Alice Weidel ist neben Alexander Gauland AfD-Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2017. Im Interview mit unserer Redaktion erklärt Weidel, warum es eine Dieselgarantie braucht und unter welchen Bedingungen Einwanderung nach Deutschland möglich sein soll. Beim Thema Asyl macht sie einen eindeutigen Vorschlag.

Ein Interview

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Das Interview mit Alice Weidel wurde erstmals am 22. August veröffentlicht.

Frau Weidel, der Dieselskandal ist aktuell eines der bestimmenden innenpolitischen Themen. Die Autobauer rüsten Diesel nach und geben Prämien für den Kauf neuer Diesel. Kann das die Technologie noch retten?

Alice Weidel: Ich habe eher den Eindruck, dass die Politik das Ende des Diesels einläuten möchte. Das Problem dabei ist, dass die deutsche Automobilindustrie das Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist. Letztes Jahr waren knapp 800.000 Menschen in der Automobilindustrie beschäftigt.

Und wenn wir uns die Verbrauchszahlen ansehen, dann werden am Tag 121 Millionen Liter Diesel getankt und etwas mehr als die Hälfte, nämlich 66 Millionen Liter Benzin. Darin sieht man die Dominanz des Dieselmotors auch für den deutschen Verbraucher.

Andere Länder wie Frankreich oder Grossbritannien haben gerade einen Zeitplan für den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor verkündet – jeweils bis 2040. Sie fordern demgegenüber eine Dieselgarantie bis 2050.

Weil die deutsche Automobilindustrie durch die Dieseltechnologie international einen Wettbewerbsvorteil hat. Bei der E-Mobilität sieht das anders aus. Da sind die USA und China weiter.

Ich frage mich: Wenn wir auf E-Mobilität umstellen, wie sieht eine Energiebilanz aus? Ist das wirklich so viel umweltfreundlicher?

Das muss man sich in Ruhe anschauen und nichts übers Knie brechen. Mich stört einfach die Schnelligkeit der Debatte, wie damals bei der Energiewende.

Nun geht es im Diesel-Skandal aktuell ja um die Belastung durch Stickoxide, die als gesundheitsgefährdend gelten.

Es gibt Studien, die besagen, dass gerade Euro-5 und Euro-6-Dieselmotoren sehr sauber sind. Nun ist es auch so, dass die Belastung durch von Dieselmotoren produzierte Stickoxide, die in der freien Umwelt landen, teilweise geringer ist als die Stickoxid-Belastung in Büroräumen.

Genau zu dem Thema möchte ich dann auch Studien haben. Dass man erst über Empirie spricht und dann darauf aufbauend vernünftige politische Entscheidungen trifft.

Aber es ist doch unbestritten, dass Stickoxide gesundheitsgefährdend sind.

Das betrifft dann aber eben auch Büroräume. Ich halte die Debatte über Belastungen durch Dieselmotoren für völlig überzogen.

[An Arbeitsplätzen gelten höhere Grenzwerte für die NOx-Belastung als im Freien. Warum das so ist, können Sie hier beim Umweltbundesamt nachlesen; Anm.d.Red.]

Sie haben gerade gesagt, dass uns gerade die USA und auch China bei der E-Mobilität einen Schritt voraus sind. Hat Deutschland diese Entwicklung verschlafen – und sollte hier nicht die Politik gegensteuern?

Das ist eine generelle Forderung von mir: viel mehr in Bildung, Forschung und Entwicklung investieren. Denn nur das sichert uns langfristig Wettbewerbsvorteile. Da haben wir viel verschlafen – auch in der E-Mobilität. Aber das kann nicht von heute auf morgen passieren. Dieser Gedanke steht hinter meiner Idee, eine Dieselgarantie und Investitionssicherheit bis 2050 zu gewähren.

Beim Thema Steuern hat die AfD einen anderen Ansatz als die Konkurrenz. Dort werden vor allem Entlastungen über die Einkommenssteuer versprochen – je nach Partei in einer Grössenordnung zwischen 15 bis 40 Milliarden Euro im Jahr. Sie fordern eine Senkung der Mehrwertsteuer um sieben Prozentpunkte. Haben Sie das mal durchgerechnet?

Man sagt, dass ein Prozentpunkt Nachlass bei der Mehrwertsteuer haushaltstechnisch ungefähr zehn Milliarden kosten würde. Damit kommen wir auf 70 Milliarden.

Wie soll das finanziert werden?

Einerseits kann man einsparen, beispielsweise bei Subventionen. Insgesamt rechnet der Bund der Steuerzahler hier mit 20 bis 22 Milliarden.

Dann fehlen immer noch 50 Milliarden Euro.

Einsparen kann man auch beim Flüchtlingsetat, indem weniger Menschen aufgenommen werden. Für den sind im Bundeshaushalt ebenfalls etwa 23 Milliarden veranschlagt. Und dann nimmt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ja jedes Jahr auch mehr Steuern ein.

