Nicht nur für die SPD, auch für CDU und CSU könnte eine Neuauflage von Schwarz-Rot gefährlich werden. Viele Mitglieder haben genug von Kompromissen – und auch die AfD könnte profitieren.
Heute wird es ernst – die Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD sind beim Bundespräsidenten zu Gast. Frank-Walter Steinmeier will mit den Parteichefs Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPÖ) ausloten, ob eine Grosse Koalition doch noch möglich ist.
Die SPD ist von ihrem kategorischen Nein jedenfalls schon abgerückt:
SPD in der Klemme
Die Sozialdemokraten stecken in einer schwierigen Situation. Nach dem verheerenden Ergebnis bei der Bundestagswahl hatte Parteichef Schulz angekündigt, auf jeden Fall in die Opposition gehen zu wollen.
Rückt die SPD nun davon ab, steht sie als Umfallerin dar. Bleibt sie bei ihrem Nein, müsste sie mit dem Vorwurf leben, sich aus der Verantwortung zu ziehen.
Sozialdemokratische Spitzenpolitiker stellen deshalb Bedingungen für eine Neuauflage der "GroKo": Den eigenen Mitgliedern wäre sie einfacher zu vermitteln, wenn die SPD wichtige Anliegen umsetzen könnte.
Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt hält diesen Weg für wenig erfolgversprechend. Denn die Union könne nicht alles mittragen, was die SPD wolle.
"Deshalb wird die SPD in den eigenen Reihen viel Enttäuschung erzeugen, wenn sie zwar viel fordert, doch allzu wenig durchsetzt", so Patzelt im Gespräch mit unserer Redaktion.
Widerstand auch in der Union
Auch in der Union melden sich Kritiker einer Grossen Koalition zu Wort. Thorsten Alsleben etwa, Hauptgeschäftsführer der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Union, twittert fleissig gegen das Bündnis.
Als
Nach der Bundestagswahl wollen sowohl die Union als auch die SPD ihr Profil schärfen. Auch wenn sie sich in der Familien-, Innen- und Aussenpolitik möglicherweise schnell einigen könnten, bleiben Stolpersteine.
Zum Beispiel die Asylpolitik. "Es ist sehr unwahrscheinlich, dass CDU und CSU von ihrer jetzt gemeinsamen Forderung nach einer Obergrenze für die Aufnahme von Geflüchteten wieder abrücken", sagt Werner Patzelt.
Auch bei Renten- und Krankenversicherung haben die möglichen Partner unterschiedliche Vorstellungen.
Zudem sind SPD-Politiker erzürnt über CSU-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt und sein Ja zum weiteren Einsatz des umstrittenen Pflanzenschutzmittels Glyphosat.
SPD-Parteivize Ralf Stegner bezeichnete den Schritt auf Twitter als "bodenlose Unverfrorenheit".
"Mästungsprogramm" für die AfD?
Auch für CDU und CSU wäre die Grosse Koalition ein Risiko, glaubt Patzelt. Wenn sich die grossen Parteien auf Kompromisse einigen, verschwimmen für viele Wähler die Unterschiede.
Patzelt bezeichnet eine Neuauflage von Schwarz-Rot sogar als "Mästungsprogramm für die AfD": "Die AfD ist entstanden, weil die Unionsparteien in den vergangenen Jahren im Rahmen Grosser Koalitionen in die Mitte gerückt sind."
Im Vergleich zur abgelaufenen Legislaturperiode hat sich ausserdem die Situation im Parlament geändert: Im neuen Bundestag sässen nicht mehr zwei, sondern vier Oppositionsfraktionen, die Schwarz-Rot aus unterschiedlichen Richtungen in die Zange nehmen würden.
"Die Grosse Koalition könnte im neuen Bundestag nicht mehr so durchregieren wie im alten", sagt Politikwissenschaftler Patzelt. "Klare Gegenpositionen wie bei der Migrationspolitik lassen sich jetzt, da die AfD im Bundestag sitzt, nicht mehr so einfach seitens der Regierung ignorieren."
Kein Automatismus – auf die Inhalte kommt es an
Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter, ehemaliger Professor an der Universität Passau, hält dagegen nichts von einer generellen Verteufelung des Bündnisses.
"Die SPD lädt der Grossen Koalition mehr Schuld auf als notwendig", sagt Oberreuter im Gespräch mit unserer Redaktion. "Am gefährlichsten wäre es für die SPD, jetzt in einen Strudel der Verweigerung zu geraten."
Inhaltlich seien die Sozialdemokraten in der Grossen Koalition eigentlich gut weggekommen, so der Wissenschaftler. "Sie hätten das vielleicht einfach besser darstellen müssen."
Eine Grosse Koalition stärke nicht immer automatisch die politischen Ränder, ist Oberreuter überzeugt.
Er glaubt, dass es vielmehr auf die Inhalte und den Umgang mit Konflikten ankomme: "Wenn die Grosse Koalition anständig regiert und Themen, die die Menschen bewegen, nicht unter den Tisch fallen lässt, dann stösst sie auch auf Zustimmung."
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