Union und SPD haben sich auf eine neue grosse Koalition geeinigt. Auch ein Massnahmenpaket zur künftigen Energie- und Klimapolitik wurde beschlossen. Im Exklusiv-Interview erklärt Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter, wo SPD und Union seiner Meinung nach versagen und wo jetzt gehandelt werden muss.
Herr
Anton Hofreiter: Nein, denn die grosse Koalition hat ja als erste Vereinbarung die Erreichbarkeit der Klimaschutzziele 2020 in den Wind geschrieben. Um die Ziele zu schaffen, müsste man so schnell wie möglich aus der Kohleverstromung aussteigen. Es gibt nichts Klimaschädlicheres für die Stromerzeugung, als Braunkohle zu verbrennen.
Ein Braunkohlekraftwerk stösst für eine Kilowattstunde Strom doppelt so viel CO2 aus wie ein Steinkohlekraftwerk – und die sind schon schlimm. Deswegen wollten wir mit der Stilllegung von Braunkohlekraftwerken beginnen. Bei Jamaika hätten wir nach dem letzten Verhandlungsstand die schnelle Abschaltung von sieben Gigawatt Braunkohle erreicht. (Anm. d. Red.: Die Nettoleistung der deutschen Braunkohlenkraftwerke liegt gesamt bei 20,8 Gigawatt) Doch Union und SPD trauen sich da nicht ran.
Greenpeace hatte den Grünen jedoch vorgeworfen, kein konkretes Datum vereinbart zu haben …
Da hatten sie das Sondierungspapier wohl missverstanden. Die sieben Gigawatt Braunkohle sollten vor 2020 stillgelegt werden. Es ging also um die Einhaltung der Klimaschutzziele für 2020.
SPD und Union wollen nun einen Plan zur schrittweisen Beendigung der Kohleverstromung erarbeiten. Allerdings bleibt hier vieles vage. Was ist zu erwarten?
Union und SPD setzen ihren fahrlässigen Kurs des Nichtstuns fort. Sie wollen das Thema zunächst in eine Kommission ohne konkrete Massnahmen und Ziele verschieben. Es ist zu befürchten, dass am Ende nicht viel dabei herauskommt. Deswegen hatten die Grünen auf eine Sofortmassnahme bestanden. Die braucht es jetzt.
Wieso legen sich SPD und Union nicht auf eine solche fest?
Wir hatten schon in den Jamaika-Verhandlungen gemerkt, dass es CDU und CSU nicht wichtig ist, Bekenntnisse mit Massnahmen zu hinterlegen. Man will zwar Klimaschutzziele einhalten, aber wenn man dann nach dem Wie fragt, kommt wenig. Bei der SPD ist es ähnlich.
Hinzu kommt: Die Union steht den Energiekonzernen nahe und die SPD der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Beide Parteien setzen lieber auf eine eher alte, rückwärtsgewandte Technologie, anstatt moderne Arbeitsplätze zu schaffen.
Das war genau unsere Erfahrung: Angela Merkel spielt die Klimakanzlerin auf internationalen Konferenzen, aber wenn es um das Umsetzen der Versprechen vor Ort geht, bleibt davon nur sehr wenig übrig.
Angela Merkel war Umweltministerin. Warum kommt von ihr nicht mehr?
Sie betreibt grundsätzlich die Politik der winzig kleinen Trippelschritte und will, dass man gar nicht merkt, dass sich politisch etwas ändert. Das hat sie nur zweimal anders gehandhabt – und wurde dafür nicht belohnt. Beim ersten Mal hat sie nach Fukushima den rot-grünen Atomausstieg ins Werk gesetzt. Danach aber haben die Grünen die Regierung in Baden-Württemberg übernommen.
Beim zweiten Mal hat sie Zehntausende Geflüchtete, die in Ungarn unter schrecklichen Bedingungen gelebt haben, nach Deutschland gelassen. Dafür hat sie sich Riesenärger mit der CSU-Spitze eingehandelt.
