Schnüffelstaat oder Glück durch Sicherheit? Renten um zehn Prozent nach oben? Und bauen wir die gesamte Wirtschaft ökologisch um? Viel Stoff zum Nachdenken, Debattieren und Entscheiden liefert die Abstimmung am Sonntag.

Mehr aktuelle News

Die Schweiz gilt als eines der glücklichsten Länder der Welt. Hohe Einkommen, geringe Arbeitslosigkeit, herrliche Natur, ein gutes soziales Netz. Doch das schöne Leben scheint auf der Kippe zu stehen. Denn - so hört man vor den Volksabstimmungen am Sonntag immer wieder - "Glück ist eine Frage der Sicherheit". Mit diesem Slogan werden wir zur Zustimmung dafür aufgerufen, dass unser Geheimdienst künftig Telefonate abhören, Wohnungen verwanzen und Computer anzapfen darf.

Noch vor wenigen Jahren wurde solches Ansinnen zurückgewiesen. Nun aber wollen einer repräsentativen Umfrage der Mediengruppe Tamedia zufolge 58 Prozent der Wahlberechtigten dafür stimmen.

Der Grund für den Sinneswandel liegt auf der Hand: Paris und Brüssel, aber auch Würzburg, Ansbach und Norddeutschland - die Terroranschläge der letzten Monate ebenso wie die Festnahme mutmasslicher "Schläfer" der IS-Terrormiliz haben auch hierzulande wie Alarmglocken gewirkt.

Heute seien viele Schweizer bereit, für mehr Sicherheit auf ein Stück Freiheit zu verzichten, sagt die Abgeordnete der mitregierenden liberalen Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP), Corina Eichenberger. Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) brauche "optimale Mittel", um gegen Gefahren vorgehen zu können. "Wir wollen keinen blinden und tauben Nachrichtendienst."

Als "blind und taub" gelten Schlapphüte den Befürwortern des Gesetzes, weil sie nach ihren bisherigen Arbeitsvorschriften Personen lediglich im öffentlichen Raum beobachten dürfen. Das seien Regeln aus einer Welt ohne Telefon, Handy und Computer, sagt die christdemokratische Abgeordnete Ida Glanzmann.

Das Parlament in Bern hatte das neue Nachrichtendienstgesetz im Herbst 2015 mehrheitlich abgesegnet. Die Gegner konnten aber genügend Unterschriften für ein Referendum sammeln - wenngleich sie inzwischen auch dabei zu unterliegen scheinen.

Werden wir zum "Big Brother"-Staat?

Wird die "glückliche" Schweiz nun also mit Volkes Segen zum finsteren "Big Brother"-Staat? "Künftig hätte der Geheimdienst die Möglichkeit, ohne Verdacht auf eine Straftat in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger einzudringen und deren Leben und Kommunikation zu überwachen", warnt das Bündnis "Nein zum Schnüffelstaat". Dies sei "eine schwerwiegende Verletzung der Grundrechte", warnte der sozialdemokratische Abgeordnete Jean-Christoph Schwaab.

Das hält der FDP-Politiker Huges Hiltpolt für reine Schwarzmalerei: "Wenn eine Person verdächtigt wird, eine terroristische Handlung zu planen, muss bei drei Instanzen eine Überwachungsbewilligung eingeholt werden: beim Verteidigungsminister, bei der Sicherheitsdelegation des Bundesrates (der Regierung) und beim Bundesverwaltungsgericht", sagte er dem Nachrichtenportal Swissinfo.

Abstimmung auch zu Rente und grüner Wirtschaft

Zwei weitere Vorlagen, über die am Sonntag abgestimmt wird, sind gesellschaftlich höchst relevant. Es geht um die künftige Entwicklung der Renten und um einen Vorstoss zum umfassenden ökologischen Umbau der Wirtschaft.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) verlangt die Erhöhung der gesetzlichen Rente (AHV) um satte zehn Prozent. Nur dadurch könne verhindert werden, dass Ruheständler Abstriche an ihrer eigentlich verfassungsmässig garantierten "gewohnten Lebenshaltung" hinnehmen müssen. Nötig sei unter anderem eine Erhöhung der Rentenbeiträge. Die Arbeitgeberverbände sowie die Rechts- und Mitteparteien lehnen dies ab. Umfragen deuten auf ein Patt und daher auf eine sehr knappe Entscheidung hin.

Eine recht klare "Nein"-Mehrheit zeichnet sich hingegen beim Projekt "Grüne Wirtschaft" ab, das die Regierung zwar als sympathisch bezeichnete, jedoch als unrealistisch und nicht finanzierbar ablehnte. Immerhin: Für die Initiative der Grünen Partei der Schweiz, der zufolge das Alpenland bis 2050 über eine vollkommen nachhaltige Wirtschaft verfügen soll, wollen laut Tamedia 42 Prozent der Wahlberechtigten stimmen.

Der Vorschlag sieht die Schaffung einer allumfassenden "Kreislaufwirtschaft" vor, die auf langlebige Produkte setzt und Abfälle weitestgehend als Rohstoffe wiederverwendet. Der "ökologische Fussabdruck" der Schweiz müsse drastisch reduziert werden, denn wenn jeder Erdenbewohner eine Lebenshaltung hätte wie ein durchschnittlicher Schweizer, bräuchte die Menschheit längerfristig statt des einen drei Planeten.  © dpa

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.