Das sind drei Beispiele, wo wir Potenzial sehen. Und am Ende muss es eine Entlastung geben. Das sagt ja auch die OECD, dass die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland zu hoch ist.

Auch beim Thema Rente haben Sie einen eigenen Ansatz. Sie fordern die Abschaffung eines gesetzlich garantierten Renteneintrittsalters und wollen es an die Lebensarbeitszeit koppeln. Dabei sprechen Sie von 45 Jahren. In meinem Fall – ich arbeite seit Ende meines Studiums, da war ich 27 – würde ich dementsprechend erst mit 72 Jahren Rentenzahlungen abschlagsfrei erhalten.

Sie können auch früher in Rente gehen, aber nach 45 Jahren dürfen Sie das ohne Abschläge. Das ist aus unserer Sicht gerecht. Genauso wie unsere Forderung, dass auch Beamte und Politiker in die gesetzliche Rente einzahlen müssen.

Jetzt hat Deutschland ein demografisches Problem. Das hat auch Auswirkungen auf die Rente. Immer weniger Junge müssen immer mehr Alte finanzieren. Das könnte man durch Zuwanderung abdämpfen.

Wir brauchen qualifizierte Zuwanderung. Wenn man sich den Trend anschaut, sind wir zum Auswanderungsland Hochqualifizierter und einem Einwanderungsland für Gering- und Niedrigqualifizierte geworden. Damit belasten wir auch die Sozialversicherungssysteme, wie beispielsweise die Rente.

Deswegen fordern wir ein Einwanderungsgesetz nach australischem oder kanadischem Vorbild, das sich unter anderem an Bedarf, Qualifikation und der Möglichkeit, für sich selbst zu sorgen, orientiert.

Bei Flüchtlingen fordert die AfD eine Obergrenze. Bei der CSU liegt diese bei 200.000. Wie hoch soll sie aus Ihrer Sicht sein?

Die Höhe hängt von den Aufnahmekapazitäten ab. Man kann da nicht – wie die CSU – mit einer starren Zahl reingehen. 200.000 ist auch schon ziemlich hoch. In den USA liegt das Kontingent bei 50.000 bis 70.000. Wir haben 2015 und 2016 Hunderttausende aufgenommen. Und ich sehe da auch keine Trendumkehr und kein langfristiges Konzept. Das fordern wir ein.

Was ist das Konzept der AfD?

Wir brauchen eine Neufassung des Asylgesetzes. Es kommt aus einer Zeit, in der es noch keine globale Migrationsbewegung und keinen so hohen Bevölkerungs- und Migrationsdruck, beispielsweise aus dem Nahen Osten und Afrika, gegeben hat. Und da muss eine Obergrenze aufgenommen werden.

Nun garantiert das Asylgesetz eine Einzelfallprüfung. Also jeder Asylantrag muss einzeln geprüft werden. Wie wollen Sie das – gerade auch in Hinblick auf eine mögliche Obergrenze – gewährleisten?

Diese Prüfung hat ja in den vergangenen Jahren gar nicht stattgefunden. Unsere Behörden wissen gar nicht, wer sich in unserem Land aufhält. Das hat auch die Gefahrenlage in Deutschland drastisch verschärft.

Aber noch einmal: Wie will die AfD eine Einzelfallprüfung sicherstellen?

Das funktioniert nur gemeinschaftlich. Europa muss sich mit den nordafrikanischen Ländern an einen Tisch setzen. Oder in Bezug auf Syrien mit den Nachbarländern Jordanien und Libanon.

Dort brauchen wir Flüchtlingscamps, die teilweise von UN-Blauhelmen geschützt werden müssen. Und das UN-Hilfswerk muss dafür mit finanziellen Mitteln ausgestattet werden. Dort sollen dann die Asylanträge gestellt werden können – aber nur unter Vorlage von gültigen Papieren.

Also Asylzentren im Ausland?

Ja. Das hat auch einen humanitären Aspekt. Denn aktuell kommen bei uns nur die Zahlungskräftigsten an – weil sich die anderen einen Schlepper gar nicht leisten können.

Jetzt haben Sie gerade Nordafrika angesprochen. In Libyen gibt es beispielsweise keine stabilen Verhältnisse. Auch dort wollen Sie Asylzentren, die durch Blauhelme und im Zweifelsfall deutsche Soldaten geschützt werden müssten?

Ja, das würde mit dazugehören. Es gibt aber auch andere Staaten wie beispielsweise Tunesien oder Marokko, die einigermassen stabil sind.

Sie haben gerade selbst von einem hohen Migrationsdruck gesprochen. Glauben Sie, dass durch Asylzentren illegale Einwanderung nach Europa verhindert werden kann?

Zudem müssen natürlich die Aussengrenzen geschützt werden, beispielsweise die Mittelmeer-Route. Da muss Europa zusammenarbeiten. Nur mit geschützten Aussengrenzen können wir die Binnengrenzen offen halten.

