Vor den Jamaika-Sondierern steht noch ein Verhandlungsmarathon. Denn bislang herrscht nur in wenigen Punkten Einigkeit, die Streitpunkte überschatten die Gespräche. Doch woran hakt es genau? Ein Überblick.
Hauptsache der Rechner mit dem Protokoll stürzt nicht wieder ab. Vor einer Woche soll Grünen-Fraktionschefin
Eine Panne, symbolisch für die bisherigen Sondierungen zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen: Es herrschen Misstrauen und Ungeduld.
Am heutigen Donnerstagabend beginnt die grosse Runde – alles andere als eine Sitzung bis tief in die Nacht wäre eine Überraschung. Denn den wenigen schon fixierten Eckpunkten stehen eine Menge heftig umstrittener Themen gegenüber.
Die grössten Streitfragen
Migrationspolitik
Die Migrationspolitik könnte zum Zünglein an der Waage werden. Die Grünen stellen sich hier deutlich gegen Union und FDP - obwohl sie den möglichen Koalitionspartnern in einem Punkt Entgegenkommen signalisiert haben.
Das betrifft zentrale Aufnahmezentren für Asylbewerber. Dagegen sperren sich die Grünen nicht mehr prinzipiell, sie wollen aber wenigstens die Menschen schnell weiterschicken, die gute Chancen auf Asylstatus haben.
Bei einem Punkt schalten die Grünen hingegen weiter auf stur. Wenn sich FDP und CSU in der Frage des Familiennachzugs nicht bewegen wollten, sagte Grünen-Urgestein Jürgen Trittin, "bleibt es halt bei der Rechtslage". Die sieht so aus: Der Stopp des Familiennachzugs für Asylberechtigte mit subsidiärem Schutz läuft im März 2018 aus.
Wenn Union und FDP das verhindern wollen, brauchen sie dafür die Grünen, argumentieren die. Die FDP sieht an diesem Punkt allerdings schon die "Akzeptanz einer neuen Regierung" scheitern, wie
Unklar ist weiterhin, wie viele Menschen durch den Familiennachzug überhaupt zusätzlich nach Deutschland kommen würden. Während die Grüne
Das Bundesinnenministerium sagte auf Anfrage der „Tagesschau“ jüngst, es sei keine Prognose für 2018 möglich.
Dazu kommt noch der vor allem symbolisch wichtige Streit um eine Obergrenze, - hier übernimmt die FDP die Rolle des Mediators zwischen Grünen und der CSU, die ihre Obergrenze wie eine Monstranz vor sich herträgt: Die Liberalen schlagen vor, dass das Ganze einfach Zielkorridor heissen und zwischen 150.000 und 250.000 liegen könnte.
Klima- und Verkehrspolitik
Leichte Zugeständnisse haben die Grünen auch beim Kohleausstieg gemacht, trotzdem sieht es nach wie vor so aus, als könnte Jamaika daran scheitern. Denn in der Klimapolitik klaffen die Grundprinzipien weitestmöglich auseinander: Die FDP beharrt auf dem Primat der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Den Grünen geht es um die Umwelt.
Dazwischen steht eine ehemalige Klimakanzlerin, die sich zu ambitionierten Klima-Zielen bekennt, gleichzeitig aber sowohl die Kohleindustrie als auch die Automobil-Wirtschaft schützt.
Sowohl Union als auch FDP wenden sich gegen eine gestaffelte KfZ-Steuer, die den Kauf umweltfreundlicher Autos belohnt. Ein Stopp der Subventionen für Dienstwagen oder Diesel, blaue Plaketten für weniger Feinstaub in den Städten - auch diese grünen Vorschläge treffen auf keine Resonanz; ganz zu schweigen vom Ende des Verbrennungsmotors, bei dem die Grünen nicht mehr auf ein Datum 2030 beharren – was Alexander Dobrindt zu seinem Kommentar bewegte, es bringe nichts, "Schwachsinnstermine" abzuräumen.
Nicht einmal darüber, wie viel CO2 bis 2020 noch eingespart werden muss, sind sich die Parteien einig – umso schwerer ist es zu bestimmen, wie viele Kraftwerke sofort abgeschaltet werden könnten und sollten.
Immerhin bekennen sich alle zum beschleunigten Ausbau des Stromnetzes, zur Reform des EEG und einem Förderprogramm für klimafreundliche Heizungen und Dämmungen.
Weitere strittige Themen
Die Vorratsdatenspeicherung stellt für Liberale und Grüne ein absolutes No-Go dar, einer Ausweitung der Videoüberwachung an Hot Spots haben beide allerdings zugestimmt, genau wie bei der Aufstockung von Stellen in Polizei und Justiz.
