Die sogenannten Elefantenrunden machten Wahlabende einst zu einem rhetorischen Hochgenuss. Da wurde trompetet und gebrüllt und der politische Gegner verbal auf Briefmarkengrösse zusammengefaltet. Bei der TV-Runde der Spitzenkandidaten der Parteien an diesem 22. September war dagegen sprachliche Magerkost angesagt. Dennoch könnten einige Gesten die Republik stärker prägen, als vielen lieb ist. Der Körpercoach Werner Dieball erklärt, wie uns die Merkel-Ära verändern könnte.
Herr Dieball, was haben Sie rhetorisch aus der Elefantenrunde mitgenommen?
Werner Dieball: Rhetorisch-körpersprachlich war es eine recht müde Runde. Nicht wie 2005, als
Bernd Riexinger von den Linken wurde dagegen mit Nichtbeachtung gestraft ...
Werner Dieball: Den haben sie gar nicht wahrgenommen, der war fast nicht präsent. Sowohl Trittin als auch Steinbrück haben sich ihm nicht gross zugewandt, haben ihn ignoriert und nur inhaltlich begründet, warum eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei für Sie nicht infrage kommt. Dagegen hat Trittin eine nonverbale Offerte in Richtung Merkel abgegeben und das war schon sehr charmant.
Riexinger beschwerte sich, er werde in dem Gespräch ausgeschlossen. Ist das nicht der rhetorische Notausgang, wenn man als Gesprächsteilnehmer derart um Hilfe bitten muss?
Werner Dieball: Mit dieser Kleinkind-Rhetorik gab Riexinger dann auch noch die beleidigte Leberwurst, das war zusätzlich ungünstig. Wenn er dann geredet hat, war er sehr unruhig, sehr schnell. Vielleicht hat er gedacht, ich hab' hier so wenig Gelegenheit, dann muss ich möglichst schnell noch mal alles loswerden. Riexinger war der Unentspannteste von allen fünf Kandidaten. Das konnten man an der Stimme merken, aber auch an seiner Motorik - da machte er den unsichersten, einen mitunter fahrigen Eindruck.
Der nonverbale Flirt zwischen Trittin und Merkel ist für Sie der Beginn einer schwarz-grünen Freundschaft?
Werner Dieball: Jedenfalls galten die einzigen beiden Situationen, in denen sich Trittin etwas öffnete, der Kanzlerin. Ihr gab er nonverbal zu verstehen: "Vielleicht geht ja doch was." Vielleicht war es ja der Beginn eines Kompromisses.
Ist es ein Machtfaktor, wenn man gute Rhetoriker an der Spitze hat, die jetzt die Koalitionsverhandlungen führen?
Werner Dieball: Steinbrück hat selbst mal gesagt: "Die grösste Waffe eines Politikers ist seine Rhetorik." Schröder hat 2005 noch die Koalitionsverhandlungen geführt, obwohl er an der dann entstandenen Grossen Koalition nicht beteiligt sein wollte. Natürlich sind bei solchen Verhandlungen Argumentationstechniken wichtig, Schlagfertigkeit, körpersprachliche Souveränität, mal ein Pokerface zu zeigen, mal wenig Emotion, dann wieder viel Emotion zu zeigen.
Mit dem Wahlergebnis von fast 42 Prozent für die Union ist Merkel im Zenit ihrer Macht angekommen. Agiert sie nun rhetorisch gefestigter, zeigt sie mehr Selbstbewusstsein?
Werner Dieball: Am Wahlabend zeigte sie sich noch so zurückhaltend wie immer. Sie war sehr konzentriert, hat genau zugehört. Da konnte ich noch nicht erkennen, dass sie körpersprachlich völlig verändert wäre. Sie ist ganz souverän, ruhig, abwartend geblieben, hat wieder ihre "Ähms" und "ich glaube" und "erst mal das Endergebnis abwarten" als Redebausteine integriert - weil sie nichts sagen konnte und wollte. Ich habe noch nichts Selbstbewussteres, Abgehobenes erkannt.
Sehen Sie in dieser unprätentiösen Art der Angela Merkel ihren eigentlichen Erfolg bei den Menschen?
Werner Dieball: Die Leute wünschen sich offenbar jemanden, der die Sache ruhig führt, der auf dem Teppich bleibt, ohne grosse Gesten, ohne grosse Jubelposen. Ihr sachlich-nüchterner Stil gepaart mit dem Merkel'schen Humor, den sie sich im Laufe der Zeit angeeignet hat - diese Lockerheit kommt anscheinend bei den Menschen an.
Ist das aus Ihrer Fachsicht nicht eigentlich eine ziemlich langweilige Rhetorik?
Werner Dieball: Merkel hält nicht die flammende Rede oder zeigt emotionale Ausbrüche, die wir von manchen männlichen Politikern kennen. Ob das langweilig ist? Dann würden nicht so viele Merkel wählen. Vielleicht wünschen sich viele in dieser Zeit eine Politik, wie sie Frau Merkel rüberbringt - ohne grossen Pathos, ohne grossen Gestus.
Einprägsam sind immerhin Merkels zu einer Raute zusammengefalteten Hände ...
Werner Dieball: Am Berliner Hauptbahnhof ist die Merkel-Raute, die "Raute der Macht", sozusagen die Chiffre der Regierung, zu sehen - nur diese Geste, kein Gesicht, kein Kopf von Merkel. Und die Leute wissen, ach, das ist die Merkel. Dabei hat die Kanzlerin auf die Frage, warum sie immer diese Raute macht, einfach nur geantwortet: "Ich weiss nie, wohin mit den Händen. Das ist meine Art, was zu machen." Das passt ganz gut zur gesamten Person Merkel. Diese Pose hat viel mit Konzentration beim Sprechen zu tun und mit der Abwehr gegen schwierige Fragen, gegen Einwände. Es ist ja keine einladende Geste. Dass die Raute mal so eine Entwicklung nimmt, das hat Merkel vermutlich selbst nie gedacht.
Glauben Sie, dass die Merkel'sche Rhetorik die Bundesrepublik prägen wird? Werden Sie die Merkel-Mimik in ihren Lehrplan aufnehmen?
Werner Dieball: Nein - denn das Wichtigste ist, dass jeder seinen Typ weiterentwickelt und rhetorisch er selbst bleibt. Aber vielleicht führt der Erfolg Merkels dazu, dass Frauen rhetorisch mehr Mut bekommen und sagen, okay, ich kann mich gegen einen Mann durchsetzen. Aber das ist nichts Neues. Ob eine neue Frauenrolle aufkommt und die Merkel-Raute nun tausendfach kopiert wird - warten wir's ab. In der freien Wirtschaft könnte die Merkel'sche Rhetorik durchaus eine Sogwirkung entfalten.
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