Alexander Lukaschenko regiert seit 26 Jahren in Weissrussland. Vor der Präsidentenwahl zeigt sich die Opposition selbstbewusst wie selten. Doch ein Machtverlust ist in Lukaschenkos Welt nicht vorgesehen.

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Belarus erlebt stürmische Zeiten: Im ganzen Land, das viele noch unter dem Namen Weissrussland kennen, gehen derzeit Menschen auf die Strasse. Zu einem Wahlkampfauftritt der 37 Jahre alten Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja kamen Medienberichten zufolge unlängst mehr als 60.000 Menschen.

"Das Land erlebt die grösste Mobilisierung in der Geschichte seiner Unabhängigkeit", sagt Jakob Wöllenstein, Leiter des Auslandsbüros Belarus bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Am 9. August können 6,8 Millionen Wahlberechtigte in dem osteuropäischen Land über ihr Staatsoberhaupt abstimmen. "Aufseiten der Opposition sind diese Wahlen geprägt von grosser Hoffnung. Vonseiten der Regierung gibt es aber steigende Repression und die indirekte Androhung von verschärfter Gewalt bis zum Einsatz des Militärs", sagt Wöllenstein.

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Viasna sind allein im Juli mehr als 420 friedliche Demonstranten verhaftet worden. Dauer-Regent Alexander Lukaschenko scheint sich mit aller Macht im Amt halten zu wollen.

Machthaber mit harter Hand

Der Agrarwissenschaftler kam 1994 an die Macht und erarbeitete sich über die Jahre den zweifelhaften Ruf, Europas letzter Diktator zu sein. Er beschnitt die Rechte von Parlament und Gerichten, geht repressiv gegen Oppositionelle vor. Als letztes Land Europas vollstreckt Belarus noch die Todesstrafe.

Lukaschenkos Anhänger halten ihm dagegen zugute, dass er sein Land nicht in eine kapitalistische Schocktherapie schickte, die zum Beispiel Russland verdauen musste. "Er hat den Belarussen immer vermittelt, dass er für Stabilität und ein soziales Auskommen sorgt, dass er Kriege fernhält und der Garant der Unabhängigkeit ist", sagt Jakob Wöllenstein.

"Neue Qualität" der Proteste

Dass sich vor den Wahlen jetzt aber massiver Widerstand formiert, hat mehrere Gründe. "Russland hat im Streit die Öl- und Gaspreise erhöht, die Wechselkurse sind im Keller, die Auslandsverschuldung ist hoch", erklärt Wöllenstein. In dieser Situation sei es für den Präsidenten schwieriger, Sozialgeschenke zu verteilen.

Die Opposition ist durch die lange Repression zwar massiv geschwächt. Doch sie habe sich verändert, sagt der Journalist und Belarus-Experte Ingo Petz im Gespräch mit unserer Redaktion: "In den letzten Jahren hat zuerst der Mittelstand opponiert, dann kamen Rentner hinzu sowie Menschen, die aus den staatlichen Unternehmen entlassen wurden."

Inzwischen werde nicht mehr nur in Minsk, sondern auch in den Provinzstädten gegen die Regierung demonstriert. "Das ist eine neue Qualität. Vor allem die Jugend ist dort ohne Perspektive", sagt Petz.

Hinzu kommt die Corona-Pandemie: Lukaschenko spielt das Virus herunter und schlug vor, zur Vorbeugung Schnaps zu trinken oder in die Sauna zu gehen. Viele Menschen hat er damit vor den Kopf gestossen. Das Virus habe als Beschleuniger gewirkt, sagt Ingo Petz. "Der Umgang damit offenbart all die Schwächen und das Missmanagement des Systems."

Wahl in Belarus: Drei Frauen gegen den Diktator

Im Mittelpunkt der Opposition stehen nun drei moderne Frauen: Swetlana Tichanowskaja, Veronika Zepkalo und Maria Kolesnikowa. Ihre Männer oder Verbündeten können an der Präsidentenwahl nicht teilnehmen. Swetlanas Tichanowskajas Mann - ein oppositioneller Blogger - wurde inhaftiert. Sie will zwar Präsidentin werden, dann aber schnell demokratische Neuwahlen ansetzen.