In Zeiten, in denen sich um uns herum gigantisch viel ändert, führen Trippelschritte auf den falschen Weg. Wenn die Klimakrise galoppiert, wenn sich über Digitalisierung die sozialen Verhältnisse ändern, wenn aufgrund der Globalisierung und der Entfesselung der Finanzmärkte die Europäische Union massiv unter Druck steht, da reichen kleinste Trippelschritte nicht. Da muss man auch mal mutige, grosse Schritte in die richtige Richtung gehen. Das aber ist nicht in der Natur von Frau Merkel und auch nicht in der Natur der SPD, CDU und CSU.
Jetzt sind Sie weiter in der Opposition. Was können denn die Grünen beim Klimaschutz noch tun – oder sind sie ohnmächtig?
Wir müssen noch mehr gesellschaftspolitischen Druck ausüben. Ausserdem müssen wir auf Fehler und das Versagen der Regierung hinweisen. Wir füllen die Leerstellen, die Union und SPD mit ihrem lustlosen Agieren hinterlassen. Wir werden zeigen, dass man gerade auch mit einem konsequenten Klimaschutz moderne Arbeitsplätze schaffen kann – sowohl bei den erneuerbaren Energien als auch bei der Elektromobilität. Klimaschutz und Arbeitsplätze können eine Win-win-Situation darstellen. Und dort, wo die Grünen in der Regierung sind – in den Ländern und Kommunen – können wir den Menschen zeigen, was man alles konkret machen kann.
Ein grosses Thema ist immer noch die Dieselaffäre. Union und SPD wollen Dieselfahrverbote verhindern. Unklar bleibt auch hier, wie. Dabei leiden Grossstädte wie München extrem unter zu hohen Abgaswerten. Wie bewerten Sie das und was schlagen Sie als Massnahmen vor? Braucht Deutschland eine "blaue Umweltplakette"?
Es braucht zwei Dinge: Die betroffenen Städte müssen vom Bund die Möglichkeit bekommen, eine blaue Plakette einzuführen. Und in Kombination dazu brauchen Autobesitzer den Rechtsanspruch, ihren Diesel auf Kosten der Autoindustrie nachzurüsten.
Die angehende Regierung plant zudem, die Elektromobilität stärker zu fördern. Hat die Politik diese Entwicklung nicht längst verschlafen?
Diese Entwicklung wurde deshalb verschlafen, weil die Regierung viel zu lange auf die betrügerische Autoindustrie gehört hat. Die Hersteller haben immer gesagt, dass Dieselfahrzeuge toll sind und keiner die modernen Technologien braucht. Die Regierung ist erst aufgewacht, als in der deutschen Autoindustrie angesichts der Verkaufserfolge von ausländischen Herstellern und vor allem angesichts des Technologievorsprungs von Batterieherstellern wie Samsung Panik ausgebrochen ist. Nur trauen sich die Grosskoalitionäre jetzt wieder nicht, wirklich mutige Schritte zu gehen.
Welche wären das?
Man könnte etwa Quotenmodelle oder Grenzwerte festlegen, so dass es irgendwann nur noch emissionsfreie Fahrzeuge gibt.
Deutsche Hersteller haben vergleichsweise teure Modelle im Portfolio. Ein Kaufanreiz ist das nicht. Nun hat der Aachener Professor Günther Schuh gezeigt, dass man günstige Elektroautos bauen kann. Das Problem allerdings ist die Infrastruktur. Hier will die Politik ebenfalls ansetzen und plant 100.000 Ladestationen extra. Ist das ausreichend?
Das wäre ein Fortschritt. Aber Länder wie Norwegen und die Niederlande haben jetzt schon eine bessere Versorgung mit Ladesäulen, als es die Grosskoalitionäre in ihren Vertrag geschrieben haben. Wichtig ist mir auch – wir brauchen nicht irgendwo irgendwelche Ladesäulen. Wir brauchen den schnellen Ausbau eines einheitlichen, flächendeckenden und bedienungsfreundlichen Ladesäulennetzes mit unterschiedlichen Bezahlsystemen – und zwar sofort. Elektroautos müssen an jeder Ladesäule Strom ziehen können.
