• Deutschland wird wohl künftig von drei Parteien regiert.
  • Bei einem solchen Bündnis käme sowohl der Wahlsieger SPD als auch die zweitplatzierte Union nicht um die Grünen und die FDP herum.
  • Doch für welchen Partner würden sich die beiden Parteien entscheiden?
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner und Marco Fieber sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Christian Lindner mag das Wort nicht. Jenes "Königsmacher" nahm der FDP-Chef vor der Abstimmung am Sonntag nicht in den Mund. Dennoch schielt Lindner seit Monaten unübersehbar auf die Regierungsbank: "Wo es eine Möglichkeit gibt, unsere Projekte und Werte einzubringen, machen wir das", sagte Lindner zuletzt im Interview mit unserer Redaktion.

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Da die SPD einer erneuten Auflage der grossen Koalition im Vorfeld der Bundestagswahl bereits mehrfach eine Absage erteilt hat (und auch die Union nicht unter einem sozialdemokratischen Kanzler mitregieren will), läuft es fast zwangsläufig auf ein Dreierbündnis hinaus: mit der FDP und mit den Grünen.

In der Hälfte der Bundesländer ist ein Dreiergespann bereits Realität. Nun werden FDP und Grüne auch im Bund zu Königsmachern. Beide können SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz zum Regierungschef machen – oder eben CDU-Chef und Unionskandidat Armin Laschet.

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Das Schicksal der Republik liegt in den Händen von Grünen und FDP

"Vordergründig liegt das Schicksal der Republik jetzt in den Händen dieser Parteien", sagt Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Experte konkretisiert: "Vor allem das Schicksal von Armin Laschet liegt in den Händen der Grünen: Er hat nur eine Chance, Kanzler zu werden, wenn die Grünen ihn, sein Programm und seine Strategie akzeptieren."

Anders sieht es bei der SPD aus: "Scholz kann in einer grossen Koalition mit der Union als Juniorpartner Kanzler werden, in einer Ampel-Koalition mit Grünen und FDP hinge sein Schicksal vor allem von der FDP ab", sagt Schroeder.

Die Ökopartei und die Liberalen sind sich ihrer Macht durchaus bewusst, Freie Demokraten und Grüne haben gemeinsam mehr Sitze als Union oder SPD einzeln. Klar ist aber auch: "Wir wollen niemanden ins Kanzleramt hieven. Wir haben von Anfang an gesagt, uns geht es nicht um Armin Laschet oder Olaf Scholz, uns geht es um die Inhalte", betonte FDP-Generalsekretär Volker Wissing am Montag im ARD-"Morgenmagazin".

Bundestagswahl 2021: Die Inhalte zählen

Grünen-Co-Chef Robert Habeck sah das im Deutschlandfunk genauso: Der Kurs der Grünen hänge jetzt in erster Linie von den Inhalten ab. SPD-Kandidat Olaf Scholz habe einen "deutlichen Vertrauensvorschuss der Menschen" bekommen, sagte Habeck. Die SPD liege "relativ deutlich vor der Union" und sei die "progressivere Partei". Ein Ampel-Bündnis von SPD, Grünen und FDP habe deshalb zwar einen Vorteil mit Blick auf die Grundausrichtung.

Dennoch sei die Lage komplizierter, betonte Habeck: "Eine Ampel ist nicht Rot-Grün, sondern ein Bündnis, das nach eigenen, völlig anderen Regeln funktioniert. Es ist nicht nur Rot-Grün plus ein bisschen was Gelbes dazugekleckst, sondern es ist ein Bündnis mit einer eigenen Logik."

Es müsse nun gelingen, ein Bündnis "mit eigener Identität" zu schmieden und "nicht nur die Summe von lauter Neins und Abers und keinen Kompromissen". Das gelte sowohl für ein mögliches Ampel-Bündnis mit der SPD als auch für eine Jamaika-Koalition unter Führung der Union.

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FDP und Grüne setzen sich vorab zusammen

Wie die kommenden Sondierungsgespräche ablaufen dürften, ist aus Sicht von Politologe Schroeder noch völlig offen. "Es gibt keine Vorgaben, da ist alles möglich. Jeder kann reden, mit wem er will", sagt er. Mit Ausnahme der AfD hätten die Parteien im Vorfeld auch keine Gesprächsverbote ausgesprochen. "Das ist in der jetzigen Situation sehr gut", sagt Schroeder.

Denn die Differenzen sind mitunter gewaltig. Sowohl Grünen-Chef Habeck als auch FDP-Chef Lindner halten deshalb Vorab-Gespräche ihrer beiden Parteien mit Blick auf eine mögliche Regierungsbildung für sinnvoll. So liefen einst auch die Sondierungsprozesse in Schleswig-Holstein ab. Dort regiert seit 2017 Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) mit Grünen und FDP als Partner.

Aus Habecks Erfahrung ergebe es Sinn, "dass die Parteien, die erstmal am weitesten voneinander entfernt sind, (...) dass die mal schauen, ob die das zusammen hinkriegen", sagte er am Montag bei NDR Info. Das seien nun mal FDP und Grüne – "wir sind in sozial-, steuer-, finanzpolitischen Fragen wirklich konträr". "Insofern werden wir zuerst auf die FDP zugehen."

Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, verwies im ARD-"Morgenmagazin" ebenso auf die inhaltlich "fundamentalen Unterschiede" zwischen Grünen und FDP, etwa in der Klima- oder Finanzpolitik. "Da treffen schon unterschiedliche Welten aufeinander." Aber man habe Respekt voreinander und müsse nun sehen, "wie man sich aufeinander zubewegt", sagte Kuhle.

Die Präferenzen sind klar: SPD und Grüne, Union und FDP

Auch wenn FDP und Grüne zusammenfinden, bleibt die Lage für Laschet dramatisch. "Er ist fundamental abhängig von den Grünen – in einer grossen Koalition unter Führung der SPD wäre Laschets politische Karriere beendet", ist sich der Experte sicher.

Bleiben also Ampel- und Jamaika-Koalition: Wer hätte die meisten Schnittmengen? Und würden sich Grüne und FDP auf die Union oder auf die SPD einigen? Wen die Königsmacher als Partner präferieren, klang in den vergangenen Wochen immer wieder durch. So sagte Lindner der "Neuen Osnabrücker Zeitung", man habe Laschet in Nordrhein-Westfalen als zuverlässigen Verhandlungs- und Regierungspartner kennengelernt. Im Vergleich zur SPD sei ihm die Union "am Ende näher", erklärte Lindner knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl im Gespräch mit unserer Redaktion.

Aus dem schwarz-gelben Bündnis in NRW kennen sich der FDP-Parteichef und der CDU-Ministerpräsident bereits.

Baerbock präferiert SPD

Auch Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hatte ihren Wunschpartner bereits benannt: "Ich trete an, die nächste Bundesregierung inhaltlich, aber auch personell zu führen. Und beim Partner: am liebsten mit der SPD", hatte sie dem "Kölner Stadt-Anzeiger" gesagt.

Sich zu SPD und Grünen zu gesellen und eine Ampel-Koalition zu bilden, stand FDP-Chef Lindner zumindest vor der Wahl sehr skeptisch gegenüber (die Grünen sind bei Jamaika wesentlich offener). "Mir fehlt die Fantasie, welches inhaltliche Angebot Herr Scholz und Frau Baerbock der FDP machen können, das mit deren Programmen und deren Parteibasis vereinbar wäre und gleichzeitig für uns attraktiv ist", sagte Linder.

Welche Partei und vor allem welchen Kanzlerkandidaten Lindner und Baerbock letztendlich zum König machen, ist aus Sicht von Politikwissenschaftler Schroeder völlig offen. "Eine Jamaika-Koalition mit der Union wäre vermutlich am einfachsten zu händeln. Die Grünen könnten hier strategische Chancen sehen, gerade mit den Parteien, die am stärksten gegen eine forcierte Klimapolitik sind, ihre Ziele zu verabreden", sagt Schroeder.

Parteibasis hat andere Wünsche

Für die Parteispitze sei diese Option sicherlich attraktiv, an der Basis aber sehe es anders aus: Die Anhänger von Grünen hatten sich einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes "Civey" im Auftrag des "Spiegel" zufolge mehrheitlich ein Linksbündnis zusammen mit der SPD und der Linken gewünscht – 70 Prozent bewerten diese Regierungsoption als positiv. Doch Rot-Grün-Rot hat keine eigene Mehrheit im Bundestag.

Eine Ampel-Koalition kommt bei den Grünen-Anhängern auf 54 Prozent, mit einer Jamaika-Koalition liebäugeln nur 15 Prozent. Umgedreht sieht es bei den Anhängern der FDP aus: Hier finden 53 Prozent eine Jamaika-Koalition gut, mehr als die Hälfte (51 Prozent) lehnt eine Ampel-Koalition hingegen ab.

"Die FDP steht unter einem gewissen Druck: Sie darf nicht wieder patzen und sagen, dass ihr gar kein Koalitionspartner passt", sagt Schroeder. Bei der Regierungsbildung im Jahr 2017 hatte die FDP Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition abgebrochen.

Kommt am Ende doch die GroKo?

Lindners Satz "Besser nicht regieren, als falsch regieren" wird ihm auch bei den Koalitionsverhandlungen in diesen Tagen nachhängen. "Es kann deshalb auch sein, dass die anderen Parteien sagen: 'Die FDP ist uns ein zu unsicherer Partner und wir suchen die Zuflucht in einer grossen Koalition'", urteilt Schroeder.

Denn so viel auch von Dreierbündnissen die Rede ist, Schroeder hält eine andere Regierungskoalition für wahrscheinlicher: "Eine grosse Koalition in der alten Auflage wird es nicht geben, ist mit der SPD in der Führung aber durchaus denkbar", sagt er. Das GroKo-Tischtuch - vielleicht ist es am Ende doch noch nicht zerschnitten.

Über den Experten: Prof. Dr. Wolfgang Schroeder ist Politikwissenschaftler an der Universität Kassel. Er lehrt als Professor für das politische System der Bundesrepublik Deutschlands. Schroeder ist SPD-Mitglied.

Verwendete Quellen:

  • Nachrichtenmeldungen der Deutschen Presse-Agentur
  • Neue Osnabrücker Zeitung: "FDP-Chef Lindner: Laschet dürfte einiges anders machen als Merkel"
  • Kölner Stadt-Anzeiger: "Baerbock will mit der SPD regieren: Sozialdemokraten als Partner 'am liebsten' – Links-Bündnis faktisch ausgeschlossen"
  • Der Spiegel: "Grosse Mehrheit der Grünen-Anhänger lehnt Jamaikabündnis ab"
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