Gerade beim Thema Europa hat man bei der AfD immer wieder den Eindruck, dass es da unterschiedliche Vorstellungen gibt: Einerseits ein Europa, in dem zusammengearbeitet werden muss – wie Sie es gerade gesagt haben. Und andererseits die Betonung des Einzelstaates im Gegensatz zu einem gemeinsamen Europa.

Grundsätzlich gilt, dass wir eine EU, die immer mehr Kompetenzen bekommt, sehr kritisch sehen. Wir fordern deswegen beispielsweise ein Vetorecht der Staaten gegen Vorgaben aus Brüssel – weil in den Ländern die gewählten Parlamente sitzen. Wir haben zudem verschiedene Geschwindigkeiten in Europa und wollen keine weitere Zentralisierung. Denn damit würde man den Wettbewerb ausschalten.

Zweitens muss der Exit-Artikel 50 in den europäischen Verträgen dahingehend erneuert werden, dass jedes Land, das austreten will, automatisch in den europäischen Binnenmarkt integriert wird. Damit würden wir sicherstellen, dass es keine Unruhe an den Märkten gibt – denn vom Freihandel profitieren wir alle.

Und drittens brauchen wir eine Reform der Freizügigkeit. Sozialleistungen beispielsweise kann nur derjenige bekommen, wenn in einem Land mindestens vier Jahre in die Sozialkassen eingezahlt hat.

Die AfD ist eine Partei mit extremen Flügeln. Wenn jemand die AfD wählt: Wen bekommt er dann? Eine Höcke- und Poggenburg-AfD, die extrem rechts ist, eine national-konservative AfD mit Alexander Gauland oder eine – sagen wir – freiheitlich-konservative, für die Sie stehen?

Alexander Gauland und ich kandidieren als Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl. Also werden wohl auch wir in den Bundestag einziehen. Aber Ihre Frage zielt ja auf etwas anderes ab. Wir haben innerhalb unserer Partei natürlich Diskussionen über Begriffe wie Nation, Vaterland, Heimat …

… oder auch den Begriff "völkisch", den Frauke Petry ins Spiel gebracht hat.

Das eher nicht. Ich spreche in diesem Zusammenhang am liebsten von Patriotismus. Für mich ist aber ohnehin etwas anderes entscheidend als Begriffe. Bei all diesen Debatten geht es doch immer um die Frage nach der Rolle Deutschlands in einer globalisierten Welt.

Ich halte grundsätzlich nichts von einer Diskussion über ein abgeschottetes Deutschland, weil die von gestern ist. In einer globalisierten Welt kann man sich schlicht nicht abschotten.

Also keine Mauern und Zäune rund um Deutschland bauen?

Sie müssen die Grenzen effektiv sichern und kontrollieren, wer reinkommt. Das macht die Schweiz ja auch, eigentlich sogar jedes vernünftige Land, das nachhaltig denkt. Und dabei müssen wir eben unterscheiden zwischen gewünschter Einwanderung und Asyl.

Gerade wurde die Ehe für alle beschlossen. Werden jetzt auch Sie heiraten?

Für mich ist das eine semantische Debatte. Ich sage schon seit Jahren, dass ich verheiratet bin, obwohl ich "nur" in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft bin. Wir haben auch zwei Kinder, die wir grossziehen.

Aber es kommt durch das neue Gesetz beispielsweise das Adoptionsrecht dazu.

Das mag sein, aber das hätte man auch im Rahmen der eingetragenen Lebenspartnerschaft erlauben können. Sehen Sie: Die Ehe ist ein Wert. Und ein Rechtsinstitut in unserem Grundgesetz. Wenn Sie daran rütteln, haben Sie nachher Tür und Tor für eine gewisse Beliebigkeit geöffnet.

Wir müssen auch sehen, dass drei Viertel der Paare in einer Ehe leben. Und drei Viertel der Kinder leben bei den leiblichen Eltern, die verheiratet sind. Die AfD sagt eben ganz klar, dass man diese Rechtsform stärken muss – beispielsweise durch die Anrechnung von Erziehungsleistung bei der Krankenkasse und der Rente.

Generell gilt aber auch: Die Stärkung der Ehe schliesst die Akzeptanz von anderen Lebensformen überhaupt nicht aus. Die Debatte, die öffentlich an meiner Person aufgemacht wird, findet in der AfD nicht statt. Und wie ich lebe, ist eine private Entscheidung.

Frau Weidel, vielen Dank für das Gespräch.

Wir führen im Rahmen unserer Berichterstattung zur Bundestagswahl 2017 Interviews mit den Spitzenkandidaten aller Parteien, die Chancen auf den Einzug in den Bundestag haben. Zu Gast waren bei uns bereits FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner und der Spitzenkandidat der Grünen, Cem Özdemir.
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