Die Union hat sich das Zwei-Prozent-Ziel der Nato auf die Fahnen geschrieben und will die Ausgaben für die Verteidigung auf diesen Anteil des BIP erhöhen, was die Grünen prinzipiell ablehnen - die FDP würde nur bei einer Erhöhung der Entwicklungshilfe mitmachen.
Beim Freihandel sind die Fronten klar: Union und FDP sind für eine Ausweitung, die Grünen richten sich klar gegen CETA und Co.
Wacklige Kompromisse
"Trendsetter beim Tierwohl" will ein Jamaika-Bündnis werden. Das klingt genauso vielversprechend wie die generelle Einigung auf eine Landwirtschaft mit Klima-, Boden- und Gewässerschutz.
Es wimmelt allerdings vor Absichtserklärungen, wie das "Reduktionsprogramm" gegen chemische Pflanzenschutzmittel.
Unklar bleibt auch die Finanzierung, die Grünen würden gern Mittel aus der Agrarförderung umwidmen, CDU/CSU wollen die Interessen und damit das Geld der Bauern schützen.
Auf dem Weg zur Einigung
Steuer- und Sozialpolitik
Den Solidaritätszuschlag wollen wohl alle Parteien abschaffen, nur wann und für wen, muss noch verhandelt werden. Die FDP drängt auf 2019, muss sich aber wohl mit einem schrittweisen Auslaufen des Soli zufrieden geben, das die Union ab 2020 einläuten will.
Auch der Wunsch nach einer grossen Steuerreform wird den Liberalen nicht erfüllt werden, dafür haben sich die Grünen von der Vermögenssteuer verabschiedet.
In fortgeschrittenen Gesprächen ist man offenbar über eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes für sehr hohe Einkommen, die eine Entlastung für untere und mittlere Einkommen, vor allem von Familien mit Kindern, gegenfinanzieren soll.
Auf Betreiben der FDP sollen die Sozialbeiträge leicht sinken, damit sind vor allem auch die Grünen einverstanden.
Ebenso wie mit dem Bekenntnis zu einer Verbesserung der Lage der Rentner und zu einem flexibleren Renteneintritt. Die Frage des "Wie" wird auf die Legislaturperiode verschoben.
Einwanderung und Europa
Das Einwanderungsgesetz soll auf den Weg gebracht werden, es läuft wohl auf ein Punktesystem für qualifizierte Arbeitskräfte hinaus. So genannt soll es aber noch nicht werden - vor allem aus Rücksicht auf die Union.
Im Europa-Papier erhalten sich die Jamaika-Sondierer allen Spielraum, um auf die französischen Wünsche nach einer Ausweitung der innereuropäischen Kooperation einzugehen. Umstritten ist die allerdings Frage nach einem Euro-Budget, da blockiert vor allem die FDP.
Weitgehende Einigkeit
Familie, Bildung, Digitalisierung
Der Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung für Grundschüler steht, das Kindergeld soll um 25 Euro steigen, ebenso der Kinderfreibetrag und der Kinderzuschlag.
Ein Ausgabenplus sehen die Unterhändler für die Bildung vor: bis 2025 sollen mehr als zehn Prozent des BIP zur Verfügung stehen, allein 3,5 Prozent sollen auf auf Forschung und Entwicklung entfallen.
Umstritten ist das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern. FDP-Chef Lindner will es gemeinsam mit den Grünen abschaffen, die Union würde wohl das Ländervorrecht in der Bildung zähneknirschend schleifen.
Weg mit den Funklöchern, Breitband für alle bis 2025: so lauten die ambitionierten Ziele in der Digitalisierung. Federführend soll ein eigener Minister (FDP) oder wenigstens ein Staatsminister im Kanzleramt (Union) Deutschland dahingehend zukunftsfit machen.
Ausgaben und Finanzen
Das Sofortprogramm Pflege verspricht mehr Personal für Krankenhäuser und Heime, vorgesehen sind dafür je eine Milliarde Euro.
Alle Ausgaben stehen allerdings unter einem Finanzierungsvorbehalt. Nach der Steuerschätzung scheinen die Sondierer mit etwa 30 Milliarden Mehreinnahmen zu rechnen.
Weil ein Jamaika-Bündnis die Schuldenbremse aber nicht antasten und sich zur "Schwarzen Null" im Haushalt verpflichten will, ist wohl nicht jede Ausgabe auch drin - alleine ein Soli-Abbau würde wohl mehr als die Hälfte Entlastungspotenzial schlucken.
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