Dachau. Tiefstes Oberbayern. CSU-Land. Hier hat Angela Merkel ein Heimspiel. Denn Bayern wählt seit Jahrzehnten schwarz. Ein Unions-Politiker ist hier ein Star, die Bundeskanzlerin ein Superstar. Klar, dass der Andrang gross ist. Eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung ist kein Biertisch mehr frei, 15 Minuten vor Merkels Rede schliessen die Organisatoren das Zelt wegen Überfüllung.
Auf den Tischen im Dachauer Festzelt sammeln sich Masskrüge, Riesenbrezen und Grillhendl. Eine Blaskapelle, die "Amper-Musikanten", spielt Marschmusik: Uff ta ta, Uff ta ta. Davor steht ein Rednerpult, darauf ein mit Bier gefüllter Masskrug.
Kurz vor 20 Uhr wird die Bühne für
Angela Merkel ist derzeit auf Wahlkampftour. Vor ihrer Rede in Dachau war sie in Erlangen zu Besuch. Am nächsten Tag fährt sie nach Schwäbisch Gmünd. Am Montag wollte sie eigentlich in Ingolstadt und Regensburg auf Stimmenfang gehen. Sie sagte die Termine aber wegen einer Geiselnahme im Ingolstädter Rathaus ab.
Doch jeder Termin, jede Rede ist wichtig für die Kanzlerin. Denn Umfragen zeigen: Es ist ungewiss, ob Schwarz-Gelb auch nach der Bundestagswahl 2013 im September noch die Regierung stellen kann. Der Wahlkampf befindet sich in der Endphase.
Publikum steht auf den Bänken
Um 20 Uhr klettert der Grossteil der Menschen im Dachauer Festzelt auf die Bierbänke. Sie zücken ihre Fotoapparate und Smartphones. Von allen Seiten des Zeltes blitzt es. Die Kanzlerin ist da - ihre "Angie".
Merkels Einmarsch erinnert an den eines Boxers. Der Ansager im Festzelt kündigt die Kanzlerin an, dehnt die Vokale in ihrem Namen: "Hier ist sie: Angeeelaaa Meeerkeeeel". Die Menge jubelt. Merkel geht vom einen Ende des Zeltes zum anderen, an den Besuchern vorbei. Sie meidet den Hintereingang; Die Kanzlerin gibt sich volksnah. Sie winkt den Menschen zu, lächelt ins Publikum. Manche halten Schilder hoch, offizielle CDU/CSU-Wahlslogans. Auf ihnen steht "Angie" oder "Gemeinsam erfolgreich". Eine Frau hält ein selbst beschriebenes Plakat in die Höhe: "Pack ma’s! Gruss aus Olching".
Ein Schluck Bier ist Pflicht
Wenige Minuten später steht die Kanzlerin auf der Bühne. Sie sieht aus wie immer - wie im Fernsehen. Merkel trägt einen anthrazitfarbenen Blazer, eine dunkle Hose und schwarze Schuhe. Um ihren Hals hängt eine Kette mit braunen und schwarzen Steinen. Bevor sie mit ihrer Rede beginnt, nippt sie an der Mass Bier, die auf dem Rednerpult steht. Der Schluck aus der Mass ist Tradition in bayerischen Bierzelten. Er vermittelt Volksnähe. Das wollen die Leute sehen.
Merkels Rede beginnt sachlich und nüchtern. Sie faltet die Hände vor dem Körper, verzichtet auf grosse Gesten. In den letzten Tagen wurde sie dafür kritisiert, direkt nach dem Besuch der KZ-Gedenkstätte in Dachau ins Bierzelt zu gehen. Die Kanzlerin tut es trotzdem. Sie erinnert an die Opfer des zweiten Weltkriegs, an die Vernichtung der Juden und mahnt, dass "so etwas nie wieder passieren darf". Das Publikum ist ruhig, klatscht an den passenden Stellen.
Um 20.22 Uhr – rund zehn Minuten nach dem Beginn von Merkels Rede - ist es dann soweit: Sie macht den ersten Witz über die Bayern und ihren Sonderstatus als Freistaat in Deutschland. So etwas kommt an in Dachau. Die Menge lacht und jubelt. Manche pfeifen. Das Publikum wirkt erleichtert. Der Bann ist gebrochen, die Bierzeltrede beginnt jetzt erst richtig.
Balsam für die bayerische Seele
Die Kanzlerin stellt eine Art "Best of" der Wahlkampfthemen der CDU/CSU vor. Von allem ein bisschen was: Euro-Krise, Forschung, Bildung, Rente, Elternzeit. Bei Aussagen, die Merkel besonders betonen will, ballt sie die rechte Faust und haut immer wieder auf einen imaginären Tisch.
Zum Thema Länderfinanzausgleich, der in Bayern nur wenige Fans hat, sagt Merkel: "Ich bin dafür, dass wir hier was machen." Balsam für die bayerische Seele. Das Publikum johlt. Manche rufen "Angie, Angie". Lauter als zu diesem Zeitpunkt wird es an diesem Abend in dem Zelt nicht mehr werden. "Auch zu solch schwierigen Themen äussert sie sich", wird ein CSU-Mitglied nach der Veranstaltung sagen. Dass die Kanzlerin nur erklärt, dass sie "was machen" will und keine Lösung präsentiert, interessiert fast keinen.
Viele wollen einfach nur die Kanzlerin sehen. Die vorderen Reihen sind nur für CSU-Mitglieder reserviert. Und die freuen sich über den Auftritt ihrer Chefin. "Sie wirkt so natürlich, nicht abgehoben", sagt einer. Ein anderer sieht es ähnlich: "Eigentlich ist sie eine ganz normale Frau". Volksnähe – genau das versucht Merkel mit ihrem Bierzeltbesuch zu vermitteln. Der Plan scheint aufzugehen.
"Diese Stasi-Schnepfe"
Doch in den hinteren Reihen sitzt auch der ein oder andere Kritiker der Kanzlerin. "Die soll verschwinden und in Berlin machen, was sie will", sagt ein Mann mit Bierbauch. Er kaut an einer Breze. "Diese Stasi-Schnepfe, das ist doch eine reine Propaganda-Veranstaltung hier." Dennoch bleibt er bis zum Schluss.
Als die Kanzlerin ihre Rede beendet, stehen die Leute auf. Zusammen mit der Kanzlerin singen sie zum Abschluss. "Einigkeit und Recht und Freiheit" und "Gott mit dir du Land der Bayern" hallt es durch das Zelt. Wieder klatscht und jubelt das Publikum, wieder werden die Kameras und Handys gezückt. Danach ist die Kanzlerin weg.
Die Blaskapelle spielt Marschmusik. Die Fahne, die vorher die Sicht versperrte, steht an ihrem alten Platz. Alles ist wieder beim Alten. Nur die Mass Bier auf dem Rednerpult ist um einen Schluck ärmer.
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