- Die Parteispitzen von SPD, Grünen und FDP haben sich auf ein gemeinsames Sondierungspapier geeinigt und empfehlen ihren Gremien die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen.
- Ein Politikwissenschaftler erklärt, warum die Ergebnisse der Sondierungen für ihn "erstaunlich" sind und was das für eine mögliche Ampel-Koalition bedeutet.
Kurz nach 13 Uhr am Freitag traten die Vertreter von SPD, FDP und Grünen vor die Presse und verkündeten: Die Parteispitzen empfehlen ihren Gremien die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen für eine Ampelkoalition. Es sei bei Gesprächen bis tief in die Nacht gelungen, "gemeinsame Wege und Brücken zu finden", sagte die Grünen-Co-Parteichefin Annalena Baerbock.
Der Weg sei nun frei für ein "Jahrzehnt der Erneuerung", es solle nicht weiter eine "Politik mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner" geben, so
Kein Tempolimit, aber Mindestlohn
Ein Papier mit den Ergebnissen der Sondierungen legten die drei Parteien bereits vor. Darin enthalten sind wichtige Eckpunkte für die nun anstehenden Koalitionsverhandlungen: Es soll beispielsweise keine Steuererhöhungen und kein Tempolimit geben, jedoch einen höheren Mindestlohn und ein Bürgergeld statt Hartz IV.
Im Bereich Klimaschutz haben sich die Parteien auf einen Kohleausstieg im Jahr 2030 geeinigt, erneuerbare Energien sollen massiv ausgebaut werden und die Finanzierung der EEG-Umlage über den Strompreis so schnell wie möglich beendet werden. In einer Ampel-Koalition soll ein Mindestrentenniveau von 48 Prozent gesichert werden und das Renteneintrittsalter nicht angehoben werden.
Weitere Punkte: Die Einführung einer teilweise kapitalgedeckten gesetzlichen Rente, die Beibehaltung von privater und gesetzlicher Krankenversicherung, sowie die Anhebung der Midi-Job-Grenze auf 1.600 Euro. "Wir haben damit gebrochen, politische Uneinigkeiten zu verdecken und uns um klare Richtungsentscheidungen bemüht", kommentierte Lindner. Der grosse Gewinner sei keine Partei, sondern das Land.
Möglich gewesen sei das nur aufgrund der "diskreten und vertrauensvollen Gespräche", so SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Anders als bei den Jamaika-Verhandlungen vor vier Jahren war diesmal vorab wenig über die Verhandlungen an die Öffentlichkeit gedrungen. "Aus einer unklar ausgegangenen Bundestagswahl ist eine Dynamik entstanden, die dem sich abzeichnenden Regierungsbündnis eine echte Schubkraft geben kann", bilanzierte der Grünen-Co-Vorsitzende Robert Habeck.
Politikwissenschaftler Ulf Kemper sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: "Jede Partei hat wichtige Punkte umgesetzt. Die FDP konnte ihre Handschrift in der Finanz- und Steuerpolitik durchsetzen, die Grünen haben im Bereich Umwelt- und Klimaschutz Ergebnisse erzielt und die SPD hat mit dem Mindestlohn und dem Bürgergeld für ihre Wähler wichtige Punkte verhandelt."
Politikwissenschaftler: Ergebnis der Sondierungen ist "erstaunlich"
Dass die Ampel-Koalition nun auch kommt, hält der Experte für sehr wahrscheinlich. "Es macht den Eindruck, dass wichtige Streitpunkte bereits abgeräumt wurden", sagt er. Dies sei erstaunlich: "Normalerweise geht es in den Sondierungsgesprächen um die grossen Leitlinien, jetzt werden aber bereits wesentliche Zahlen genannt – das zeigt, dass man bereits erstaunlich in die Tiefe gegangen ist."
Gleichzeitig habe Armin Laschet bei der CDU seinen Rückzug angekündigt. "Zwar könnte beispielsweise die FDP noch aussteigen und Sondierungen für eine Jamaika-Koalition aufnehmen, dann fragt man sich aber: Mit wem?", analysiert Kemper weiter. Eine Ampel-Koalition entspreche zudem dem Stimmungsbarometer der Bevölkerung in den Nachwahlbefragungen und die FDP könne es sich schlecht leisten, nach den Sondierungen 2017 auch noch die Ampel-Koalitionsverhandlungen scheitern zu lassen – ohne zugleich eine hundertprozentig verlässliche Perspektive für die Bildung einer Jamaika-Koalition zu besitzen.
"Der Abschluss der Sondierungsgespräche war die Vorbedingung für Koalitionsverhandlungen. Auch sie könnten aber natürlich noch scheitern", gibt Kemper zu bedenken. Konfliktpotenzial berge etwa noch die Frage, ob sich die Linken in der SPD zufriedengeben und wie es um den FDP-Flügel stehe, der lieber mit der Union koalieren würde.
Weil die Sondierungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit gelaufen seien, liesse sich jedoch schwer abschätzen, ob es noch grosse Streitpunkte gäbe. "Ich denke aber, eine neue Regierung kann wie angepeilt noch vor Weihnachten gebildet werden", so der Politikwissenschaftler.
SPD, Grüne und FDP werden ihren jeweiligen Parteigremien die nun verhandelten Ergebnisse vorlegen. Bei den Grünen trifft sich der Länderrat bereits am Sonntag, SPD-Parteivorstand und FDP-Bundesvorstand kommen am Montag zu ihren regulären Sitzungen zusammen. Los gehen könnte es mit den Koalitionsverhandlungen also schon Mitte der kommenden Woche.
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