Das Wohlbefinden des Tiers steht im Mittelpunkt der Hornkuh-Initiative. Die Initianten des Volksbegehrens prangern unnötiges Leiden durch das Enthornen an. Die Gegner argumentieren, dass enthornte Tiere mehr Bewegungsfreiheit hätten.
Es ist eine Volksabstimmung über ein Schweizer Symbol: Am 25. November entscheidet das Stimmvolk über das Schicksal der Kühe, genauer gesagt über deren Hörner. Die Initiative verurteilt die fast systematische Enthornung von Rindern und Ziegen: Nach Angaben der Initianten haben nur noch 10% der Schweizer Kühe ihre Hörner, 25% sind es nach Angaben des Bundes.
Die Abstimmung stellt die Kluft zwischen dem Image der Schweiz und der Realität in Frage: Werbeposter, Tourismus-Broschüren und Schokoriegel zeigen Kühe mit Hörnern, obwohl sie immer seltener sind. Aber die Debatte konzentriert sich in erster Linie auf das Tierwohl, wobei nicht nur die Enthornung ein Thema ist, sondern beispielsweise auch die Bedingungen, unter denen die Kuhherden gehalten werden.
Das Stimmvolk äussert sich zum dritten Mal in Folge zu einem Landwirtschafts-Thema: Erst im September lehnte es die Fair-Food-Initiative, die auf eine nachhaltigere Landwirtschaft abzielte, sowie die Initiative für Ernährungssouveränität, welche die lokale Produktion stärken wollte, deutlich ab. Diesmal geht es eher um ein Detail der Schweizer Landwirtschaft, obwohl auch bei der Frage der Kuhhörner verschiedene Weltbilder aufeinanderprallen.
Wer steckt hinter dieser Initiative?
Angefangen hat alles mit einem Bündner Bergbauern, der im Berner Jura lebt. Armin Capaul hat ein kleines Wunder der direkten Demokratie vollbracht und es geschafft, fast allein eine Volksinitiative zu lancieren und die notwendigen 100'000 Unterschriften zu sammeln. Finanziert hat er das Vorhaben mit einem Teil seiner Pensionskasse und mit Hilfe von Spenden von Privatpersonen, des Zürcher Tierschutzvereins und der Freien Gemeinschaftsbank.
Unterstützung erhält Capaul von Bio Suisse, Greenpeace, dem Schweizer Tierschutz, einem Teil der Bauern und vielen Personen, welche die anthroposophischen Thesen des Intellektuellen Rudolf Steiner unterstützen, der insbesondere die biodynamische Landwirtschaft entwickelte. Das Alpenparlament, eine umstrittene esoterische Organisation, hat die Authentifizierung der Unterschriften aus eigener Initiative übernommen.
Was will die Initiative?
Der Text fordert kein Verbot der Enthornung, sondern soll die Bauern dazu ermutigen, den Tieren ihre Hörner zu lassen. Die Initiative "Für die Würde der landwirtschaftlichen Nutztiere (Hornkuh-Initiative)" schlägt eine Ergänzung zu Artikel 104 der Verfassung vor, damit der Bund die "Halter von Kühen, Zuchtstieren, Ziegen und Ziegenböcken" finanziell unterstützt, "solange die erwachsenen Tiere Hörner tragen".
Capaul startete diese Initiative als Reaktion auf die fortschreitende Industrialisierung des Agrarsektors. Dieser drängt die überwiegende Mehrheit der Landwirte dazu, die Hörner der Kühe abzuschneiden, damit sie auf kleinerem Raum gehalten werden können.
Capaul verurteilt das aufwändige Verfahren der Enthornung, das eine Betäubung des Tieres und die Verschreibung von Medikamenten erfordert, damit das Tier die Schmerzen erträgt. Der Eingriff wird vorgenommen, bevor die Kälber und Ziegen drei Wochen alt sind. Die Hornknospe wird mit einem erhitzten Eisen verbrannt. Laut den Initianten leiden mehr als 20% der Kälber unter Langzeitschmerzen.
