Bei den vor sieben Jahren gegründeten "Piraten" ist vieles anders als bei den etablierten Parteien. Nicht ohne Grund haben sie sich "Klarmachen zum Ändern" auf die Fahnen geschrieben. Hier soll "Liquid Democracy" praktiziert werden, es geht um eine Debattenkultur der Masse fern von Fraktionszwängen und Entscheidungen von oben.

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Allerdings schwächelt die Partei seit vielen Monaten, hat schlechte Umfragewerte und bei den Landtagswahlen immer mehr Wählerstimmen eingebüsst. Sie verzettelt sich in Rechtsquerelen und personellen Kleinkriegen. So bleibt abzuwarten, welches Potenzial Katharina Nocun mitbringt, die dem umstrittenen Johannes Ponader auf dem Posten des Politischen Geschäftsführers folgte. Als neues Gesicht ihrer Partei hat die junge Datenschützerin kämpferisch-flapsig verkündet: "Ich möchte nie wieder von irgendjemandem in der Piratenpartei hören, dass wir den Bundestag nicht wuppen. Wir werden uns verdammt noch mal den Arsch aufreissen, um die anderen anzugreifen!"

Kurswechsel

Parteichef Bernd Schlömer hatte in der "taz am wochenende" Anfang Mai noch geklagt: "Uns fehlt die Kraft und die Motivation zum Wahlkampf." Spätestens mit dem Parteitag am 10. bis 12. Mai ist jedoch eine Entscheidung gefallen: Die 16 Spitzenkandidaten der jeweiligen Landeslisten sollen die Piraten beim Bundestagswahlkampf anführen und die verlorenen Prozente zurückbringen. Dabei ist dieses Team der 16 durchaus eigenverantwortlich unterwegs, ohne ständige Kommunikation mit der Basis - eine Novum für die Partei, das genaugenommen sogar den Grundsätzen widerspricht.

Schlömer hat den Kurswechsel in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärt: "Die Menschen wissen einfach nicht, wofür die Piratenpartei steht. Und sie verbinden mit der Piratenpartei auch keine Menschen. Deswegen habe ich auch gesagt, dass wir nicht weiter allein darauf setzen können, Themen zu transportieren. Wir müssen Köpfe, Menschen zeigen, Sympathieträger, die unsere Themen einfach und leicht transportieren."

Er versteht diesen Schritt als eine Weiterentwicklung der Piratenpartei, der besonders mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 aus dem derzeitigen Dilemma heraushelfen soll. Schlömer weiss dabei die Mehrheit der Partei hinter sich, auch wenn es nicht an Kritikern fehlt.

Neue "Talente und Herausforderer"

Die meisten Spitzen-Piraten sind eher unbekannt. Es wird auf "unverbrauchte Gesichter" gesetzt, auf "ehrlichen und starken Persönlichkeiten", die mit ihren "authentischen Geschichten" Identifikationsfiguren für die potentiellen Wähler sind. Gut zwei Millionen Stimmen müsste die Piratenparteien einfahren, um in den Bundestag einzuziehen.

In der Spitzen-Riege gibt es vier Frauen und zwölf Männer. Sie sind zwischen 19 und 58 Jahre alt. Sollte die Partei den Einzug in den Bundestag "wuppen" können, würden sie zugleich den Hauptteil der Fraktion stellen. Wir stellen Ihnen die Spitzen-Piraten vor:

Der Schleswig-Holsteiner Kandidat Heiko Schulze, 58 Jahre alt, arbeitet als Referent für städtebauliche Denkmalpflege in Kiel. Daher wäre für ihn als Kunsthistoriker und Denkmalpfleger der Bauausschuss des Bundestages interessant. In seinem Bundesland ist er Generalsekretär der Piratenpartei.

Susanne Wiest, Jahrgang 1967, kommt aus Mecklenburg-Vorpommern und will sich vor allem für ein bedingungsloses Grundeinkommen stark machen. Sie arbeitet als selbstständige Tagesmutter und ist schon seit Jahren politisch engagiert. 2009 stellte sie sich als parteilose Einzelbewerberin in Greifswald-Demmin-Ostvorpommern zur Wahl.

