FDP-Chef Christian Lindner betont, wie hoch die Hürden für die Bildung einer Jamaika-Koalition mit Union und Grünen sind. Stehen die Chancen für eine Regierungsbildung wirklich so schlecht - oder will Lindner nur den Preis in die Höhe treiben?

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Von Null auf Regierung - das könnte der FDP gelingen. Denn nach der strikten Absage der SPD an eine Neuauflage der Grosse Koalition gibt es eigentlich nur die Option auf ein schwarz-gelb-grünes Bündnis.

Christian Lindner stellt Bedingungen für Jamaika

Doch die Liberalen zögern, von Jamaika-Euphorie ist keine Spur. Stattdessen stellt Christian Lindner schon vor ersten Sondierungsgesprächen hohe Hürden auf.

"Jeder muss wissen, dass die Freien Demokraten nur in eine Koalition eintreten, wenn es Trendwenden in der deutschen Politik gibt", sagte er der "Welt".

Die FDP hatte auf dem Parteitag eine Woche vor der Wahl ein Papier mit "Zehn Trendwenden für Deutschland" beschlossen. Das betrifft unter anderem Bildung, Digitalisierung, Einwanderungspolitik, Steuerentlastungen und die Euro-Zone.

Warum Lindner Bedingungen stellt, aber eine Jamaika-Koalition aus Sicht der Liberalen doch Sinn machen könnte.

Warum die FDP an der Jamaika-Koalition zweifelt

Böse Erinnerungen an schwarz-gelb mit Merkel

Zwischen 2009 und 2013 war die FDP Juniorpartner in einer schwarz-gelben Koalition mit der Union.

Viele Liberale denken äusserst ungern an die Zeit zurück. Wenngleich sie angesichts des Rekordergebnisses von 15 Prozent vor Selbstbewusstsein nur so strotzte, konnte die FDP kaum Wahlversprechen einlösen. Insbesondere die Pläne zu Steuersenkungen versandeten.

Die Stimmung in der Koalition wurde immer schlechter. Daniel Bahr (FDP) beschimpfte die CSU als "Wildsau", Alexander Dobrindt (CSU) nannte die Liberalen eine "Gurkentruppe", Christian Linder zog in Zweifel, ob Horst Seehofer (CSU) noch bei vollem Verstand sei.

Das Ergebnis ist bekannt und für Liberale ein Trauma: Die Partei flog 2013 mit 4,8 Prozent im hohen Bogen aus dem Bundestag.

Geringe Erfahrung der Abgeordneten

Daraus folgt zugleich der nächste Punkt, der die FDP an einer Regierungsbeteiligung zweifeln lässt: In den vier Jahren, in denen die FDP nicht im Parlament sass, hat sie sich personell neu aufgestellt. Entsprechend viele unbekannte Gesichter ziehen jetzt in den Bundestag ein. Regierungserfahrung hat kaum jemand von ihnen.

Auch an anderen Stellen - Assistenten, Büroleiter - muss die Partei neues Personal einarbeiten.

Parteichef Christian Lindner hat vor der Wahl wiederholt gesagt, die FDP könne sich in der Opposition erst einmal besser formieren.

"Manche Position noch zu vertiefen und die Debatte aus der Opposition heraus zu beleben" sei nicht verkehrt, befand auch Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff.

Inhaltliche Differenzen mit Union und Grünen​​​​​​

Erst am heutigen Mittwoch hat Lindner wieder betont, dass er hohe Hürden bei einer schwarz-gelb-grünen Regierungsbildung sieht.

"Die Wahrheit ist, dass es zwar eine rechnerische Mehrheit gibt, die vier Parteien aber jeweils eigene Wähleraufträge hatten. Ob diese widerspruchsfrei und im Interesse des Landes verbunden werden können, steht in den Sternen", sagte er der "Welt".

Tatsächlich gibt es inhaltliche Differenzen, vor allem beim Klimaschutz oder in der Europapolitik.

Warum Jamaika für die Liberalen doch Sinn machen könnte

Es gibt sehr wohl inhaltliche Gemeinsamkeiten

Dass alle Parteien - allen voran die Juniorpartner - in Koalitionsverhandlungen Kompromisse eingehen müssen, liegt in der Natur der Sache.

Doch zumindest mit der Union haben die Liberalen grosse Überschneidungen, etwa bei den Themen Steuern und Zuwanderung.

Die Entfernung zu den Grünen ist in den vergangenen Jahren kleiner geworden. Nicht umsonst hat das Trio zwischenzeitlich zwei Koalition auf Landesebene geschlossen, die in Schleswig-Holstein ist erst seit kurzem im Amt.

Alternativen sind rar

Neben dem schwarz-gelb-grünen Bündnis ist die rechnerisch einzige Alternative eine Grosse Koalition. Doch da die SPD angekündigt hat, in die Opposition zu gehen, fällt diese Option eigentlich weg.

Daraus erwächst eine Gewisse staatspolitische Verantwortung. Von Neuwahlen will bei den Liberalen kaum einer etwas wissen. Einerseits weil dann die Rechtspopulisten von der AfD womöglich noch mehr Stimmen holen könnten, andererseits weil das Stamm-Klientel aus der Wirtschaft viel Wert auf Stabilität legt.

Statt über eine Koalition zu verhandeln auf Neuwahlen zu setzen, sei "respektlos gegenüber den Wählerinnen und Wählern", sagte Lindner.

Die Union ist geschwächt

Dass es keine Alternative zum Jamaika-Bündnis gibt, stärkt die Verhandlungsposition der FDP - zumal sie in dem Viererbündnis zweitstärkste Kraft ist. Darüber hinaus ist die Union nach der Wahlschlappe geschwächt.

Insofern birgt der Status quo für Christian Lindner und sein Team durchaus die Chance, mehr eigene Ziele durchzusetzen, als es das Wahlergebnis auf den ersten Blick vermuten hat lassen.

All das zeigt: Wenn Lindner und Co. also wieder und wieder die Unterschiede betonen, dann dient das wohl nur einem Zweck: Den Preis für FDP-Beteiligung an einer Jamaika-Koalition in die Höhe zu treiben.

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