Die Befürworter von Hörnern erinnern uns daran, dass es sich hierbei um eine lebendige Materie handelt. Das Horn sei integraler Bestandteil des Tieres. Sie glauben, dass Hörner es den Kühen ermöglichen, sich selbst zu erkennen und dass sie eine Rolle bei der Kommunikation, Verdauung, Pflege und Regulierung der Körpertemperatur spielen. Es sei durchaus möglich, Rinder mit Hörnern im Freilauf zu züchten, es brauche einfach genügend Platz, damit die Tiere sich ohne Stress und ohne Verletzungsgefahr bewegen können.
Die Initianten betonen, dass die freie Wahl des Bauern respektiert werde und die finanzielle Unterstützung durch den Bund in den gesamten Agrarhaushalt integriert werden könne.
Weshalb empfiehlt der Bundesrat ein Nein?
Der Bundesrat gibt zu bedenken, dass die Initiative sich für die Tiere letztendlich mehr schädlich als vorteilhaft erweisen könnte. Denn die finanzielle Ermutigung, die Kühe nicht zu enthornen, könnte Bauern dazu bringen, ihre Tiere wieder vermehrt anzubinden. Mit dieser Haltungsform kann Platz gespart werden und die Verletzungsgefahr ist kleiner. Diese Einschränkung der Bewegungsfreiheit und der sozialen Kontakte schade dem Wohlbefinden der Kühe mehr als die Enthornung, argumentiert der Bundesrat.
Der Bund fördert bereits heute besonders tierfreundliche Haltung, indem er Beiträge für eine tiergerechte Stallhaltung und regelmässigen Auslauf im Freien zahlt.
Horntragende Tiere zu halten ist aus Sicht des Bundesrats ein unternehmerischer Entscheid des Bauern. Er kenne seine Tiere und den ihnen zur Verfügung stehende Platz und könne deshalb am besten entscheiden, ob er lieber Tiere mit oder ohne Hörner halten wolle. Umso mehr, als die Agrarpolitik die selbstständige unternehmerische Entscheidungsfindung der Bauern fördern wolle.
Der Bundesrat schätzt, dass die Kosten eines Ja zur Initiative sich auf 10 bis 30 Millionen Franken belaufen würden. Es müsste also anderswo in der Landwirtschaft gespart werden. Die Regierung gibt ausserdem zu bedenken, dass die Registrierung der Tiere mit Hörner zu mehr Kosten für die Kantone und den Bund führen werde.
Welche Position vertritt das Parlament?
Die beiden Parlamentskammern folgen den Argumenten des Bundesrats. Die grosse Mehrheit empfiehlt eine Ablehnung der Initiative. Aber die Debatten waren vielfältig und emotional: Die Grünen und die Sozialdemokraten versuchten vergeblich, den Initiativ-Text zu verteidigen, indem sie das Leiden der Tiere in den Vordergrund stellten. Auch betonten sie die Seltenheit der schweren Unfälle im Zusammenhang mit Hörnern. Und sie verwiesen auf die Diskrepanz zwischen der Postkarte der Schweiz und der Realität der Kühe ohne Hörner.
Die Abstimmung sorgte dann aber doch für einige Überraschungen: Insbesondere in der Grossen Kammer (Nationalrat) enthielten sich viele der Stimme. Parlamentarier und Parlamentarierinnen jeder politischen Farbe verzichteten auf eine Stimmabgabe, besonders viele waren es bei der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP).
Obwohl die Initiative und die Beharrlichkeit von Capaul im Parlament auf viel Sympathie stiessen, ist eine Mehrheit der Ansicht, dass die derzeitige Gesetzgebung ausreicht, um den Tierschutz zu fördern. Die freie Wahl des Bauern, das Verletzungsrisiko und die fehlende Berücksichtigung genetisch hornloser Kuhrassen wurden ebenfalls als Gründe für die Ablehnung der Initiative genannt.
(Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann)
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