausländischem Protest verabschieden liess: Davon profitiert die stärkste Partei überproportional. Es geht darum, die relative Mehrheit in jedem der 106 Wahlkreise zu gewinnen. Diese wurden in der Vergangenheit zudem zu Gunsten von Fidesz verändert.

Bisher schien es so, als hätte Orbáns Partei leichtes Spiel. Das lag vor allem an der zerstrittenen Opposition. Nun aber haben sich die sechs grössten Parteien – von Linken und Liberalen bis hin zur einst neonazistischen und nun rechtskonservativen Jobbik-Partei auf eine gemeinsame Liste geeinigt: Zusammen wollen sie Fidesz bei den Wahlen in die Knie zwingen. Landesweiter Spitzenkandidat ist Márki-Zay, ein Konservativer, der für eine Namensliste antritt. Er konnte sich bei einer Vorwahl der sechs Parteien als aussichtsreichster Kandidat überraschend gegen den Grünliberalen Bürgermeister der Hauptstadt Budapest durchsetzen.

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Márki-Zay will westlichen Kurs fahren

Márki-Zay soll ein Angebot an enttäuschte Orbán-Wähler sein: Der gläubige Katholik mit sieben Kindern hat lange als Marketingfachmann in den USA und Kanada gelebt. Als er vor rund zehn Jahren wieder zurück nach Ungarn kam, war er Orbán durchaus zugetan: "Ich habe selbst früher Fidesz gewählt", sagt er. Wie der Machthaber in Budapest tritt er für eine restriktive Asylpolitik ein. Den Stacheldrahtzaun an der Grenze zu Serbien, den Orbán am Höhepunkt der Flüchtlingskrise errichten liess, würde er als Premier auf jeden Fall stehen lassen. Auch mit Regenbogen-Paraden in der liberalen Hauptstadt Ungarns kann er sich nicht recht anfreunden: "Ich bin ein rechtskonservativer Katholik", sagt er auf die Frage einer italienischen Journalistin, wie er es mit LGBTQ-Rechten hält. Um dann fast verschmitzt nachzusetzen: "Bitte haben Sie Verständnis, dass ich mir mit dem Thema schwer tue."

Im Gegensatz zu Orbán, der sich in der Vergangenheit sowohl Flüchtlinge als auch Homosexuelle als Feindbilder auserkoren hat, pädiere er aber für einen respektvollen Umgang mit Minderheiten: "Ich stehe für pragmatische Lösungen, ohne Populismus", sagt Márki-Zay. Vor allem steht er im Gegensatz zu Orbán, der immer noch an seiner Männerfreundschaft zu Wladimir Putin festhält, für einen klar westlichen Kurs. Márki-Zay will den Dauerstreit Ungarns mit Brüssel beenden.

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Dabei geht es im Wesentlichen um zwei grosse Themen. Zum einen der ramponierte ungarische Rechtsstaat: Die renommierte NGO "Freedom House" stuft das EU-Land Ungarn nicht mehr als echte Demokratie ein, sondern als hybrides System an der Kippe zum Autoritarismus. "Illiberale Demokratie" nennt Orbán sein politisches Modell, das der Regierung praktisch ein beinahe uneingeschränktes Durchgriffsrecht auf Justiz und Medien einräumt. Generalstaatsanwalt Peter Polt ist ein erklärter Freund Orbáns, Anzeigen gegen Fidesz-Politikerinnen und -Politiker sowie gegen regierungsnahe Oligarchen verschwinden in Ungarn einfach in der Schublade. Und beinahe alle Medien – mit Ausnahme einiger kleiner Online-Magazine – sind gleichgeschaltet.

Propaganda und Korruption: ein grosses Problem Ungarns

Das investigative Online-Medium "Direkt 36" hat vor einigen Wochen eine Anweisung der Chefredaktion der staatlichen ungarischen Nachrichtenagentur MTI veröffentlicht: Demnach sind die Journalistinnen und Journalisten verpflichtet, Presseaussendungen von Fidesz sowie von Orbán-nahen Unternehmen unverzüglich im Volltext zu veröffentlichen. Es ist sogar verboten, Titel oder Bildunterschriften zu verändern. Die ungarischen Medien sind Propaganda-Organe der Regierung.

Und dann wäre da noch die ungarische Korruption. Das ist der Hauptgrund für die im Vorjahr eingeführte EU-Rechtsstaatsklausel, wonach Subventionen aus Brüssel zurückgehalten werden können, wenn deren rechtmässige Verwendung nicht gewährleistet ist. Derzeit liegen mehr als sieben Milliarden Euro aus dem Corona-Aufbaufonds für Ungarn auf Eis.

Vor allem am flachen Land ist die Korruption unübersehbar. Etwa in Pusztaottlaka, eine gute Autostunde von Márki-Zays Heimatstadt Hódmezővásárhely entfernt. Das kleine Dorf hat im Vorjahr pro Kopf die meisten EU-Förderungen in ganz Ungarn bekommen, umgerechnet rund 800 Euro pro Person – deutlich mehr als das durchschnittliche Monatseinkommen. Aber was ist mit dem vielen Geld passiert? Pusztaottlaka ist verwaist, es gibt keine asphaltierte Strasse. Am Ortsrand taucht schliesslich ein grosses Gelände auf, mit zahlreiche Schildern, die auf EU-Förderungen hinweisen: Insgesamt knapp 5,5 Millionen Euro für einen Industrie- und Freizeitpark, der angeblich bereits fertiggestellt ist. Tatsächlich steht in der Mitte ein kleines Haus, davor zahlreiche ausrangierte Feuerwehrautos. Ein Mitarbeiter vertreibt die ungebetenen Besucher.

Nicht einmal die staatliche Propaganda könne die augenscheinliche Korruption vertuschen, sagt Erbin Szabo, ein oppositioneller Lokalpolitiker von der rechten Jobbik-Partei. "Trotz dem vielen Geld aus Brüssel geht es den Leuten hier heute schlechter als vor zehn Jahren."

Orbán in Defensive durch Nähe zu Putin

Korruption, Armut und eine geeinte Opposition: Reicht das, um den begnadeten Populisten Orbán am 3. April zu schlagen? Glaubt man den Umfragen, dann liegt dessen Fidesz-Partei dennoch deutlich in Führung. Prognosen liegen in Ungarn oft falsch, aber der Trend ist eindeutig. Denn in den letzten Wochen vor der Wahl dominierten nicht die Themen Korruption und Wirtschaftsflaute sondern der Ukraine-Krieg.

Erst schien es, als ob Orbán durch seine Nähe zu Putin in die Defensive geraten würde. Doch bald hat er eine Erzählung gefunden: Der Populist gibt sich als neutraler Vermittler zwischen Russland und dem Westen, der sein Land aus dem Konflikt heraushalte. Márki-Zay, der Putin einen Diktator nennt und eindeutig Farbe bekennt für die Ukraine, nennt Orbán einen "Kriegstreiber". Vor zwei Wochen veranstaltete er in Budapest einen "Friedensmarsch" mit hunderttausenden Fidesz-Anhängern.

Oppositionsführer Márki-Zay will sich dennoch nicht geschlagen geben. "Ich gewinne Wahlen, keine Umfragen", sagte er letzte Woche. In wenigen Tagen wird sich zeigen, ob sein Optimismus berechtigt war.

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Verwendete Quellen:

  • Online-Pressekonferenz mit Peter Márki-Zay
  • Lokalaugenschein in Pusztaottlaka
  • Interview Jobbik-Politiker Ervin Szabo
  • Freedom House: Hungary
  • Direkt 36: How the Hungarian state news agency censors politically unpleasant news
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