Die Frauen nur als Stellvertreterinnen ihrer Männer zu sehen, wäre trotzdem falsch. Es sei keineswegs verwunderlich, dass nun drei Frauen die Opposition verkörpern, sagt Belarus-Kenner Petz: "Die Zivilgesellschaft und Kultur in Belarus wurden schon in den vergangenen Jahren stark von Frauen geprägt."

Ohnehin habe das Land trotz des repressiven Regimes eine lebendige Zivilgesellschaft. "Die Menschen haben verstanden, dass sie sich selbst organisieren müssen."

Demokratischer Wechsel nicht zu erwarten

Der Präsident soll grosse Angst vor einem Umsturz haben. Deswegen hat er in seiner 26-jährigen Amtszeit ein politisches System geschaffen, das einen demokratischen Machtwechsel praktisch unmöglich macht. Auch Experten rechnen nicht damit.

"Unter normalen Bedingungen würde Lukaschenko wohl abgewählt", sagt Ingo Petz. Allerdings könne man nicht von demokratischen Wahlen sprechen, wenn oppositionelle Kandidaten im Vorfeld aus dem Weg geschafft werden. "Es ist klar, dass manipuliert wird - die Frage ist, welchen Stimmenanteil er sich in diesem Jahr zugesteht." Bei den vergangenen Präsidentenwahlen beanspruchte Lukaschenko immer um die 80 Prozent der Stimmen für sich.

Nicht zwischen EU und Russland entscheiden

Die Wahlen rücken das Land nun zumindest zeitweise in den Fokus des restlichen Europas. "Deutschland und Europa, schaut auf dieses Land, das sich viel zu lange unter unserem Radar befand", heisst es in einem Musikvideo, das die Konrad-Adenauer-Stiftung zu den Wahlen produziert hat.

Trotz Kritik an der Autorität des Regimes hat Europa sich nie komplett von Belarus abgewandt - das gilt vor allem für Deutschland. "In den vergangenen Jahren ist an Kontakten ganz viel gewachsen: etwa im kulturellen und wirtschaftlichen Bereich, zwischen Studenten, aber sogar in der militärischen Zusammenarbeit", sagt Jakob Wöllenstein.

Er betont gleichzeitig: Die allermeisten Belarussen wollen sich in Zukunft nicht zwischen Russland und der EU entscheiden müssen: "Sie sagen: Wir wünschen uns gute Beziehungen zu beiden. Wir wollen uns nicht auf eine Seite schlagen. Das hat in der Geschichte nur zu Krieg und Chaos geführt."

Über die Experten:
Ingo Petz hat Osteuropäische Geschichte, Slawistik und Politikwissenschaft studiert und arbeitet seit mehr als 20 Jahren als freier Journalist in Berlin für verschiedene Medien. Er war zehn Jahre lang Vorstandsmitglied der Deutsch-Belarussischen Gesellschaft und engagiert sich ehrenamtlich für den Kulturaustausch zwischen beiden Ländern.
Jakob Wöllenstein hat Politikwissenschaft, Evangelische Theologie und European Studies studiert und arbeitet seit 2015 bei der Konrad-Adenauer-Stiftung. Dort war er zunächst Länderreferent in Berlin, seit Anfang 2019 leitet er das Auslandsbüro Belarus mit Sitz in der litauischen Hauptstadt Vilnius.

Verwendete Quellen:

  • Ingo Petz, Journalist und Schriftsteller
  • Jakob Wöllenstein, Konrad-Adenauer-Stiftung
  • Aus Politik und Zeitgeschichte 24-26/2011: Waleri Karbalewitsch: Lukaschenka forever?
  • Deutsche Presse-Agentur (dpa)
  • Süddeutsche Zeitung 1./2. August 2020: Die Frau im Weg
  • Viasna: Human Rights' Situation in Belarus
  • Zeit.de: Präsidentenwahl in Belarus - Drei Frauen fordern Amtsinhaber Lukaschenko heraus
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