Die Bundeskanzlerin will, dass in Deutschland bis 2025 Vollbeschäftigung herrscht. Um das zu erreichen, ist die Politik aber von der Konjunktur abhängig – und müsste in einem Bereich deutlich mehr investieren.

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Was den Arbeitsmarkt betrifft, steht Deutschland derzeit gut da. Bei 5,7 Prozent lag die Arbeitslosenquote im August. Aber geht da noch mehr?

Die CDU verspricht im Bundestagswahlkampf als einen der zentralen Punkte Vollbeschäftigung, Bundeskanzlerin Angela Merkel will sie bis zum Jahr 2025 erreichen. Nur ein Versprechen oder ein realistisches Ziel?

Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema Vollbeschäftigung

Was versteht man unter Vollbeschäftigung?

Eine einheitliche Definition von Vollbeschäftigung gibt es nicht. In der Regel sprechen Experten davon, wenn die Arbeitslosigkeit unter eine bestimmte Schwelle sinkt – je nach Definition unter einen Wert zwischen zwei und vier Prozent.

Vollbeschäftigung bedeutet also nicht, dass wirklich jeder Erwerbsfähige einen Job hat. Wer etwa nach einer Kündigung eine neue Stelle in Aussicht hat, diese aber erst nach drei Monaten antreten kann, ist vorübergehend arbeitslos.

Diese sogenannte Sucharbeitslosigkeit werde es immer geben, sagt Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte am Institut der deutschen Wirtschaft Köln im Gespräch mit unserer Redaktion. "Sonst wäre der Arbeitsmarkt sehr starr und verkrustet."

Ist Vollbeschäftigung in Deutschland ein realistisches politisches Ziel?

Dazu gibt es unterschiedliche Ansichten. Ganz im Alleingang kann die Politik jedenfalls nicht dafür sorgen – die meisten Jobs schaffen Unternehmen.

Der Ökonom Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hat in der "Süddeutschen Zeitung" deshalb das politische Ziel Vollbeschäftigung kritisiert: In einer globalisieren Welt habe die Regierung zu wenig Einfluss auf den Arbeitsmarkt, um solche Versprechen zu machen.

"Wenn jetzt eine konjunkturelle Krise kommt, wird es schwer mit der Vollbeschäftigung", sagt auch Holger Schäfer.

Grundsätzlich hält er eine weitere Senkung der Quote allerdings für möglich. "Dazu müsste man die Arbeitslosenzahl noch einmal um eine Million senken. Das würde ich für machbar halten. Aber von allein geht das nicht."

Was müsste passieren, um Vollbeschäftigung zu erreichen?

Laut Schäfer müssten die Menschen in den Fokus rücken, die es zur Zeit am Arbeitsmarkt noch schwer haben – vor allem solche, die schon lange ohne Job sind, etwa wegen körperlicher Einschränkungen oder mangelnder Qualifikation.

Schäfer glaubt, dass die Politik die sogenannte Aktivierung ernster nehmen müsste: "Dass Arbeitslose also ständig konfrontiert werden mit Angeboten." Es gehe nicht darum, die Betroffenen zu "piesacken", sondern ihnen echte Hilfe anzubieten. "Dazu benötigt man Fallmanager, die sich wirklich um den Arbeitslosen kümmern können."

Nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers müssten deshalb die Beratungskapazitäten in den Job-Centern aufgestockt werden. Ausserdem sei es sinnvoll, mehr in Weiterbildungsmassnamen und Zuschüsse für Existenzgründungen zu investieren – Bereiche, bei denen in der Vergangenheit aber eher gespart wurde.

Was ist unter dem sozialen Arbeitsmarkt zu verstehen?

Auch diese Idee wird zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit immer wieder diskutiert. Der Staat beschäftigt Langzeitarbeitslose dabei selbst – oder bezahlt ihre Löhne bei staatsnahen Arbeitgebern.

Wirtschaftswissenschaftler Schäfer sieht diesen Ansatz skeptisch: Die nachhaltigen Jobs entstünden eher bei Unternehmen, sagt er.

Gewerkschaften fordern dagegen einen sozialen Arbeitsmarkt, auch die frühere rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hatte das Konzept auf den Weg gebracht.

Detlef Scheele, seit April Chef der Bundesagentur für Arbeit, sagte in einem Interview mit der "Frankfurter Neuen Presse", das Konzept könne für einen "eng definierten, relativ kleinen Kreis" sinnvoll sein: "Vor allem in Familien, wo beide Eltern ohne Beschäftigung sind, sollte man lieber Arbeit als Arbeitslosigkeit finanzieren, auch mit Blick auf die Kinder."

Hat Vollbeschäftigung auch negative Seiten?

Negative Folgen haben eher Unternehmen auf der Suche nach Mitarbeitern zu befürchten. Der Übergang von Vollbeschäftigung zum Arbeitskräftemangel sei fliessend, sagt Holger Schäfer.

Für manche Branchen könne es schwierig werde, freie Stellen zu besetzen – in technischen und Pflegeberufen ist das schon jetzt zu beobachten.

Sagt Vollbeschäftigung auch etwas über die Art der Beschäftigung aus?

Nein. Auch in einer Wirtschaft mit Vollbeschäftigung kann es viele Arbeitsverhältnisse geben, die befristet oder schlecht bezahlt sind. Das ist auch in der derzeit schon positiven Situation am Arbeitsmarkt zu beobachten.

Im vergangenen Jahr bekamen 45 Prozent der neu eingestellten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten nur einen befristeten Vertrag, ergab eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion an die Bundesregierung.

"Wenn ich den Anspruch der Vollbeschäftigung formuliere und auch die schwer vermittelbaren Menschen in den Arbeitsmarkt bringen will, muss ich akzeptieren, dass das in einer Form stattfindet, den ich nicht gut finde", sagt Holger Schäfer.

Gerade Langzeitarbeitslose müssen häufig zunächst eine Beschäftigung annehmen, bei der sie nicht gerade üppig bezahlt werden.

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