Andrea Nahles hat auf dem SPD-Parteitag einen vielbeachteten Auftritt hingelegt. An der Basis kommt ihre direkte Art gut an - und als Ministerin hat die jetzige Fraktionschefin wichtige Projekte durchgesetzt. Kann sie Parteichef Martin Schulz gefährlich werden?
Andrea Nahles ist ihrem Ruf wieder gerecht geworden: Als sie am Sonntag beim SPD-Bundesparteitag ans Mikro trat, um die Delegierten von Koalitionsverhandlungen mit der Union zu überzeugen, feuerte sie eine Rede ab, die es in sich hatte.
Sie schimpfte über den "doofen Dobrindt", erzählte von einer älteren Frau, die endlich will, dass die Grundrente kommt. Und sie kündigte an, die SPD werde mit der Union verhandeln "bis es quietscht".
Viele Beobachter waren sich einig:
Rede von Andrea Nahles
Ohne die Politikerin aus der Eifel scheint derzeit nichts zu gehen in der SPD. "Andrea Nahles befindet sich als Fraktionsvorsitzende schon formell in einer starken Position", sagt Uwe Jun, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier, im Gespräch mit unserer Redaktion.
"Auf dem Parteitag hat sie mit ihrer mitreissenden, emotionalen Rede ihre Haltung und ihre Position klar bestimmt."
Von der "Nervensäge" zur erfolgreichen Ministerin
Im Berliner Politikbetrieb hat die 47-Jährige deutlich mehr Erfahrung angesammelt als der 15 Jahre ältere
Viele Herzensangelegenheiten der Sozialdemokraten wurden in der vergangenen Legislaturperiode von ihr als Arbeits- und Sozialministerin verwirklicht. Nachdrücklich betonte Nahles auf dem Parteitag, sie habe den "Mindestlohn durchgesetzt wie verrückt".
Offenbar nehmen ihr viele Mitglieder das Versprechen ab, auch bei erneuten Koalitionsverhandlungen noch wichtige Nachforderungen durchzudrücken.
Als Nahles Mitte der 90er Jahre erstmals in der Bundespolitik von sich reden machte, galt sie in der SPD-Führung noch als Nervensäge. Ihre Amtszeit als Vorsitzende der SPD-Jugendorganisation von 1995 bis 1999 war dafür prägend.
Noch heute wird Nahles häufig als frühere Juso-Chefin bezeichnet – auch wenn diese Zeit inzwischen rund 20 Jahre zurückliegt und sie nicht mit Kritik am aktuellen Juso-Anführer und GroKo-Gegner Kevin Kühnert spart.
Nahles hat einen Wandel durchgemacht. Sie spricht breite Teile der Partei an – nicht nur den linken Flügel, dem die Kritikerin der Agenda 2010 lange zugerechnet wurde. Uwe Jun würde sie dort inzwischen nicht mehr verorten.
"Nahles hat bereits als Generalsekretärin versucht, sich breiter aufzustellen", sagt der Politikwissenschaftler. "Mit ihrem klaren Eintreten für eine Grosse Koalition hat sie sich nun vom linken Flügel gelöst."
Schwer vermittelbar bei bürgerlichen Wählern
In einem Punkt ist sich Nahles aber treu geblieben: Ihr Markenzeichen ist ihr unverstelltes bis provokatives Auftreten. "Sie hat eine sehr direkte Art, Dinge anzusprechen", sagt Uwe Jun. Ob sich das als Vor- oder Nachteil erweise, sei aber stark von der Situation abhängig.
Als Nahles kurz nach ihrer Wahl zur Fraktionsvorsitzenden sagte, von nun an bekämen die Kollegen von CDU und CSU "in die Fresse", sorgte das bei politischen Gegnern und in der Öffentlichkeit für Kopfschütteln.
"Nahles hat Schwierigkeiten, in den Wechselwählerbereich und zu bürgerlichen Wählern vorzudringen", glaubt Uwe Jun. "Sie zielt eher auf die klassische sozialdemokratische Klientel." Auf Parteitagen kommt ihre Emotionalität jedenfalls gut an.
Fraktionsvorsitz als "Schaltzentrum" für eine neue "GroKo"
Trotz ihrer polternden Art arbeitet die Sozialdemokratin offenbar harmonisch mit ihren Kollegen aus der Union zusammen. CSU-Chef Horst Seehofer lobte Nahles laut "Bild" als "starke und vor allem kenntnisreiche Verhandlerin".
Auch zu CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder soll sie einen guten Draht haben – ein weiterer Punkt, der für eine wichtige Rolle in ihrer Partei spricht. Vor allem, falls es wirklich zu einem neuen schwarz-roten Bündnis kommt.
"Der Fraktionsvorsitz kann in einer Grossen Koalition sehr bedeutsam werden", sagt Politikwissenschaftler Jun. Gemeinsam mit Kauder könne Nahles das "Schaltzentrum" des Bündnisses bilden.
Die "Süddeutsche Zeitung" schrieb nach dem Parteitag, Schulz dürfe nun Nahles in die Koalitionsverhandlungen begleiten – nicht umgekehrt.
Ist sie bereit für den Königsmord?
Ist die Fraktionsvorsitzende so mächtig, dass sie sogar am Stuhl ihres Parteichefs sägen könnte? Für solche Spekulationen ist es nach Ansicht von Uwe Jun zu früh.
Schulz stehe zwar unter verstärkter Beobachtung und unter dem Druck der Basis. Allerdings habe sich der gesamte Vorstand hinter seinen Kurs gestellt. Und auch Nahles hat sich so deutlich für Verhandlungen über eine "GroKo" ausgesprochen, dass sie auf jeden Fall das gleiche Ziel verfolgen muss wie Schulz.
An ihrem Machtwillen dürfte das nichts ändern. Schon 1989 soll Nahles in ihrem Abitur-Jahrbuch geschrieben haben, ihr Berufswunsch sei entweder Hausfrau oder Bundeskanzlerin. Den Hausfrauen-Weg hat sie bekanntlich nicht eingeschlagen.
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