Aus der Regierung in die Bedeutungslosigkeit: Die FDP ist der grosse Verlierer der Bundestagswahl 2013. Im Interview erklärt der Politikwissenschaftler Dr. Andreas Blätte die Gründe für den Niedergang der Liberalen, ob sie noch einmal die Chance haben in den Bundestag einzuziehen und welche Koalition jetzt vermutlich geschlossen wird.

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Sehr geehrter Herr Dr. Blätte, die FDP ist an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und damit der Verlierer der Wahl. Können sich die Liberalen ihrer Meinung nach von diesem Schock schnell wieder erholen oder war es das auf absehbare Zeit in der Bundespolitik?

Dr. Blätte: Die FDP muss sich inhaltlich und personell neu aufstellen. Sie ist noch immer in wichtigen Länderparlamenten vertreten, in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen gibt es noch grosse Landtagsfraktionen, in Sachsen regiert man mit. Personell wird es auf Christian Lindner als Nachfolger von Philipp Rösler hinauslaufen, das ist wohl beschlossen. Schwieriger wird aber die inhaltliche Neuausrichtung. Hier muss die FDP die zu starke Fokussierung auf marktbezogene Themen, vor allem auf Steuern, überdenken. Das wird ein längerer Prozess werden. Aber wenn das gelingt, hat die FDP gute Chancen, zurückzukehren.

Die FDP hat nicht nur an die Union Stimmen verloren, sondern auch an die Alternative für Deutschland, die weitgehend eine Protestpartei ist, aber neben CDU und CSU der grosse Wahlgewinner war. Wird sich nun auch die FDP zu einer Protestpartei entwickeln?

Die FDP hat schon in der Vergangenheit mit der Option gespielt zur Protestpartei zu werden. Das mutmassliche neue Führungspersonal ist aber unverdächtig, einen solchen Weg zu beschreiten. Eher dürften wohl wieder Bürgerrechtsthemen und die sozial-liberale Ausrichtung betont werden. Dafür würde zumindest Christian Lindner stehen.

In den vergangenen Jahren war davon wenig zu sehen und zu hören.

Richtig. In den vergangenen Jahren wurde zu einseitig die Marktorientierung betont. Für welchen Gesellschaftsentwurf die FDP steht, ist undeutlich geblieben. Das alleine erklärt aber den Verlust bei der Bundestagswahl nicht.

Was waren weitere Gründe für das schlechte Abschneiden der FDP?

Gerade der Wahlkampf in der vergangenen Woche nach der Wahl in Bayern ist äusserst ungünstig verlaufen. Da ist wieder die hässliche Seite, also die unglaubwürdige Seite, der FDP aufgetaucht. Das Argument, dass eine FDP-Stimme eine Merkel-Stimme sei, war schlicht unglaubwürdig. Die FDP hat sich hier mit einer "Schnorrermentalität" präsentiert. Und das kam bei den Wählern gar nicht gut an.

Die SPD hat schon fast schadenfroh festgestellt: Wer mit Angela Merkel koaliert, wird bei der nächsten Wahl abgestraft. Wie viel Anteil hat die Kanzlerin am schlechten Abschneiden der FDP?

Kurt Beck hatte – während der Grossen Koalition, als er noch SPD-Vorsitzender war - gesagt, dass Merkel einem die letzte Butter vom Brot kratzt. Damit hat er zum Teil Recht. An der CDU ist mit Sicherheit ein problematischer strategischer Zug zu beobachten, nämlich, dass sie Positionen der Partner übernimmt, um selbst stärker zu werden. Allerdings übersehen die Koalitionspartner auch gerne die eigenen, hausgemachten Probleme. Und die FDP hatte davon mehr als genug, wie unklare Führungsstrukturen, die Schwäche des Bundesvorsitzenden Rösler oder zum Schluss auch unglückliche taktische Entscheidungen des Spitzenkandidaten Brüderle.

Auffällig bei dieser Wahl ist, dass die drei kleinen Oppositionsparteien allesamt Stimmen verloren haben, während sowohl Union als auch SPD zulegen konnten. Ist das die Renaissance der Volksparteien?

Politikwissenschaftler haben in den vergangenen Jahren eine immer grössere Instabilität bei den Wählern festgestellt. Und die besteht nach wie vor. Das sieht man ja bei der AfD, die aus dem Stand heraus auf fast fünf Prozent gekommen ist. Etwas voreilig war es aber wohl, ein Ende der Volksparteien auszurufen. Das ist jetzt eigentlich – neben dem Ausscheiden der FDP – der zweite besonders beachtenswerte Punkt: Die CDU präsentiert sich wieder als Volkspartei und kann die verschiedensten Gruppen mobilisieren.

Die CDU hat damit zugleich ganz klar den Auftrag der Wähler zur Regierungsbildung erhalten, zumal SPD und Grüne immer wieder eine Zusammenarbeit mit der Linken ausgeschlossen haben und damit auf eine mögliche "linke Mehrheit" verzichten. Welche Koalition halten Sie am wahrscheinlichsten?

Aus den Umfragen vor der Wahl wissen wir, dass es eine weit verbreitete Präferenz für eine Grosse Koalition gibt. Das entspricht einerseits einer seit jeher verbreiteten Abneigung vor zu viel Auseinandersetzung zwischen den Parteien. Andererseits honoriert es auch die eigentlich gute Arbeit der Grossen Koalition zwischen 2005 und 2009. Allerdings ist da eine grosse Skepsis angebracht. Grosse Koalitionen sind eigentlich Formate für Ausnahmezeiten. Die SPD ist zudem 2009 geschwächt aus der Grossen Koalition hervorgegangen und wird sich nun erheblich scheuen, erneut in dieselbe Falle zu treten. Und auch wenn die Konflikte zwischen der Union und den Grünen im Wahlkampf unübersehbar waren, wird diese Option mit Sicherheit gründlich ausgelotet werden. Vielleicht stellen beide Seiten dann doch fest, dass die Gräben doch nicht so gross sind, wie man zuletzt dachte.

Könnte es zu Neuwahlen kommen?

Das halte ich für ausgeschlossen. Es gäbe Mehrheiten für drei Koalitionen. Die Parteien hätten grosse Schwierigkeiten zu erklären, warum es ihnen nicht gelingt, eine Regierung zu bilden. Und es wäre auch ein Bruch mit der Tradition, dass der Wählerauftrag ist, dass man eine Koalition findet.

Danke für das Gespräch, Herr Dr. Blätte.

Dr. Andreas Blätte ist Juniorprofessor für Politikwissenschaft der Stiftung Zukunft NRW. Seine Arbeitsschwerpunkt sind Migrations- und Integrationspolitik, bundesländervergleichende Policy-Forschung und der Wandel politischer Handlungsfelder.
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