In einigen Bereichen, das haben Sie angemerkt, laufen uns ausländische Hersteller den Rang ab. Dabei hat Deutschland eine sehr hochtechnologische Expertise. Inwiefern laufen wir noch weiter Gefahr, abgehängt zu werden?
Bei der Herstellung von Batterien sind uns andere Länder etwa zehn Jahre voraus. Und wenn in anderen Ländern die Produktion schnell wächst, dann funktioniert auch eine Serienproduktion von emissionsfreien Fahrzeugen. Je länger bei uns rumgedümpelt wird und nur ein paar Tausend emissionsfreie Fahrzeuge verkauft werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Serienproduktionen nicht am Automobilstandort Deutschland stattfinden.
Elektroautos sind im Verkehr allerdings auch nicht ganz emissionsfrei. Die Energie für die Autos wird nicht unbedingt aus Ökostrom erzeugt. Wie lässt sich dieses Problem lösen?
Genau deswegen wollen wir ja neben dem Ausbau der Elektromobilität parallel die Kohlekraftwerke stilllegen und die erneuerbaren Energien ausbauen. Sie haben nämlich recht: Das Ganze ergibt nur in Kombination Sinn. Elektroautos mit Braunkohlestrom zu betreiben, macht dagegen keinen Sinn.
Im Moment sind mehr als 40 Millionen Fahrzeuge in Deutschland unterwegs. Die lassen sich nicht auf einen Schlag durch Elektrofahrzeuge ersetzen. Nur müsste man jetzt endlich mit Massnahmen beginnen: dem Stilllegen von Kohlekraftwerken, dem Ausbau des Ladesäulennetzes und dem Ausbau erneuerbarer Energien. Letzterem droht wegen Fehlern der letzten Regierung der Stillstand, insbesondere der Windkraft. Ausserdem sollte die Regierung dafür sorgen, dass mehr Elektrofahrzeuge in den Markt kommen.
Die angehende GroKo plant, dass jeder Bereich, auch Verkehr und Landwirtschaft, eigene Klimaziele erreichen soll. Wie bewerten Sie das Aktionsprogramm?
Im Kern ist es richtig, dass für die 2030-Ziele die unterschiedlichen Sektoren entsprechende Emissionsziele erfüllen müssen. Das Problem ist nur: Allein das Festschreiben der Ziele bringt wenig. Und das ist auch immer der Fehler, den Union und SPD machen: Sie glauben, es wird alles gut, wenn sie nur die Ziele definieren. Sie verhalten sich wie ein Schulkind, das sich ganz fest vornimmt, beim nächsten Test eine gute Note zu bekommen. Es hat es sogar schriftlich in sein Hausaufgabenheft reingeschrieben. Nur lernen will das Schulkind dafür nicht. Und so agiert die GroKo.
Viele Dinge, die vor der Wahl gesagt wurden, sind jetzt obsolet. Auch Martin Schulz hat grosse Versprechen nicht eingehalten. Hat die Politik nicht mittlerweile ein grosses Glaubwürdigkeitsproblem?
Ich spreche ungern von "der" Politik. Man sollte sich sehr genau anschauen, wer was gesagt hat. Martin Schulz hat da sicherlich nicht besonders weitsichtig agiert. Man muss die Menschen mitnehmen, sie überzeugen. Sonst fehlt Glaubwürdigkeit und dann auch die Unterstützung. Das bekommt die SPD ja gerade zu spüren.
Was erwarten Sie von der nächsten Grossen Koalition?
In Einzelmassnahmen gibt es manch gute Schritte, im Grossen fehlt aber jedes Aufbruchssignal. Union und SPD einigen sich auf ein lustloses Durchwursteln statt leidenschaftliches Anpacken. Ich fürchte, dass die GroKo genauso weitermachen wird, wie die letzte – nämlich geräuschlos und ideenarm. Von Zukunftsvisionen keine Spur.
Vielen Dank für das Gespräch.
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