Sebastian Seeger, Spitzenkandidat aus Hamburg, studiert Psychologie. Der 31-Jährige möchte sich für sozialen Wohnungsbau und bundesweite Volksentscheide engagieren.

Der Niedersachse Jens-Wolfhard Schicke-Uffmann ist Diplominformatiker. Er ist Jahrgang 1987, arbeitet an der Braunschweiger Universität und sitzt für seine Partei auch im Stadtrat.

Der Spitzenkandidat aus Bremen, Marvin Pollock, ist ein 24 Jahre alter Informatikstudent. Er möchte sich im Wahlkampf besonders für den fahrscheinlosen Nahverkehr und die Freiheit des Netzes einsetzen.

Veit Göritz, 27 Jahre alter Maschinenbau-Student, konnte den Spitzenplatz der Landesliste in Brandenburg für sich gewinnen. Neben der Netzpolitik versteht er auch Natur- und Tierschutz als seine Themen.

Spitzenkandidatin aus Sachsen-Anhalt ist die 28-jährige Sandra Tiedtke, Verwaltungsfachangestellte im Rechnungsprüfungsamt der Stadtverwaltung Dessau. Ihre Interessen liegen besonders in der Kulturpolitik.

Aus Berlin kommt Cornelia Otto. Sie ist 38 Jahre alt und hat lange als Selbständige im IT-Bereich ihr Geld verdient. Im Moment schreibt sie ihre Bachelorarbeit über das Anlageverhalten von Spekulanten. Als ihre Hauptthemen sieht sie die Bereiche Arbeit und Soziales, das Rentensystem und prekäre Beschäftigungsverhältnisse.

Für Nordrhein-Westfalen wird die 35 Jahre alte Finanzbeamtin Melanie Kalkowski ins Rennen gehen. Sie will zeigen, dass Piraten auch Geldgeschäfte managen können. Wichtig ist ihr neben dem Grundeinkommen und dem fahrscheinlosen Nahverkehr die lückenlose Offenlegung der Politikereinkünfte.

Aus Sachsen kommt mit Sebastian Harmel, ein 31 Jahre alter Bundeswehr-Hauptmann, der vor allem die Friedens- und Aussenpolitik als seine Themen sieht. Seine Kompetenz gründet auch auf mehreren Einsätze im Ausland.

Volker Berkhout ist der 31 Jahre alte Kandidat aus Hessen. Der Wirtschaftsingenieur ist seit 2008 aktiv bei den Piraten und setzt sich für Bürgerrechte und gegen Fracking ein.

Gerald Albe, 37 Jahre alte Informatiker aus Thüringen, bekleidet im Moment den Spitzenplatz seiner Landesliste. Allerdings ist das Ergebnis wegen Unregelmässigkeiten bei der Aufstellung der Liste noch nicht endgültig. Albes Hauptthema ist die Netzpolitik, die er für reformierungsbedürftig hält.

Aus Rheinland-Pfalz kommt Vincent Thenhart, 19 Jahre jung, der beim Einzug in den Bundestag sicher der jüngste Abgeordnete wäre. Er meint, dass das Parlament unbedingt mehr junge Gesichter braucht. Zurzeit verdient er sein Geld als Kurierfahrer.

Bruno Kramm, Jahrgang 1967, Musiker und Urheberrechtsaktivist aus Bayern, ist ein Hingucker: rote Haare, Boots, schwarzer Hut. Eigentlich wohnt der Inhaber einer eigenen Produktionsfirma mit seiner Familie in einem Schlösschen auf dem Land - die Zweitwohnung in Berlin gibt es aber auch schon.

Für Baden-Württemberg tritt der 29-jährige Sebastian Nerz an, der 2011 in der Hochzeit der Piraten das Amt des Bundesvorsitzenden ausfüllte. Der Tübinger ist derzeit Vizechef und hat sich als Fachmann für Innen- und Sicherheitspolitik einen Namen gemacht.

Jan Niklas Fingerle aus dem Saarland, Jahrgang 1974, Informatiker und Softwareentwickler, ist Gründungsmitglied der saarländischen Piraten. Er amtiert als Landesvorsitzender und sieht sich als Mann für Geschäftsordnungen und Prozesse. Ginge es nach ihm, sollten alle Bundestagsausschüsse öffentlich tagen.

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